Hamburg. Ein Ingenieur und eine Soziologin bewerben sich um den Landesvorsitz der Hamburger Linken. Moderate bei Delegiertenwahl vorn.

Nein, zuletzt stand es wirklich nicht gut um Die Linke, nicht bundesweit und in Hamburg auch nicht. Es tobte in der 2007 gegründeten Partei ein Richtungsstreit zwischen den Flügeln, in Hessen gab es Sexismusvorwürfe gegen das Führungspersonal, die Wahlergebnisse wurden immer bescheidener – und dann erhob zuletzt auch noch der Hamburger Parteisprecher Keyvan Taheri Rassismusvorwürfe gegen die eigene Parteiführung. In diesem erbärmlichen Zustand lassen sich vermutlich nicht mal Blumentöpfe gewinnen, der Kapitalismus überwinden schon mal gar nicht.

Aber nun soll alles anders und besser werden bei den Linken, und dafür wollen auch Thomas Iwan und Sabine Ritter sorgen. Der Bauingenieur und die Soziologin haben am Wochenende ihre Bewerbung für den Landesvorsitz der Hamburger Linken eingereicht, sie wollen also Landessprecher werden, wie das bei den Linken heißt – und damit beim Parteitag am 10. September die noch amtierenden Keyvan Taheri und Zaklin Nastic beerben.

Linke Hamburg: Iwan und Ritter haben gute Chancen

Iwan und Ritter werden gute Chancen eingeräumt. Denn hinter ihrer Kandidatur stehen offenbar weite Teile der eher realpolitisch orientierten Abgeordneten und Mitglieder. „Realpolitiker“ will allerdings kein Linker genannt werden, das muss man dazu sagen, weil das in der Partei verpönt ist.

Fakt ist: Der 36-jährige Iwan und die 54 Jahre alte Ritter werden von einer Gruppe unterstützt, die sich „Konkret Links“ nennt und in der sich die großen Strömungen der Bewegungs­linken und der Reformer zusammen­gefunden haben. Beide kann man eher zu den moderateren Linken rechnen, sie wollen also nicht unbedingt morgen die Revolution anzetteln und die Rathäuser erstürmen – und üben beim Thema UkraineKrieg scharfe Kritik an Russland.

Moderaten haben Nase vorn

Auf der anderen Seite steht der linke Flügel um die Gruppe „Quo Vadis“, die sich der gescheiterten „Aufstehen“-Bewegung von Sahra Wagenknecht verbunden fühlt, und die verquer dogmatische „Liste Links“, mit der ergraute Dauerstudenten seit Jahrzehnten an der Uni jugendlichen Nachwuchs rekrutieren und lange auch die Parteitage dominierten.

Diesmal aber haben bei der Wahl der Parteitagsdelegierten in den Bezirken die Moderaten klar die Nase vorn, sodass die Chancen von Iwan und Ritter gut stehen, zu den neuen Gesichtern der Hamburger Linken zu werden. Ihr erstes Ziel dürfte es dabei sein, den zerstrittenen Laden zu befrieden. „Wir wollen, dass wir in der Partei wieder in Ruhe arbeiten, nach außen geeint auftreten und auch auf die Straße gehen können“, sagt Iwan, der seit 2017 Mitglied der Linken und derzeit Fraktionsvize in der Bezirksversammlung Wandsbek ist.

„Wir bieten Sozialberatungen an"

„Zuletzt sind wir vor lauter Diskussionen, in welche Richtung es gehen soll, im Endeffekt oft stehen geblieben.“ Die Linke sei eine „plurale Partei“, Job des Vorstands sei es, „Diskussionsräume zu organisieren, Debatten zu moderieren und die Ergebnisse dann zu kommunizieren – und auch die Zusammenarbeit mit Bündnispartnern mit zu organisieren“.

Zwar spielt der Vater eines zweijährigen Sohnes und BVB-Fan bei den Freizeit­kickern des FC Joy in der Innenverteidigung, aber Attacke kann er auch – und er weiß, wo die Flanken der Regierenden offen sind. „Wir bieten Sozialberatungen in manchen Stadtteilen an, und da sehen wir, wie die Leute teilweise schon Panik bekommen, weil sie Energiepreise, Mieten und immer teurer werdende Lebensmittel nicht mehr bezahlen können“, so der bei der Stadt angestellte Ingenieur und Ökonom.

„Wir wollen eine sozialistische Gesellschaft"

„Viele stehen vor der Privatinsolvenz. Armut ist Stress, und Menschen, die dies betrifft, haben oft keine Kraft mehr, sich zu artikulieren oder auf die Straße zu gehen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen eine Stimme zu geben.“

Das sieht auch Sabine Ritter so, die 2005 einmal kurz in der SPD gewesen, dann aber entnervt wieder aus- und 2018 in Die Linke eingetreten ist – und heute vor allem die Unterschiede zur Sozialdemokratie betont. „Wir wollen eine sozialistische Gesellschaft, die SPD hat dieses Ziel aufgegeben und macht neoliberale Politik“, sagt die Mutter zweier erwachsener Kinder, die derzeit Parteisprecherin im Kreis Eimsbüttel ist. Allerdings geht die promovierte Soziologin, die als Dozentin an der Uni Bremen arbeitet, auch mit Teilen der eigenen Partei hart ins Gericht.

Spitze gegen Sahra Wagenknecht

„Wir wollen künftig ein gemeinsames Angebot vorlegen, das überzeugt“, so Ritter. „Zuletzt war es oft nicht hilfreich, wenn Parteiprominente kurz nach Parteitags­beschlüssen bei Twitter schon dagegen Stimmung machten. Und dieses Gequatsche von angeblichen ‚skurrilen Minderheiten‘, um die sich Die Linke zu viel kümmern würde, hat viel kaputtgemacht.“

Gemeint ist offenkundig die omnipräsente Sahra Wagenknecht, die ihrer eigenen Partei zuletzt vorwarf, dort kämpften „Lifestyle-Linke“ fast nur noch für „skurrile Minderheiten“ und nicht um Politik für die von Armut gebeutelten Menschen.

Ritter und Iwan weisen Vorwürfe zurück

Das weisen Ritter und Iwan natürlich empört zurück. Schon der von ihnen formulierte Leitantrag für den Parteitag vom 9. bis 11. September zeige schließlich, was sie alles an konkreter Politik vorschlügen. Unter dem Titel „Die Linke Hamburg im Aufbruch für eine solidarische Zukunft“ fordern sie darin einen Mietendeckel, die Weiterführung des 9-Euro-Tickets, die Rekommunalisierung der Krankenhäuser, Tempo 30 in der ganzen Stadt und einen Hamburger Mindestlohn von 13,50 Euro pro Stunde. Na gut, die Summe wirkt etwas knauserig gewählt, denn die Bürgerschaftsfraktion hatte bereits 14 Euro gefordert. Aber das soll nun auf dem Parteitag ein Änderungsantrag heilen.

So oder so: Dass Ritter und Iwan offenbar sehr weite Teile der Partei hinter sich haben, zeigt die illustre Liste der Unterzeichner ihres Antrags. Dort finden sich mit Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus nicht nur die Vorsitzenden der Bürgerschaftsfraktion, sondern auch viele andere heutige und frühere Abgeordnete – und Vertreter unterschiedlicher Strömungen aus allen Bezirken.

Linke Hamburg: Ritters und Iwans Chancen stehen gut

Ob die beiden tatsächlich den Auftrag bekommen, Hamburgs Linke aus der Krise in eine glorreiche sozialistische Zukunft zu führen, das hängt auch von den letzten Delegiertenwahlen ab – und davon, was die Gegenseite noch so für Pläne schmiedet. Dass Ritters und Iwans Chancen wirklich gut stehen, zeigte sich am Sonnabend in Mitte, einem Parteikreis, der zuletzt stets den linken Flügel unterstützte. Selbst hier setzten sich bei der Wahl der Parteitagsdelegierten diesmal die Moderaten durch.