Hamburg. Als Zeuge vor dem PUA „Cum-Ex“ hat es der Bundeskanzler mit innerparteilichen Weggefährten – und Widersachern – zu tun.

Die politisch interessierte Republik wird am kommenden Freitag aufs Rathaus blicken, genauer gesagt in den Plenarsaal der Bürgerschaft. Dann wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dort zum zweiten Mal als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) aussagen, der Licht in die „Cum-Ex-Steuergeldaffäre“ (so der Titel) bringen soll, die nicht nur die Hamburger Politik seit mehr als zwei Jahren beschäftigt und in Teilen erschüttert.

Für Scholz ist es eine Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte als Erster Bürgermeister, auf die er vermutlich gern verzichtet hätte. Bislang hat der PUA nicht den schlüssigen Beweis erbringen können, dass Scholz als Bürgermeister oder sein Nachfolger Peter Tschentscher (SPD) als damaliger Finanzsenator in den Jahren 2016/17 Einfluss auf Entscheidungen der Finanzverwaltung genommen hat, auf Steuerrückforderungen gegen die Warburg-Bank wegen ihrer Cum-Ex-Geschäfte zu verzichten.

Aber es gibt zahlreiche und immer wieder neue Indizien, die mit einiger interpretatorischer Findigkeit den Verdacht der Einflussnahme aufs Neue befeuern. Und natürlich wird Scholz zu den 214.800 Euro in kleinen Scheinen befragt werden, die die Ermittler der Staatsanwaltschaft in einem Bankschließfach des früheren Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs gefunden haben. Auch Kahrs ist im Cum-Ex-Skandal eine Schlüsselfigur.

Cum-Ex: Alter Streit Scholz/Petersen wird präsent sein

Die PUA-Regie bringt es mit sich, dass Scholz am kommenden Freitag im Zeugenstand ausgerechnet auf seinem alten Platz sitzen wird: dem Bürgermeisterstuhl, vorne rechts in der Senatsbank. Nur wenige Meter entfernt wird der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und PUA-Vorsitzende Mathias Petersen sitzen – dort, wo sonst Präsidentin Carola Veit (SPD) die Sitzungen der Bürgerschaft leitet. Scholz und Petersen – beide aus dem SPD-Kreisverband Altona – haben eine gemeinsame Geschichte, die nicht immer konfliktfrei verlief. Diese Geschichte wird im PUA natürlich nicht verhandelt, aber sie dürfte in den Köpfen beider präsent sein.

Vor gut 15 Jahren – die SPD war im Jammertal der Opposition, die CDU regierte allein – war Petersen drauf und dran, Bürgermeisterkandidat der SPD für die Wahl 2008 zu werden. In Umfragen standen die Chancen nicht einmal schlecht, dass es zusammen mit den Grünen für die Sozialdemokraten reichen könnte, den beliebten Christdemokraten Ole von Beust abzulösen. Es ist bekanntlich anders gekommen. In einer beispiellosen innerparteilichen Kampagne wurde Petersen, damals immerhin SPD-Landesvorsitzender, letztlich gestürzt.

Gruppe um Kahrs forderte Petersen zum Kandidaturverzicht auf

Die Details und Hintergründe des vermutlich größten Nachkriegsskandals der SPD zu schildern würde an dieser Stelle zu weit führen. Kurzum: Zunächst erklärten am 14. Januar 2007 fünf der sieben SPD-Kreisvorsitzenden, darunter Mitte-Chef Johannes Kahrs, bei einem mittlerweile legendären Treffen im Old Commercial Room gegenüber dem Michel, Petersen sei nicht geeignet für das Amt des Bürgermeisters, und forderten ihn zum Verzicht auf die Kandidatur auf.

Als das nicht gelang, einigten sich die „Putschisten“ mit dem Petersen-Lager zwei Wochen später auf eine Mitgliederbefragung, die die Entscheidung über die Spitzenkandidatur bringen sollte. Inzwischen hatte sich Dorothee Stapelfeldt, heute Stadtentwicklungssenatorin, bereit erklärt, gegen Petersen anzutreten. Petersen, der „Arzt aus Altona“, verfügte über großen Rückhalt an der Parteibasis, war aber wegen mancher inhaltlicher Alleingänge bei vielen Amts- und Mandatsträgern zunehmend umstritten.

Scholz unterstützte Petersens Gegenkandidatin Stapelfeldt

Scholz, der sich in dieser Zeit auf seine bundespolitische Karriere konzentrierte, war an den Vorgängen nicht direkt beteiligt, unterstützte jedoch die Kandidatur von Stapelfeldt auch öffentlich. Scholz’ Frau Britta Ernst, heute Bildungsministerin in Brandenburg und damals parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, engagierte sich stark gegen Petersen.

Die Sache endete bekanntlich in dem größten Desaster, das die SPD je erlebt hat: Aus einer Urne wurden knapp 1000 Briefwahlstimmen gestohlen. Der oder die Täter sind nie gefunden worden. Am Ende stellte sich heraus, dass Petersen uneinholbar vorn lag, selbst wenn alle geklauten Stimmen für Stapelfeldt gewesen wären. Letztlich trat der komplette Landesvorstand unter kräftiger Einwirkung der SPD-Bundesspitze zurück.

Von Petersens Aus profitierte letztlich auch Scholz, dessen in Berlin gebremste Karriere später als Hamburger Bürgermeister wieder Fahrt aufnahm und ihn ins Kanzleramt führte. Scholz, seit 2009 SPD-Landesvorsitzender, ließ Petersen immerhin im Nachhinein Gerechtigkeit widerfahren. Auf beider Initiative hin arbeitete SPD-Urgestein Harald Muras die Skandalgeschichte rund um den Stimmenklau auf und kam in seinem Bericht zu dem Ergebnis, dass das Vorgehen der „Parteifreunde“ gegen Petersen „menschlich unanständig, politisch unzulässig und verfahrensmäßig undemokratisch“ war.

Scholz bot Petersen nach seinem überragenden Wahlsieg 2011 den Posten des Gesundheitssenators an. Der Arzt aus Altona lehnte ab, wohl auch weil er nicht „unter“ Scholz Senator sein wollte. Politische Freunde wurden die beiden auch in den folgenden Jahren nicht mehr.

Fragen nach Kahrs dürften Scholz gewaltig nerven

Johannes Kahrs wird zwar nicht vom PUA befragt werden können. Der langjährige SPD-Mitte-Chef und einflussreiche Bundestagsabgeordnete beruft sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, da gegen ihn Ermittlungen wegen Cum-Ex laufen. Aber Kahrs, der 2020 Knall auf Fall seine politische Karriere beendete, ist im Ausschuss allgegenwärtig – nicht erst durch seine werthaltigen Schließfach-Einlagen. Er soll unter anderem 2016 und 2017 den Kontakt zu Scholz für Warburg-Banker Christian Olearius hergestellt haben, dessen Treffen mit dem damaligen Bürgermeister inzwischen verbürgt sind.

Wenig dürfte Scholz so sehr nerven wie der Umstand, dass er jetzt laufend zum Verhalten von Johannes Kahrs gefragt wird. Die beiden könnten als Politiker-Typen nicht unterschiedlicher sein. Wo Kahrs auch bei parteiinternen Konflikten Schwert und Säbel einzusetzen pflegte, ficht Scholz allenfalls mit dem Florett. Kahrs war für seine beinharte Personalpolitik zugunsten seiner Mitte-Genossen bekannt und berüchtigt, und er hatte keine Bedenken, als Abgeordneter enge Beziehungen zu autokratischen Staaten wie Aserbaidschan zu unterhalten.

SPD-Mann: Scholz empfindet „geradezu körperliche Abneigung“ gegen Kahrs

Ein Sozialdemokrat, der die beiden seit Langem sehr gut kennt, sagt: „Scholz empfindet eine geradezu körperliche Abneigung gegen Kahrs.“ Dennoch galt über viele Jahre eine Art Burgfrieden oder Nichtangriffspakt zwischen den beiden mächtigsten Hamburger Sozialdemokraten auf der Berliner Bühne, die vermieden, sich ins Gehege zu kommen. Scholz suchte als Bürgermeister nie den Konflikt mit Kahrs und erfüllte weitgehend seine Wünsche, etwa bei der Besetzung von Senatsposten. Umgekehrt war von Kahrs nur öffentliches Lob über Scholz zu hören. „Das war das Prinzip: Eine Hand wäscht die andere“, sagt ein bekannter Sozialdemokrat. Gelegentliche Zweckbündnisse inklusive.

Dagegen gilt das Verhältnis Petersen – Kahrs als irreparabel. Der Mitte-Mann war einer der lautesten und öffentlichen Petersen-Gegner, als es um dessen Bürgermeister-Kandidatur ging. Laut Muras-Bericht trägt Kahrs zwar „keineswegs eine besondere Verantwortung“ für den Sturz Petersens. Aber er hat als einer der Ersten Stimmung gegen ihn gemacht.

Petersen ließ Kahrs politisch überleben

Petersen sieht es in der Rückschau als seinen großen Fehler an, dass er als damaliger SPD-Landesvorsitzender Kahrs 2005/2006 „überleben“ lassen hat, nachdem bekannt geworden war, dass das langjährige Mitglied im Verteidigungsausschuss Spenden in Höhe von mehreren Zehntausend Euro aus der Rüstungsindustrie für seinen Wahlkampf angenommen hatte. Von 2013 bis 2020 war Petersen Altonaer SPD-Kreisvorsitzender und geriet 2019 mit SPD-Mitte-Chef Kahrs aneinander.

Kahrs wollte die Bezirksgrenze zwischen Altona und Mitte im Bereich St. Pauli-Süd/Altona-Altstadt zulasten Altonas um gut 200 Meter nach Westen bis an die Straße Pepermölenbek verschieben. Das hätte auch die Wahlkreise für die Bürgerschaftswahl verändert und die Chancen des SPD-Kandidaten in St. Pauli-Süd vermutlich erhöht. Petersen lehnte ab. „Du bist ein unsolidarisches A…“, soll Kahrs Petersen angefahren und das Telefongespräch abrupt beendet haben.

Freund, Feind, Parteifreund – diese Steigerung gilt hier wohl auch …