Hamburg. Teilnehmer loben begonnene Überprüfung der Verträge mit Islamverbänden. Kritik vom Antisemitismusbeauftragten.
Vertreter von Senat, SPD und Grünen haben die in der vergangenen Woche begonnene Überprüfung und Bewertung der 2012 geschlossenen Verträge zwischen der Stadt und alevitischen und islamischen Verbänden gelobt – und zugleich die scharfe Kritik der deutsch-türkischen Publizistin Necla Kelek daran deutlich zurückgewiesen. Am vergangenen Mittwoch hatte der Senat wie berichtet Vertreter der Religionsgemeinschaften und gesellschaftlicher Gruppen zu einem „Fachtag“ geladen, um über Erfolge und Schwächen der 2012 unterzeichneten Verträge zu sprechen. Mit dem Treffen beginnt ein längerer Evaluationsprozess, an dessen Ende eine Zwischenbilanz stehen soll.
Islamverträge: Hamburger Senat weist Kritik zurück
Die 2012 geschlossenen Verträge regeln analog zu Abkommen mit anderen Religionsgemeinschaften etwa den gemeinsamen Religionsunterricht oder die Anerkennung islamischer Feiertage. In den vergangenen Jahren hatte es Kritik an den Verträgen gegeben, weil einzelne direkte oder mittelbare Vertragspartner wie DITIB und Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) laut Kritikern gegen den Geist der Verträge verstießen – das aus dem Iran beeinflusste und vom Verfassungsschutz beobachtete IZH etwa durch Teilnahme an antisemitischen Demonstrationen. Kelek hatte dem Senat vorgeworfen, zum Fachtag Kritiker und Opposition nicht eingeladen und schwierige Themen ausgespart zu haben. Das wies der Senat zurück.
„Es waren alle Fraktionen der Bürgerschaft eingeladen, und auch sonst ist breit eingeladen worden – etwa auch der Antisemitismusbeauftragte“, sagte Senatssprecherin Julia Offen. „Es haben sich in der Veranstaltung selbstverständlich auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer kritisch geäußert. Sowohl im Plenum als auch in den Panels sind alle wesentlichen Themen angesprochen worden, deshalb wurden die Panels auch breit aufgestellt.“
Der Senat wertet das erste Treffen als Erfolg
Der Senat wertet das erste Treffen als Erfolg. „Der Fachtag hat deutlich gemacht, dass Hamburg mit den Verträgen einen bundesweit viel beachteten Schritt gegangen ist, der für die muslimische Bevölkerung ein wesentlicher Schritt zu Anerkennung und Wertschätzung ist und die Zusammenarbeit in vielen Bereichen geprägt hat“, sagte Offen. „Insbesondere ist hieraus der Religionsunterricht für alle entstanden, der bundesweit als vorbildlich gilt und wichtiger Beitrag zu Integration und Antidiskriminierung ist.“ Betont worden sei auch die gute Zusammenarbeit etwa in Flüchtlings- und Coronakrise – oder im Bereich der Extremismus-Prävention.
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„Die Staatsverträge sind ein Gewinn für die Stadt. Sie bilden eine wichtige Basis für Austausch und Sicherung des religiösen Lebens“, sagte Özlem Nas, stellvertretende Vorsitzende des Rats der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg (SCHURA), einem der Vertragspartner. Auch Kritiker seien anwesend gewesen, und es habe genügend Raum für ihre Kritik gegeben. „Es wurden viele Baustellen thematisiert, wie die noch immer fehlende Besetzung der Lehrstühle der religionsbefassten Fächer oder fehlende Grundstücke für würdevolle Gebetsstätten“, so Nas. „Die Zusammenarbeit mit dem Senat ist konstruktiv. Konfliktfelder werden konsequent angesprochen und angegangen.“
Scharfe Kritik an Kelek und dem Abendblatt-Artikel kam von Ex-Staatsrat Volkmar Schön (CDU), einem Vordenker der Verträge, die in der Regierungszeit der CDU vorbereitet und 2012 von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) unterzeichnet wurden. Er bezeichnete die Bestsellerautorin als eine „Frau, die selbst ständig darlegt, dass sie – völlig losgelöst von den Staatsverträgen – ein grundlegend gestörtes Verhältnis zum Islam hat“, sagt Schön. „Frau Kelek, die selbst eingeladen war und sich äußern konnte, beklagt, dass weder Zivilgesellschaft, noch oppositionelle Parteien, noch säkulare Vertreter eingeladen worden seien. Diese Aussage ist schlichtweg unwahr. Das zeigt doch schon ihre eigene Teilnahme.“
"Die Ergebnisse sind wichtige Bausteine innerhalb der Diskussion über die Verträge“
Die frühere Bürgerschaftsvizepräsidentin Christiane Schneider (Linke) betonte: „Mit den Staatsverträgen hatte die Stadt vor zehn Jahren einen ersten, wichtigen Schritt zur Anerkennung und Gleichstellung der islamischen Gemeinschaften getan, wozu das Grundgesetz auch verpflichtet. Sie sind zugleich Grundlage, auftauchende Probleme im Zusammenleben in einer interkulturellen Gesellschaft anzusprechen und zu lösen.“ In Hamburg seien mehr als 100 Religionen präsent. „Wir müssen und wir wollen miteinander leben, nicht kritiklos, aber respektvoll und solidarisch“, so Schneider. Einseitige Kritik oder Berichterstattung diskriminiere „einen nicht kleinen Teil der Stadtgesellschaft und belastet so das friedliche Zusammenleben“.
SPD-Religionspolitiker Ekkehard Wysocki sagte, die Kritik am Fachtag entbehre jeder Grundlage. Keleks Aussagen seien „erstaunlich, da sie selbst als ausgewiesene Kritikerin eingeladen war und teilgenommen hat“. Der Fachtag stehe „am Beginn eines kritisch-konstruktiven Prozesses“. Grünen-Religionspolitiker Michael Gwosdz sagte, er könne die Kritik nicht nachvollziehen. „Die Ergebnisse sind wichtige Bausteine innerhalb der Diskussion über die Verträge“, so Gwosdz. Für eine kritische Diskussion sei es wichtig, „den Blick der Vertragspartner auf die Verträge festzuhalten“. Laut Linken-Religionspolitikerin Insa Tietjen gibt es großes Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung zum Thema. Das zeige die Teilnahme von Vertretern aus Wissenschaft, Verbänden und von anderen Religionen.
Kelek ist nicht die Einzige, die sich an der Tagung stößt
Allerdings ist Kelek nicht die Einzige, die sich an der Tagung stößt. Es gibt weiter Kritik an dem Treffen in der vergangenen Woche. „Wenn die Evaluation parallel zu einer Sitzung der Bürgerschaft stattfindet, wird der ganze Vorgang zu einer Farce“, sagte CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator – und widersprach so Parteifreund Schön. „Solange Abgeordnete nicht an der Evaluierung teilnehmen können, kann es keine Prüfung der Gültig- und Sinnhaftigkeit der Verträge geben.“ Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein warnte vor einer „gezielten Verhinderung eines objektiven Evaluationsprozesses durch Etablierung einer Kuschelrunde“.
Der Hamburger Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel hatte die Teilnahme an der Veranstaltung abgelehnt, wie er dem Abendblatt sagte. Es hätten die Probleme mit dem vom Verfassungsschutz beobachteten IZH nicht auf der Tagesordnung gestanden. „Das zeigt, dass man das Thema nicht breit diskutieren will“, so Hensel. Natürlich sollten „Muslime, die das wünschen, einen Vertrag mit der Stadt haben können“, sagte Hensel. „Aber jeder Vertrag hat Klauseln, die erfüllt werden müssen. Und doppelte Standards sind auch nicht im Sinne der Muslime selber.“
Zur Fortsetzung der Evaluation geben Religionsgemeinschaften und Behörden nun laut Senat schriftliche Stellungnahmen ab. In der Bürgerschaft wird dann weiter über die bisherige Bilanz der Verträge beraten – und darüber, wie es mit der Zusammenarbeit weitergehen soll.