Hamburg. Zwei junge Menschen aus Indien verlieben sich in Hamburg. Die Familien stammen aus anderen Kasten. Ein Versteckspiel mit Todesfolge.
Es ist ein Fall, der an William Shakespeares „Romeo und Julia“ erinnert. Zwei junge Menschen lieben einander, dürfen aber nicht zusammenkommen. „Am Ende wird jemand getötet, aber nicht aus Hass, sondern aus Verzweiflung“, erzählt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel.
Das Duo hat in diesem Podcast den pensionierten Richter Wolfgang Backen zu Gast, mit dem sie über einen seiner außergewöhnlichen Fälle als Schwurgerichtsvorsitzender sprechen. „Verzweiflung führte sicherlich mit dazu, dass eine junge Frau umgebracht wurde“, erklärt Backen. „Aber ebenso Eifersucht und Egoismus ihres Geliebten. Dieser Mann meinte eines Tages, ihr Tod sei besser als die Vorstellung, sie könnten nicht immer als richtiges Paar zusammengehören.“
Dem Tod auf der Spur: Indische Liebe scheitert an Religion
Es ist die Geschichte von Nancy und Krishna, zwei jungen Menschen, die ursprünglich aus Indien stammen. Als sie sich dann in Hamburg zufällig in einem Sikh-Tempel begegnen, verlieben sie sich Hals über Kopf ineinander. Allerdings können sie sich nur heimlich treffen. „Das Paar befürchtete, die Freundschaft werde von Nancys Familie niemals akzeptiert werden“, erklärt Backen. „Zwar gehörte Krishna derselben Religionsgemeinschaft an, aber er stammte aus einer anderen Kaste, die Nancys Familie aus tiefstem Herzen verachtete.“
Stattdessen arrangierte Nancys Mutter für die 19-Jährige eine Ehe. Die junge Frau sollte einen entfernten Verwandten heiraten, den sie bisher nur einmal flüchtig kennengelernt hatte. Die Heirat wurde zügig terminiert. „Die junge Frau fügte sich“, berichtet Backen. „Denn ihr fehlte der Mut, für ihre Liebe zu Krishna zu kämpfen. Und sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass die arrangierte Ehe ja mehr oder weniger nur auf dem Papier stehen werde.“
Familie beschwichtigt Tochter nach deren Flucht
Allerdings versäumte Nancy, ihrem Geliebten Krishna von dieser Ehe zu erzählen. Erst zwei Tage nach der Heirat stellte sie ihn vor vollendete Tatsachen. Krishna S. reagierte sehr betroffen und eifersüchtig. Er verlangte von ihr die sofortige Scheidung. Auch Nancy belastete die Ehe sehr. Sie entschloss sich, mit Krishna S. durchzubrennen und bei Bekannten zu wohnen.
„Eine Weile blieb Nancy bei ihrer Entscheidung, suchte sogar einen Anwalt auf, um eine Scheidung durchzusetzen“, erzählt Mittelacher. „Doch ihre Familie überredete sie schließlich, zu ihnen zurückzukommen.“ Man versprach ihr, dass sie sogar Krishna heiraten dürfe, wenn sie dieses tatsächlich wolle. Aufgrund dieser versöhnlichen Worte zog Nancy wieder in die elterliche Wohnung zurück.
Familie setzt junge Frau unter Druck
„Aber es war keine ehrlich gemeinte Versöhnung, sondern eine Falle“, fasst Püschel die weiteren Geschehnisse zusammen. „Die Familie stellte Nancy unter Hausarrest.“ „Die junge Frau war verzweifelt und sah nun ein, dass sie sich endlich zwischen Krishna und ihrer Familie entscheiden müsse, um ihre innere Ruhe zu finden“, ergänzt Backen. „Sie weinte mehrere Tage und gab schließlich übermüdet und entnervt dem Drängen ihrer Familie nach, die endlos auf sie eingeredet hatte. Sie teilte ihrem Anwalt telefonisch mit, sie nehme ihren Scheidungsantrag zurück.“ Unterdessen wollte Nancys Ehemann klare Verhältnisse schaffen und sorgte dafür, dass Krishna von mehreren Schlägertypen angegriffen wurde.
Doch Nancy war weiter hin- und hergerissen. Sobald sie die erste Gelegenheit hatte, heimlich zu telefonieren, rief sie ihren Geliebten an, um einen letzten schönen Tag mit ihm zu verbringen. „Es sollte ein Fest der Liebe werden“, berichtet Mittelacher. „Aber der Tag mündete in eine Katastrophe.“
Junge Frau weist bewaffnete Geliebten zurück
Fatal war schon, dass Krishna S. zu diesem Treffen ein Küchenmesser eingesteckt hatte, erläutert Püschel. „Er tat dies, so erzählte er es später, weil er seit dem Angriff durch Nancys Ehemann Angst habe. Das Messer sei nur zur Verteidigung gedacht.“ Es gebe aber immer wieder Fälle, so der Rechtsmediziner, „wo genau solche Situationen eskalieren.
Und am Ende ist jemand sehr schwer verletzt – oder sogar tot.“ Zunächst aber verlief der Tag bei Nancy und Krishna „äußerst harmonisch und liebevoll“, schildert Backen. „Deshalb dachte Krishna, sie hätten doch eine gemeinsame Zukunft. Aber am Ende sagte Nancy ihrem Freund, dass sie ihre Familie trotz ihrer überwältigenden Liebe zu ihm nicht aufgeben wolle.“
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Krishna reagierte wütend und heftig. Erst stieß er Nancy eine Treppe hinunter, dann zog er das Küchenmesser und stach seiner Freundin mit Wucht insgesamt neunmal in den Körper. „Diese Messerstiche führten zu multiplen Organverletzungen“, erläutert Püschel. „Nancy starb kurze Zeit später im Krankenhaus.“
Im späteren Prozess gegen Krishna S. sagte ein psychiatrischer Sachverständiger, dass es sich bei dem Verbrechen vermutlich um eine Affekttat gehandelt habe. Krishna S. wurde wegen Totschlags im September 2012 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Richter Wolfgang Backen hat diesen Fall auch selber in seinem Buch aufgegriffen. Der Titel: „Das Leben ist zerbrechlich“.