Hamburg. Isabella Vértes-Schütter, der Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, über die Rüchkkehr des Publikums nach Corona und ihre Karriere.

Sie wollte Schauspielerin werden und studierte trotzdem Medizin, um schließlich eine Stelle als Ärztin abzulehnen – und doch ans Theater zu gehen. Inzwischen ist Isabella Vértes-Schütter 25 Jahre lang Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und damit eine Institution in der Hamburger Kultur.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht sie über die Kindheit mit einer berühmten Mutter, die Rückkehr des Publikums nach Corona – und über Kontinuität und Kreativität in einem Theater. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Isabella Vértes-Schütter über ...

… den langen Weg des Ernst Deutsch Theaters an die Mundsburg:

„1951 ist das Theater in den Großen Bleichen gegründet worden, später ging es weiter in die Neue Rabenstraße und über die Marschnerstraße schließlich 1964 an unseren heutigen Standort, die Mundsburg. Hier stand einmal das größte Kino Hamburgs, das Ufa-Kino an der Mundsburg mit 1200 Plätzen. Friedrich Schütter hat damals nach einer neuen Spielstätte gesucht, weil das Theater in der Marschnerstraße zu klein geworden war.

Er hat den Zuschlag für die Mundsburg erhalten. Sonst wäre dort ein Supermarkt eröffnet worden. Der damalige Besitzer der Immobilie hatte Friedrich Schütter zum Glück gesagt: „Dat weer ‘n Theoter, un dat blivt ‘n Theoter.“ So ist es bis heute, wir sind in good old sexy Barmbek, das sich in einer besonderen Weise entwickelt. Ich finde es schön, dass wir an einem Ort sind, an dem sich die Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet.“

… die Rückkehr des Publikums nach Corona:

„Mein Eindruck ist, dass die Menschen eine große Sehnsucht nach dem Theater haben. Wir haben zuletzt 60 Prozent unserer Plätze angeboten, damit unser Publikum sich wohlfühlt. Das sind 450 Plätze, die fast immer ausverkauft waren. Es wird spannend zu sehen, was passiert, wenn wieder alle 743 Plätze zur Verfügung stehen.

Das wird spätestens der Fall sein, wenn es keinen staatlichen Ausgleich für eine freiwillige Selbstbeschränkung mehr gibt. Die Frage wird dann nur sein, ob tatsächlich so viele Menschen wie vor Corona kommen. Damals haben wir eine Auslastung von mindestens 70 Prozent benötigt, um eine schwarze Null zu schreiben.“

... die Menschen, denen das Theater gehört:

„Wir sind eine gemeinnützige GmbH, in der ich geschäftsführende Gesellschafterin bin. Weitere Gesellschafter sind Jens-Peter Löwendorf, unser kaufmännischer Geschäftsführer, Knut Fleckenstein, Peter Schmidt und mein Sohn Daniel Schütter. Wir halten das Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 30.000 Euro. Darüber hinaus gehört uns die Liebe zum Theater, sonst nichts. Natürlich bemühen wir uns, Gewinne zu erzielen, die wir dann aber sofort wieder in das Theater investieren, jetzt zum Beispiel in den Brandschutz.“

… Ihre Mutter Helga Pilarczyk, eine berühmte Opernsängerin:

„Meine Mutter arbeitete als Sängerin an der Hamburgischen Staatsoper, gefühlt habe ich die ersten Jahre meiner Kindheit dort verbracht. Die Oper war mein Zuhause. Und wenn meine Mutter gereist ist, und das ist sie viel, hat sie mich meist mitgenommen. Als sie an der Mailänder Scala gesungen hat, habe ich dort gelebt, das war eine bewegte Kindheit. Ich wollte immer sehr gern mit zu den Auftritten meiner Mutter, und wenn es irgendwie ging, bin ich dabei gewesen.“

… die Frage, warum sie Medizin studierte, obwohl sie eigentlich Schauspielerin werden wollte:

„Ich habe als Jugendliche schwer unter einer Magersucht gelitten, die es zunächst unmöglich gemacht hat, dass ich meinem größten Berufswunsch nachgehen und Schauspielerin werden konnte. Weil ich mich selbst viel mit Krankheit und Gesundheit beschäftigen musste, habe ich mich nach der Schule entschieden, Medizin zu studieren. Ich habe eine Zeit lang in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Eppendorf und in einer Kinderarztpraxis gearbeitet, bin dann aber wieder zu meiner Schauspiellehrerin Prof. Anne Marks-Rocke zurückgegangen.

Sie hat mir geraten, den Weg zur Bühne weiterzugehen. Ich habe mich dann erst mal von der Medizin getrennt und mein Schauspielstudium unter anderem dadurch finanziert, dass ich am ADAC-Pannentelefon gesessen und in einer Bäckerei Frühdienst gemacht habe.“

… Kontinuität und Kreativität:

„An Theatern ist Kontinuität in der Führung gut, wenn es um Menschen geht, die Veränderung mit in ihrem Programm haben. Man muss ständig bereit sein, das Theater und sich selbst neu zu erfinden, das gehört zum Wesen dessen, was wir tun. Die Menschen, die in Leitungsfunktionen sind, sollten beweglich sein und Veränderung suchen. Solange das so ist, hilft Kontinuität einer Institution und schadet der Kreativität nicht.“

… ihren Sohn Daniel und eine mögliche Nachfolgeregelung:

„Mein Sohn Daniel ist Schauspieler und Musiker und ein sehr kreativer Mensch. Wir wünschen uns gemeinsam, dass er eines Tages mein Nachfolger wird. Er würde bestimmt vieles anders machen als ich, aber wir haben beide einen großen Respekt­ vor der Tradition des Hauses. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Übergang gelingt.“

Fragebogen: Intendantin zu werden war ein Versprechen

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Als Kind wollte ich Opernsängerin werden, wie meine Mutter es war. Etwas anderes kam für mich gar nicht infrage.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern mir jemals Ratschläge gegeben hätten. Vielleicht war das gut für mich.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Meine Mutter! Sie war eine Ausnahmekünstlerin und ein außergewöhnlich geradliniger Mensch.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Keine Ahnung.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?

Als ich nach dem Medizinstudium 1986 mein erstes Stellenangebot hatte, habe ich mich entschieden, Schauspiel zu studieren. Das ist bis heute mein Beruf. Nach dem Tod meines Mannes Friedrich Schütter im Jahr 1995 bin ich Intendantin des Ernst Deutsch Theaters geworden, damit habe ich ein Versprechen eingelöst, das ich ihm gegeben hatte. Auch das ist eine Entscheidung gewesen, die bis heute gilt.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Meine Mutter Helga Pilarczyk, meine Pflegemutter Sibylle Trumm und meine Schauspiellehrerin Prof. Anne Marks-Rocke.

Auf wen hören Sie?

Auf meine Kinder.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Souveränität und Gelassenheit.

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Die Macht missbrauchen, die die Position mit sich bringt.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Respekt, Vertrauen und Begegnung auf Augenhöhe.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Zunächst einmal gar nicht wichtig, aber zunehmend wichtig, wenn es darum geht, für eine gerechte Verteilung einzutreten und gegen den Gender Pay Gap zu kämpfen.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Respekt, Vertrauen und Begegnung auf Augenhöhe.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Auf das Interesse der Menschen, an dem, was sie tun möchten.

Duzen oder siezen Sie?

Ich duze.

Was sind Ihre größten Stärken?

Verlässlichkeit, Ausdauer und eine positive Grundeinstellung.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ungeduld mit mir selbst.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Amanda Gorman.

Was würden Sie ihn fragen?

Ich bin neugierig, wie ihr Blick auf unsere Welt ist.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Für mich unverzichtbare, wertvolle Partner.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Ich mache ständig Fehler, ich glaube, das tun wir alle. Meine Überzeugung ist, dass Fehler Helfer sind.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Ich hatte nie das Gefühl, auf einem Karriereweg zu sein. Ich habe immer das gemacht, was ich für richtig hielt.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Keine Ahnung, vielleicht 60, vielleicht mehr.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

6 Stunden.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich versuche, mich nicht so wichtig zu nehmen, höre Musik und lese ein gutes Buch. Yoga finde ich außerdem gut.

Wie kommunizieren Sie?

So direkt wie möglich.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

So wenig wie möglich.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher Ratschlag wäre das?

Folge deiner Leidenschaft.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Ich sage am liebsten immer gleich, was ich denke.