Hamburg. Der Ex-Digitalchef von Gruner + Jahr möchte nach der Medien- nun die Gesundheitsbranche digitalisieren. Über seine innovative Firma.

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Er war anderthalb Jahrzehnte einer der bekanntesten Medienmanager Deutschlands, gehörte zu den Ersten, die rein digital dachten – und wer einmal seinen Namen gehört hatte, vergaß ihn nicht wieder. Stan Sugarman hat lange für Gruner + Jahr („Stern“) gearbeitet, wechselte dann zu Salesforce, mit rund 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines der größten Softwareunternehmen der Welt. Und heute?

Heute ist der 54-Jährige Mitinhaber der GAIA AG, einer Hamburger Firma, die digitale Gesundheitsanwendungen entwickelt und wie ein Start-up daherkommt, aber gar keines ist – sondern eher das, was man einen heimlichen Champion nennt. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Stan Sugarman über seine neue Rolle als Unternehmer, über verschreibungspflichtige Medizin-Apps, die bei verschiedenen Krankheiten helfen – und über eine Firma, die vor allem virtuell funktioniert.

Das sagt Stan Sugarman über ...

… seinen Weggang von Gruner + Jahr:

„Die Reise war zu Ende, und zwar von beiden Seiten. Wenn man so lange in einem Unternehmen gearbeitet hat, hat man irgendwann das Gefühl, alles gesehen und erlebt zu haben und nichts mehr dazuzulernen. Das war meine Sicht. Und Gruner + Jahr brauchte auf der Führungsebene frisches Blut und neue Impulse, die es auch bekommen hat. Ich finde sehr, sehr spannend, was gerade mit dem Zusammenschluss von RTL und Gruner + Jahr passiert, das finde ich nicht nur mutig, sondern auch richtig.“

… einen alten Studienkollegen, Mario Weiss:

„Ich habe mit dem Gründer der GAIA AG, mit Mario Weiss, zusammen studiert, und ich habe seinen Weg immer verfolgt. Ich wollte nach dem Studium dorthin gehen, wo die Digitalisierung sofort begann, und das waren damals die Medien. Mario hat sich nach unserer gemeinsamen Zeit an der Uni auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens konzentriert, das war aber ein viel längerer Weg.

Die Gesundheitsbranche ist in Sachen Digitalisierung jetzt dort, wo vor 20 Jahren die Medien waren, es fühlt sich an wie Internet 1.0, wie damals in der Anfangsphase bei Gruner + Jahr. Die Notwendigkeit, medizinische Angebote zu digitalisieren, ist immens, das beginnt beim Kostendruck und endet bei dem Mangel an medizinischem Personal, der uns schon heute beschäftigt und in den nächsten Jahren noch stärker beschäftigen wird.“

… die Corona-Pandemie, die sowohl ihn als auch seine neue Firma verändert hat:

„Mein Kontakt zu Mario hat sich durch die Corona-Pandemie wieder verstärkt. Ich war für Salesforce in Singapur, als er mich anrief und fragte, ob ich ihm einen Ratschlag geben könne, wie man eine Firma führe, wenn plötzlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice seien. Ich habe damals Coaching-Runden mit seinem engsten Führungskreis angeboten, und die haben so viel Spaß gemacht, dass Mario gesagt hat: Stan, wenn du zurück nach Hamburg kommst, sollten wir uns zusammensetzen und etwas gemeinsam machen.

Heute sind wir übrigens eine überwiegend virtuelle Firma, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten von überall auf der Welt, wenn wir neue Leute einstellen, dann geschieht das ausschließlich online. Die komplette Firma trifft sich in Präsenz nur zweimal im Jahr, auch die Führungskräfte treffen sich zu 95 Prozent online, ich habe im Sommer überwiegend von der Nordsee aus gearbeitet. Wir brauchen nach wie vor persönliche Kontakte, aber dabei kommt es nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an.“

… seinen Weg vom Angestellten zum Unternehmer, vom amerikanischen Milliardenkonzern zum Hamburger Mittelständler:

„Salesforce ist ein wahnsinnig interessantes, erfolgreiches und riesengroßes Unternehmen. Aber mir hat gefehlt, direkt an den Entscheidungen beteiligt zu sein. Ich wollte die Strategie einer Firma nicht nur umsetzen, sondern mitbestimmen, und ich wollte immer ein Miteigentümer sein. Als Mario mir genau das bei der GAIA AG ermöglicht hat, war das eine einmalige Gelegenheit, die ich annehmen musste.“

… digitale Gesundheitsanwendungen:

„Wir haben mit velibra die erste Anwendung entwickelt, die bei Sorgen und Ängsten hilft und die von den Krankenkassen bezahlt wird. In diesem Bereich, den Digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA, sind wir in Deutschland und weltweit führend. Das wird eine sehr, sehr große Branche werden, wir stehen da wirklich noch am Anfang. Inzwischen gibt es sogenannte DiGA von uns unter anderem zur Behandlung von Depressionen (deprexis), zur Nachsorge bei Brustkrebs (optimune), für Menschen mit chronischer Erschöpfung bei MS (elevida), für Alkoholkranke (vorvida) und demnächst wird es auch etwas für Borderline-Patienten geben.

Ich glaube, dass wir das klassische Gesundheitssystem in allen Bereichen mit unseren Produkten unterstützen und entlasten können. Letztlich entwickeln wir eine Art Therapeuten für die Hosentasche, der immer dann da ist, wenn man ihn braucht. Das ist gerade bei psychischen Erkrankungen wichtig, bei denen man selbst in Städten wie Hamburg bis zu sechs Monate auf einen Termin bei einem Arzt warten muss. Doch auch bei körperlichen Erkrankungen – insbesondere dann, wenn sie psychische Komponenten haben – können DiGA eine große Hilfe und Erleichterung für Patienten und Patientinnen sein.“

… die Kosten:

„Unsere Kunden sind Ärzte und Ärztinnen, weil alle unsere Produkte verschreibungspflichtig sind. Wir müssen sie auf unsere Reise mitnehmen und sie davon überzeugen, dass DiGA kein Voodoo sind, sondern wirksam, die Therapie sinnvoll ergänzen und Ärzte und Ärztinnen dadurch auch in ihrem Praxisalltag entlasten können.

Die Nutzung eines Online-Programms auf Rezept kostet für einen Zeitraum von 90 Tagen zwischen rund 100 und circa 1000 Euro in Deutschland, in den USA liegen die Preise etwas höher, der amerikanische Markt ist für uns im Moment der wichtigste. Aus unserer Sicht sind DiGA eine große Chance, jederzeit eine verfügbare Therapie anzubieten für alle Menschen, die eine solche benötigen.“

… seinen Namen:

„Bernd Buchholz, mein ehemaliger Chef bei Gruner + Jahr, hat einmal im Scherz zu mir gesagt: Wenn ich dich beim nächsten Treffen als Stanislav Zuckermann vorstelle, wird sich kein Mensch an dich erinnern ... Klar habe ich davon profitiert, dass ich aus den USA komme und dass mein Name so ist, wie er ist, das ist nicht zu bestreiten.“

Fragebogen

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Basketballspieler, weil ich Magic Johnson und Larry Bird vergöttert habe und weil ich Basketball immer noch toll finde.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Entdeck die Welt: Es gibt mehr als nur Kalifornien.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Marc Benioff.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

„Ich werde dir nicht empfehlen, eine Karriere auszusuchen, bei der du viel schreiben musst.“

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?

Im Winter 2021 sprach ich mit Mario Weiss, Gründer und Vorstandsvorsitzender der GAIA AG, über das Unternehmertum und die Digitalisierung des Gesundheitssystems. Mein vorheriger Arbeit­geber Salesforce hat das 1-1-1 Modell verfolgt: 1 Prozent der Zeit, 1 Prozent der Ressourcen und 1 Prozent des Gewinns werden genutzt, um die Welt zu verbessern. Darüber musste Mario nur lächeln:

„Bei GAIA investieren wir 100 Prozent unserer Zeit und Ressourcen für eine bessere Zukunft. Die Behandlung von Krankheiten durch digitale Innovation und die Verbesserung des Wohlbefindens unserer Patienten ist der Kern unseres Unternehmens.“ Bei GAIA habe ich die unglaubliche Möglichkeit, als Miteigentümer und Manager meine Erfahrung und Fähigkeiten einzubringen, um einen Unterschied im Gesundheitswesen zu machen.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Andreas Schmidt, Bernd Buchholz, Julia Jäkel, Polly Sumner und Mario Weiss.

Auf wen hören Sie?

Meine Frau.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Leidenschaft für Qualität; Kundenzen­trierung; Innovation

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Micro-Managing; Loben für mittelmäßige Leistung; Potenzial nicht fördern.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Offenheit, Motivation, eine lange Leine lassen, solange Ziele erreicht oder übertroffen werden; ständig neue Herausforderungen stellen.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

War wichtig, ist wichtig, aber ist nicht das Einzige im Leben.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Ehrlichkeit, Neugier, Pragmatismus.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Attitude – alles andere kann man beibringen.

Duzen oder siezen Sie?

Duzen (geht in der Gesundheitsbranche in Deutschland nur bedingt).

Was sind Ihre größten Stärken?

Optimismus, Motivator, Resilienz.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Geduld; Dem Genitiv ;-)

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Özlem Türeci.

Was würden Sie die Medizinerin, die mit ihrem Mann BionTech gegründet hat, fragen?

Welche Herausforderung haben Sie bei der Entwicklung von RNA nicht erwartet? Wie können wir RNA-Impfstoffe und digitale Therapien optimal kombinieren?

Was denken Sie über Betriebsräte?

Das hängt stark von der Unternehmenskultur ab.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Gestern.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Nach Deutschland zu kommen.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

50 bis 60.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

7,5.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Meditation – Daily Calm zehn Minuten pro Tag und eine Minute vor jeder Zoom-Konferenz.

Wie kommunizieren Sie?

Direkt, offen, im gegenseitigen Austausch – WhatsApp, Google Chat, Zoom und in Präsenz.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Bei GAIA vertrauen wir auf einen totalen Flex Workstyle, und als ein 100% virtuelles Unternehmen brauche ich keine Zeit am Büroschreibtisch zu verbringen.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Ich rate jungen Menschen immer, sich für neue Geschäftsfelder zu entscheiden (heutzutage: AI, GenTech, DTx, Rene­wables, usw.).

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Sugarman?

Gar nichts.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Positive Veränderungen für die Gesellschaft fangen bei Einzelnen an.