Hamburg. Die Stimme des Journalisten ist vielen Hamburgern bekannt. Er spricht über die schöne Zeit beim Sender und das überraschende Ende.

Er ist ein Radio-Legende, fast schon ein Hamburger Original: Viele Menschen in der Stadt sind mit seiner Stimme aufgewachsen, er hat den Osterhit-Marathon und andere verrückte Aktionen erfunden, zuletzt ließ er das russische Generalkonsulat in Hamburg in den ukrainischen Nationalfarben anstrahlen. Für diese Idee könnte Marzel
Becker
jetzt den Deutschen Radiopreis erhalten, entgegennehmen wird er ihn wahrscheinlich nicht mehr.

Denn der Journalist, der fast sein ganzes Arbeitsleben bei Radio Hamburg war, zuletzt als Geschäftsführer und Programmdirektor, hat den Sender vor wenigen Wochen verlassen. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über eine schöne Zeit, das überraschende Ende – und Journalisten, die keine Oberlehrer sein dürfen. Zu hören ist das Gespräch unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Marzel Becker über ...

… seine Anfänge und seine Liebe zu Radio Hamburg:

„Ich hatte damals, Ende der 80er-Jahre, mit Thomas Walde und Wilfried Sorge zwei Förderer, die an junge Talente geglaubt und sie von der Leine gelassen haben. Die beiden haben Radio Hamburg aufgebaut, und ich habe ihnen sehr viel, fast alles zu verdanken. Gerade am Anfang haben Leute wie Stefan Heller und ich ziemlich viel Mist gebaut, aber Walde und Sorge haben uns immer vermittelt, dass das nicht schlimm ist, wenn wir es beim nächsten Mal besser machen. Der Sender war wie eine Familie für mich, deshalb habe ich mehr als 30 Jahre dort gearbeitet. Wobei: Es hat sich eigentlich nie angefühlt wie Arbeit. Ich wollte nie etwas anderes werden als Moderator, mir war schon als Kind klar, dass ich zum Radio wollte.“

… den Erfolg von Radio Hamburg, der sich auch in hohen Gewinnen ablesen lässt:

„Wir haben nicht damit gerechnet, dass Radio Hamburg so erfolgreich wird. In der Regel ist es in Deutschland nämlich nicht so, dass ein Privatsender in den Quoten vor einem öffentlich-rechtlichen Sender liegt. In Hamburg haben wir mit N-Joy, NDR 90,3 und NDR 2 gleich drei hinter uns gelassen. Das ist nicht normal, zumal die genannten Programme wirklich top sind. Und dazu kommt, dass Radio Hamburg immer auch wirtschaftlich sehr erfolgreich war. Einer unserer ehemaligen Gesellschafter hat erst vor wenigen Wochen zu mir gesagt, dass deutsche Verleger noch nie so viel Geld so schnell mit so wenig Einsatz verdient haben wie beim Privatradio. Unter dem Strich werden die Unternehmen, denen Radio Hamburg gehört, meiner Meinung nach immer viel Freude mit dem Sender haben. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“

… seine überraschende Kündigung:

„Ich hätte bis zu meiner Rente bei Radio Hamburg bleiben können, noch im vergangenen Jahr haben zwei Gesellschafter mir gesagt, dass man mir niemals kündigen würde. Das habe ich natürlich gern gehört. Ich kann mich über das Vertrauen der Gesellschafter überhaupt nicht beschweren. Und trotzdem geht es am Ende immer ums Geld. Wir haben bei Radio Hamburg in den vergangenen Jahren da einige Verrenkungen gemacht, viel gespart. Aber ich habe schon 2021 gesagt: Wenn das so weitergeht, wenn die Budgets noch weiter sinken, dann kann ich das nicht mehr mittragen.

Das war in diesem Jahr der Fall. Ich bin nach wie vor gern bei Radio Hamburg gewesen, aber ich konnte mich nicht mehr vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen und etwas vertreten, was ich nicht für richtig hielt. Ich bin ein Überzeugungstäter, und ich möchte Dinge so machen, wie ich sie für richtig halte. Das heißt: Ich glaube, dass ein Radiosender jetzt Geld in die Hand nehmen und angreifen sollte.“

… die Frage, was er jetzt ohne Radio Hamburg macht:

„Im Moment fühle ich mich so, als hätte ich ein verlängertes Wochenende mit ganz vielen Brückentagen. Ich spüre eine unfassbare Erleichterung. Die vergangenen zwei, drei Jahre habe ich nachts oft aus Sorge um meine Kolleginnen und Kollegen wach gelegen. Das hat mich schwer belastet. Ich werde sicher wieder arbeiten, aber jetzt bin ich noch nicht so weit.“

… die Idee, das russische Generalkonsulat in den ukrainischen Farben anzustrahlen:

„Nachdem wir das russische Generalkonsulat in Hamburg nachts in den ukrainischen Farben angeleuchtet und vom Dach eines Nachbarhauses zweimal in Rammstein-Lautstärke die ukrainische Nationalhymne abgespielt hatten, haben mich Kollegen von öffentlich-rechtlichen Radiosendern angerufen und gesagt: ‚Mensch, seid ihr mutig, so mutig wären wir gern auch mal.‘

Anscheinend sind wir bei uns in der Branche nicht mehr so mutig gewesen, dass so eine Aktion auffällt und sogar für den Deutschen Radiopreis nominiert wird. Ich stelle mir oft die Frage, ob das Radio heute angepasster und weniger verrückt als früher ist, und bemerke dann, dass es so viele Leute, die, wie etwa Stefan Heller und ich früher, kein Erbarmen kennen, nicht mehr gibt.“

… Journalisten und Gendern:

„Wir sind keine Oberlehrer, wir sind Oberkellner, hat der leider vor Kurzem verstorbene Thomas Walde einmal gesagt. Dieser Spruch hat mich sehr geprägt. Wir sind als Journalisten nicht dazu da, Menschen umzuerziehen, wir sind eine Art Dienstleister. Radio Hamburg hat zum Beispiel nicht gegendert, weil unsere Hörerinnen und Hörer das nicht wollen, und zwar mit absoluter Mehrheit. Übrigens gibt es, zumindest hat das unsere Umfrage ergeben, bei den Frauen mehr Gegner des Genderns als bei den Männern.“

Der Fragebogen

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Ich wollte schon immer zum Radio, es gab keinen Plan B. Irgendwie war es die Mischung aus Reden und Musik.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

„Was du nicht willst, dass dir geschieht, das tu auch keinem andern nicht.“ Achtung, liebe Kinder, kein Kalenderblattspruch, sondern aus der Bibel.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Ich würde gern so schreiben wie John Irving, so komponieren wie Paul McCartney und die Slicerückhand meiner Frau Sandra beherrschen. Als Kind hatte ich aber tatsächlich ein richtiges Vorbild: Björn Borg. Ich habe damals aus purer Bewunderung das Stirnband schon auf dem Weg zum Tennisplatz aufgesetzt. Ziemlich peinlich.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?

Ich habe als Kind ausschließlich englische und amerikanische Sender gehört. AFN und BFBS. Das war für mich der Ausschlag. Jeder Moderator klang cool, und jeder Moderator hat die coolsten Songs gespielt. DAS war genau mein Ziel, und irgendwie hat es ja auch geklappt.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer im Beruf?

Wilfried Sorge, der erste Radio-Hamburg- Geschäftsführer, Thomas Walde, unser erster Programmchef, und Bertram Schwarz, ein weiterer Radio-Hamburg- Geschäftsführer. Diesen drei wunderbaren und integren Menschen verdanke ich rund um Radio Hamburg fast alles.

Auf wen hören Sie?

Erst mal würde ich sagen: auf alle. Also ich höre mir erst mal alles und zwar von jedem an. Dann schauen wir weiter. Schwer wird es nur, wenn jemand überheblich ist und grundsätzlich eh alles besser weiß. Dann nutzt sich mein Vorsatz leider merklich ab. Egal, was derjenige sagt.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Da habe ich einen großen Fundus an Erfahrungen. Die meisten meiner Chefs waren erst mal gute Menschen. Klingt so banal, aber das ist doch extrem wichtig. Und allein aus dieser Bewertung leiten sich dann eh viele gute Eigenschaften wie Geduld, Führungsstärke, Empathie und Ähnliches ab.

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Ständig Sätze mit „ich“ anfangen, immer einfließen zu lassen, dass man alle wichtigen Entscheidungen selbst trifft, darüber zu jammern, wie viel man zu tun hat, bei eigenen Fehlern im Ego-Nirvana verharren. Aber auch Chefs sind erstaunlicherweise nur Menschen. Musste ich auch auf die harte Tour lernen, sprich: Ich kenne diese Fehler alle von mir.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Ehrlichkeit und echtes Interesse, auch wenn ein Mitarbeiter private Probleme offenbart, die möglicherweise im Unternehmen gar nichts zu suchen haben. Manchmal müssen die Interessen der Firma zurückstehen und der Kollege in den Mittelpunkt gerückt werden. Und das gilt für jeden Kollegen, egal, ob wir uns gut oder schlecht verstehen.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Also, ich werde hier sicher nicht so einen Quatsch sagen wie „Geld ist mir nie so wichtig gewesen.“ Ehrlich, mir ist Geld wichtig. Die Frage ist immer nur: Ist das Geld Schmerzensgeld? Das geht in der Regel nicht lange gut.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Begeisterung. Das ist doch schon mal die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Und ich möchte bitte niemals den Spruch „Das haben wir aber schon immer so gemacht“ hören.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen, die Sie erhalten?

Vielleicht bin ich ein alter weißer Mann, aber ich achte auf korrekte Rechtschreibung und Grammatik. Außerdem möchte ich aus einer Bewerbung herauslesen, ob jemand eine Type ist, jemand, der vielleicht schräg, aber trotzdem oder gerade deswegen etwas Besonderes sein könnte.

Duzen oder siezen Sie?

So viel wie möglich duzen. Allein schon, um mich gegenüber jüngeren Kollegen nicht all zu alt zu fühlen.

Was sind Ihre größten Stärken?

Das ist jetzt natürlich reine Selbsteinschätzung – so was kann bekanntlich gefährlich sein! Also: Loyalität (sogar bis hin in einen schmerzhaften Aggregatzustand), Verlässlichkeit, vorausschauend in Verbindung mit strategischem Denken, sehr ehrlich (manchmal auch eine Schwäche von mir).

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ich bin emotional zu aufgeladen, wenn ich mit Narzissten zu tun habe. Habe ein paar in meiner über 30-jährigen Laufbahn erlebt. Theoretisch müsste man diese Leute mit Schmeicheleien manipulieren, also auf keinen Fall ihnen ehrlich die Meinung sagen, sondern einfühlsam agieren, ihnen ständig zustimmen und behutsam die Richtung verändern. Daran bin ich aber immer gescheitert. Aber wer weiß, vielleicht bin ich selbst einer?

Welche anderen Entscheider würden Sie gern mal kennenlernen?

Liam und Noel Gallagher sowie Meghan und Kate.

Was würden Sie sie fragen?

Ich würde mich bei diesen Paarungen jeweils einfach nur still dazusetzen und zuhören. Das könnte so richtig schön knallen.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: Ohne meinen Anwalt kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber wir werden alle älter und gelassener. Sowohl die Betriebsräte als auch ich.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Beim Aktualisieren meiner iPhone-Kontakte. Plötzlich nur noch Hieroglyphen zu sehen. Ansonsten mache ich täglich Fehler, die sind aber in der Regel gar nicht so schlimm, wie das Wort „Fehler“ vermuten lässt.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Nicht die „Morning-Show“ zu moderieren. Das habe ich ausprobiert und festgestellt: Das kann ich so gar nicht, wichtige Selbsterkenntnis. Das muss ich so genialen Leuten wie John Ment und Stübi überlassen.

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche?

Bis vor vier Wochen zwischen 50 und 65. Musste das sein? Was wurde dadurch besser? Diese Fragen kann ich noch nicht für mich beantworten, kommt noch.

Wie viele Stunden schlafen Sie pro Nacht?

Kommt darauf an, wie gut ich schlafe. Während der letzten zwei Jahre bei Radio Hamburg unter der Woche fünf bis sieben Stunden. Und tatsächlich: In der Nacht von Sonntag auf Montag waren es in der Regel nur vier bis fünf. Ob da schon eine Message drinsteckte?

Wie kommunizieren Sie?

Auf keinen Fall per Twitter, ich hasse Twitter. In der Regel auch nicht über WhatsApp, dieser Kommunikationsweg geht bei Problemen immer schief. Also am liebsten direkt. Mindestens per Telefon oder face2face.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Aktuell weniger als vier Stunden in der Woche, in der Radio-Hamburg-Zeit circa 50 bis 60 Prozent des Tages.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat erteilen sollen …

Sei einfach du selbst, verstell dich nicht. Das führt nicht automatisch zum Ziel, manchmal überhaupt nicht, ist aber für das Seelenheil sehr wichtig.

Und zum Schluss: Was wollten Sie schon immer mal sagen?

Die Beatles sind besser als die Stones, auf Burger gehört kein Gemüse, und Pepsi Cola ist Mist.