Hamburg. Seit Monaten tobt der Konflikt zwischen dem Landesvorstand und vier JuLis – jetzt tritt deren Vorsitzende entnervt zurück.
In Parteien ist es so wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auch: Es finden sich Menschen mit ähnlichen Interessen zusammen, um gemeinsam etwas Sinnvolles zu bewegen. Wenn es gut läuft. Bei der Hamburger FDP läuft es nicht gut. Wieder einmal.
Seit mehr als fünf Monaten erschüttert ein im Grunde drittklassiger Konflikt die Freidemokraten. Auf der einen Seite stehen vier Junge Liberale (JuLis) – Ex-JuLi-Landeschef Carl Cevin-Key Coste, JuLi-Chefin Theresa Bardenhewer, JuLi-Landesvize Nils Knoben und die Pressesprecherin der Verbandes, Gloria Teichmann. Auf der anderen Seite ist es praktisch der komplette Landesvorstand um Parteichef Michael Kruse, seit der Wahl 2021 Bundestagsabgeordneter.
FDP Hamburg: JuLis verschärften den Ton
Am Anfang stand die Kritik der JuLis an den aus ihrer Sicht zu laschen Beschlüssen der Partei zu Waffenlieferungen in die Ukraine. Dann: Nachdem Kruse Ende März angekündigt hatte, er wolle gegen die Hamburger Corona-Hotspot-Regelung klagen, nannte Ex-JuLi-Chef Coste den Vorstoß „eine PR-Aktion und einer Rechtsstaatspartei nicht würdig“. Auf diese Polemik reagierte der Landesvorstand, indem er Coste flugs von seinem Posten als rechts- und innenpolitischer Sprecher abberief, was auch nicht als zurückhaltende Reaktion durchgehen kann.
Daraufhin verschärften die JuLis den Ton und sprachen im Zusammenhang mit Costes Abberufung von „politischer Säuberung“ und „inhaltlicher Gleichschaltung“. Zwar bat JuLi-Vize Knoben kurz darauf um Entschuldigung für die der NS-Terminologie entlehnte Wortwahl, aber der Landesvorstand sah offensichtlich den Zeitpunkt gekommen, ein Exempel zu statuieren. Das Spitzengremium beschloss in einer mittlerweile parteiintern berüchtigten Sitzung am Gründonnerstag ein Parteiausschlussverfahren gegen die vier jungen Liberalen einzuleiten.
JuLis bestehen auf kompletten Verzicht
Der Landesvorstand verzichtete allerdings darauf, das Landesschiedsgericht tatsächlich anzurufen, aber der entsprechende Beschluss des Gremiums eine Woche später sieht lediglich vor, das Ausschlussverfahren „zunächst nicht weiter“ zu verfolgen. Das reicht den JuLis nicht, die auf komplettem Verzicht bestehen.
Es ist Kruse und seinen Mitstreitern nicht gelungen, den internen Streit im Laufe der folgenden Monate zu befrieden. Im Gegenteil: Was als politische Auseinandersetzung mit den Mitteln der Polemik und Provokation – vielleicht in jugendlichem Übereifer – begann, beschäftigt mittlerweile Anwälte und das Schiedsgericht der Partei. Die JuLis sehen sich allein durch die Androhung eines Ausschlussverfahrens in ihren Mitgliedsrechten verletzt und fordern vom Parteivorstand eine Entschuldigung.
Gerhart Baum vertritt Klage gegen die Parteispitze
Der Nachwuchs hat eine mehr als 400 Seiten umfassende Klage beim Landesschiedsgericht der Partei eingereicht. Anwaltlicher Vertreter ist kein Geringerer als FDP-Urgestein Gerhart Baum, Ex-Bundesinnenminister. Dreimal hat das FDP-Präsidium bereits um Verlängerung der Frist gebeten, bis zu der ein eigener Schriftsatz vorgelegt werden muss. Kruse bestätigte einen Zeitungsbericht Mitte Juli, wonach sich die Anwaltskosten auf 10.000 Euro belaufen werden – ziemlich viel für einen kleinen Landesverband.
Die FDP bezeichnet sich gern als Rechtsstaatspartei, ist aber auch eine Partei der Rechthaber und Prinzipienreiter – das gilt wohl für beide Seiten in diesem Konflikt. Ein Schlichtungsversuch des FDP-Ehrenmitglieds Gerhold Hinrichs-Henkensiefken scheiterte am Beginn dieser Woche, ehe er so richtig begonnen hatte. Die vier JuLis sagten ein erstes Gespräch mit Hinrichs-Henkensiefken ab, weil ihre Forderungen an den Landesvorstand – unter anderem die komplette Rücknahme des Antrags auf Parteiausschluss – nicht erfüllt worden waren. Der Moderator hatte jedoch auf einem Gespräch ohne Vorbedingungen bestanden. Die Fronten blieben also verhärtet.
Theresa Bardenhewer erklärte ihren Rücktritt
Wie hoch der Preis für eine derartige Auseinandersetzung ist, die von Beginn an sehr ins Persönliche ging, zeigt dies: Am Freitag erklärte Theresa Bardenhewer gegenüber dem Abendblatt ihren Rücktritt als JuLi-Landesvorsitzende, nur wenige Monate nach ihrer Wahl. „Als junge Frau wurde ich psychisch unter Druck gesetzt“, sagt Bardenhewer und nennt Namen. „Ria Schröder (Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Landesvorsitzende und Ex-JuLi-Bundeschefin, die Red.) und Michael Kruse haben direkt in der ersten Woche meiner Amtszeit begonnen, mich massiv unter Druck zu setzen“, so die scheidende JuLi-Chefin.
Weil sie zu ihren inhaltlichen Überzeugungen gestanden habe, sei versucht worden, ihre Autorität bei den JuLis zu untergraben. So wurde ein Misstrauensvotum gegen Bardenhewer gestartet, hinter dem sie Kruse und Schröder als treibende Kräfte vermutet. Allerdings sprachen die JuLi-Mitglieder ihrer Vorsitzenden mit klarer Mehrheit das Vertrauen aus.
Theresa Bardenhewer "unter Druck gesetzt"
Der Parteiführung gehe es nur darum, „mich unter Druck zu setzen und mich letztlich politisch zu zerstören“, sagt Bardenhewer. Die Frustration, „meine Freizeit nicht in die inhaltliche Arbeit, sondern in so einen absurden Streit stecken zu müssen, gibt den Ausschlag, als Landesvorsitzende der JuLis zurückzutreten“, so die Jura-Studentin, die sich nun auf ihr zweites Staatsexamen konzentrieren will.
Es ist bereits die zweite Demission in dieser Affäre: Vor ein paar Wochen hatte sich bereits der frühere Bürgerschaftsabgeordnete und Ex-HSV-Präsident frustriert aus dem Landesvorstand zurückgezogen. Vielleicht ist der Rücktritt der 26 Jahre alten Nachwuchspolitikerin Bardenhewer und ihre Begründung ein Anlass, einen Moment innezuhalten.
FDP scheiterte bei Bürgerschaftswahl
Beide Seiten haben sich in diesem Konflikt mit gegenseitigen Vorwürfen nicht geschont und prägen damit seit Monaten das Bild einer Partei, die in Hamburg ohnehin wieder einmal am Rande der Bedeutungslosigkeit steht. Die Liberalen scheiterten bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 an der Fünf-Prozent-Hürde, wenn auch knapp, und sind nur noch mit der direkt gewählten Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein und dem von der SPD übergelaufenen Sami Musa im Parlament als der zentralen landespolitischen Bühne vertreten.
Jenseits der Grenzen des Stadtstaats gibt es eine gewisse Fassungslosigkeit darüber, dass es Kruse und seinen Mitstreitern nicht gelungen ist, den Zwist mit dem Nachwuchs aus dem Weg zu räumen. Die Hamburger Scharmützel fielen in die Zeit des Wahlkampfs und der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. FDP-Spitzenkandidat Bernd Buchholz und Parteigrande Wolfgang Kubicki sollen außer sich gewesen sein über die Entwicklungen bei den Hamburger Parteifreunden inmitten ihrer Kampagne. Auch vom FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner wird berichtet, dass er Kruse dazu gedrängt habe, den Streit aus der Welt zu schaffen.
„Ich stehe für einen eher sozialliberalen Kurs"
Die Geschichte des Konflikts zwischen der Parteispitze und dem aufmüpfigen Nachwuchs wäre nicht vollständig erzählt, wenn ein weiterer Aspekt fehlen würde: Bei der Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl 2021 kandidierte Coste auf Platz eins gegen Kruse – und unterlag deutlich. Kruse sieht es so, dass die JuLis den Konflikt mit ihm wollen und dass es um mehr geht als den mehr formalen Streit rund um das Parteiausschlussverfahren. Er, Kruse, habe Coste nach dessen Niederlage als rechts- und innenpolitischen Sprecher in die Vorstandsarbeit eingebunden. Doch der Ex-JuLi-Chef habe mit seinen polemischen Äußerungen gegen ihn gegen die Leitlinien der innerparteilichen Zusammenarbeit verstoßen.
Möglicherweise, so wird in der Partei spekuliert, betreibe Coste bereits die eigene Profilierung mit Blick auf die nächste Bürgerschaftswahl 2025. Coste reagiert gelassen. „Es gehört zum Geschäft, dass man mal gewinnt und mal verliert. Ich kann damit leben, dass ich mit 25 Jahren nicht im Bundestag sitze“, sagt der Ex-JuLi-Chef mit Blick auf die gescheiterte Kandidatur und betont die inhaltlichen Unterschiede zu Kruse: „Ich stehe für einen eher sozialliberalen Kurs, er für einen eher konservativ-wirtschaftsliberalen.“
Heftige Fehden gehören zur Geschichte der Hamburger FDP
Das klingt nicht nach einem schnellen Ende der Auseinandersetzungen. Heftige persönliche Fehden, bei denen das Politische auch manchmal völlig aus dem Blick gerät, gehören zur Geschichte des FDP-Landesverbands. Zwei Beispiele: Im Juli 2007 trat Wieland Schinnenburg wenige Monate vor der Bürgerschaftswahl als FDP-Spitzenkandidat zurück. „Einige Funktionäre haben ihren Chef gemobbt. Es hat ein monatelanges Kesseltreiben gegen mich gegeben“, sagte Schinnenburg damals. In einer turbulenten Vorstandssitzung hatten Mitglieder deutliche Kritik an einem kurzfristig präsentierten Wahlkampfkonzept Schinnenburgs geübt, der daraufhin seine Sachen packte und verschwand.
Im Sommer 2014 erlebten die Elbliberalen wieder Chaos-Tage: Katja Suding, bis zu ihrem Rücktritt 2021 die Erfolgsgarantin der Elb-FDP, und die damalige Bundestagsabgeordnete Sylvia Canel waren aneinander geraten. Suding war nur bereit, erneut auf Platz eins der Landesliste zu kandidieren, wenn ihre Widersacherin Canel gar nicht antritt. Canel zog zurück, aber die Sache kochte weiter. Schließlich trat Parteivize Najib Karim mit Aplomb von seinem Amt zurück und gleich ganz aus der Partei aus. „Es gibt keine Vernunft in der FDP. Man reißt sich nicht zusammen, sondern bekämpft sich nur“, sagte Karim. Canel folgte ihm bald darauf. Beide gründeten die Partei Neue Liberale, der jedoch kein Erfolg beschieden war.
FDP Hamburg: Coste stellt Antrag
Karims FDP-Bilanz gilt vielleicht ein bisschen auch in dem aktuellen Streit. Wenn sich der Landesvorstand am kommenden Montag trifft, ergibt sich immerhin erneut die Chance, den Konflikt beizulegen. Coste stellt einen Antrag, mit dem der Landesvorstand sehr umfassend seine Fehler einräumen und die gegen die JuLis gerichteten Entscheidungen komplett zurücknehmen soll. Chancen: eher gering.
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Aber auch das FDP-Präsidium plant nach Abendblatt-Informationen, einen eigenen Antrag vorzulegen, mit dem das Gremium den Beschluss zur Einleitung des Ausschlussverfahrens gegen die vier JuLis endgültig aufheben soll. Eine ihrer zentralen Forderungen wäre damit erfüllt. Vielleicht gibt es doch noch die Chance, diesen ungleichen Konflikt ohne einen Spruch des Schiedsgerichts beizulegen.