Hamburg. Er schoss aus geringer Entfernung auf zwei Männer. Bei der Urteilsverkündung betonte der Richter die Gefährlichkeit der Tat.

Sechs Schüsse binnen weniger Sekunden. Die Kugeln peitschen durch die Luft, zwei Männer brechen blutüberströmt zusammen. Es ist helllichter Tag, als Gewalt herrscht an diesem Sonntag im November 2021, in einem Wohngebiet in Hamburg. Beide Opfer überleben den Anschlag. Doch es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten tot sein können. Ein 25-Jähriger musste sogar reanimiert werden.

Wer der Schütze ist, der zwei Männer im Phoenix-Viertel in Harburg niedergestreckt hat, wurde schnell bekannt. Es war Halil S., der schon längere Zeit mit einem der Opfer im Clinch gelegen hatte. Vier Tage nach dem Verbrechen von 14. November vergangenen Jahres wurde der 55-Jährige in seiner Wohnung festgenommen; die Tatwaffe lag unter seinem Kopfkissen. Und der Mann schien erleichtert darüber zu sein, dass er nun gefasst worden war.

Prozess Hamburg: Schüsse im Phoenix-Viertel – jahrelange Haftstrafe

Auch jetzt, nachdem das Schwurgericht das Urteil gegen ihn spricht, wirkt der Angeklagte nicht aufgewühlt oder gar erschüttert. Der schlanke Mann mit dem rasierten Schädel scheint erstarrt, beinahe gleichgültig sogar. Neun Jahre Haft verhängt die Kammer gegen den 55-Jährigen wegen versuchten Totschlags sowie wegen gefährlicher Körperverletzung.

Der 55-jährige Angeklagte schoss mitten am Tag im Harburger Phoenix-Viertel auf seine Opfer.
Der 55-jährige Angeklagte schoss mitten am Tag im Harburger Phoenix-Viertel auf seine Opfer. © Christian Charisius/dpa/Pool/dpa

„Es war ein spontanes Geschehen“, sagt der Vorsitzende Richter über die Verbrechen. Doch er betont auch: Das Tatbild sei erschreckend, nämlich ein „Schusswaffengebrauch auf offener Straße in einem Wohngebiet — mit hohem Gefährdungspotential für Passanten und Anwohner“. Mit dem Urteil bleibt die Kammer knapp unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die zehn Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte. Die Verteidigung hatte auf eine dreijährige Haftstrafe plädiert.

Prozess Hamburg: Schüsse im Phoenix-Viertel wegen Lohnstreitigkeiten

Der Angeklagte hatte die Tat von Beginn an gestanden. Hintergrund waren Lohnstreitigkeiten. Halil S. hatte längere Zeit als Gerüstbauer für eines der beiden späteren Opfer gearbeitet, aber schließlich Monate lang kein Geld erhalten. Zuletzt hatte er Forderungen von rund 6200 Euro — und zugleich selber Schulden, war auf das Geld also dringend angewiesen. Nachdem er mehrfach seinen Arbeitgeber um seinen Lohn gebeten hatte, hatte er schließlich angedeutet, er könne gegenüber den Behörden offenlegen, dass sein Auftraggeber in kriminelle Machenschaften verwickelt sei. Unter anderem habe dieser Schwarzarbeit geduldet, keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt und sei in illegales Glücksspiel verstrickt. Darüber kam es zum Streit — und letztlich zu den Schüssen.

Es habe seitens der späteren Opfer Drohungen gegen ihn gegeben, hatte der Angeklagte im Prozess gesagt — und deshalb habe er eine Waffe bei sich getragen, zu seinem eigenen Schutz. „Man hat mir zu verstehen gegeben, dass man verhindern würde, dass ich aussage.“

Prozess Hamburg: Zwei Schüsse aus nächster Nähe auf das Opfer

Zu der verhängnisvollen Eskalation kam es, nachdem Halil S. erneut eine Aussprache mit seinem Arbeitgeber gesucht hatte. Dieser lud ihn ein, mit ihm im Auto mitzukommen. Doch anstatt in sein Büro fuhr der 25-Jährige ins Hamburger Phoenix-Viertel zur Kreuzung Baererstraße/Lassallestraße. Dort trafen die beiden auf den 41-Jährigen. Dieser kam zum Auto, ein großer, kräftiger Mann, der nun „bedrohlich“ auf Halil S. „zugestürmt“ sei und gedroht habe, er werde dem 55-Jährigen „die Kehle aufreißen“, schildert der Vorsitzende Richter das Ergebnis der Beweisaufnahme über die zentralen Geschehnisse.

Außerdem habe dieser Mann Halil S. noch geschubst und sei dann aber weggegangen. In diesem Moment habe der Angeklagte „den spontanen Entschluss zur Tat“ gefasst und zwei Schüsse aus nächster Nähe in Richtung des Oberkörpers des weglaufenden V. abgegeben. Dabei habe er in Kauf genommen, dass dieser tödlich verletzt wird.

Schlagader durch Schuss verletzt – Opfer in Lebensgefahr

Währenddessen ging der 25-Jährige zügig auf ein Café zu — nach Überzeugung von Halil S., um Angehörige zu alarmieren. Der 55-Jährige sah darin offenbar eine Gefährdung und schoss nun auch aus etwa zwei Metern Abstand auf den zweiten Mann, um ihn am Weiterlaufen zu hindern. Drei Kugeln trafen das Opfer in die Beine beziehungsweise das Gesäß. Weil eine wichtige Schlagader verletzt wurde, schwebte das Opfer in Lebensgefahr. Zeitweise drohte, dass sein Unterschenkel amputiert werden müsse. Bis heute hat er mit erheblicher Einschränkung seiner Mobilität zu kämpfen. Beide Opfer können nach wie vor nicht arbeiten, leiden noch unter den Folgen der Tat.

Gleichwohl haben die schwer verletzten Männer im Prozess wenig zur Aufklärung der Hintergründe der Schüsse beigetragen. „Auf deren Angaben war nichts zu stützen“, betont der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. „Man dachte immer, sie wissen mehr, wollen es aber nicht sagen.“ Dies sei angesichts der erheblichen Verletzungen, die sie davongetragen hatten, „ungewöhnlich“. Es handele sich um ein „undurchsichtiges Milieu“.

Richter: "Er forderte Geld. Da wäre ihm mit einem Toten nicht geholfen."

Aufschlüsse über die Tat gab vor allem das Geständnis des Angeklagten, das sich nahtlos in die objektiven Beweismittel gefügt habe, erläutert der Kammervorsitzende. Unter anderem hatte es eine Kameraaufzeichnung vor Ort gegeben, auf der die Schüsse in ihrer schnellen Abfolge zu hören waren. Außerdem hatte ein Zeuge aus seiner naheliegenden Wohnung ein Foto gemacht; darauf zu sehen war das Fahrzeug mit den beiden am Boden liegenden Opfern. Der Zeuge hatte noch gewarnt: „Achtung, hier wird geschossen!“

Der Vorsitzende spricht von einem „dynamischen Geschehen“, bei dem nicht kontrollierbar gewesen sei, wo und wie genau die Schüsse die Opfer treffen würden. „Der Angeklagte konnte nicht darauf vertrauen, dass alles glimpflich ausgehen würde.“ Es handele sich um einen sogenannten „bedingten Tötungsvorsatz“. Eines der Opfer habe sein Leben letztlich den Rettungskräften zu verdanken. Bei den Kugeln, die Halil S. auf den zweiten Mann abfeuerte, liege es nahe, dass es ihm wirklich allein darauf ankam, den Mann am Weiterlaufen zu hindern. „Welches Tatmotiv sollte er haben?“, meint der Richter. „Er forderte Geld. Da wäre ihm mit einem Toten nicht geholfen.“