Hamburg. Eine dramatische und tieftraurige Geschichte: Eine Mutter will nicht mehr leben. Doch die Ersten, die sterben, sind ihre beiden Kinder.

Zwei kleine Kinder sind gestorben — durch die Hand ihrer Mutter. Das klingt nach einem furchtbaren Schicksal und einer herzlosen Mutter. Doch wer die Geschichte miterlebt hat, erfährt, dass die Frau unter dem Tod ihrer Kinder am meisten gelitten hat. Sie hat — so absurd es klingen mag — ihre Tochter und ihren Sohn aus Verzweiflung getötet.

„Später hat sie auch noch ihr eigenes Leben beendet. Sie tat es ebenfalls aus Verzweiflung“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Die 37-Jährige hat den Tod ihrer Kinder und ihre Schuld daran, dass sie die beiden jungen Leben ausgelöscht hat, nicht verwunden. Es ist wirklich eine hochdramatische Geschichte, wie man sie auch in mehr als 45 Jahren Rechtsmedizin selten erlebt.“

Dem Tod auf der Spur: Kinder werden bewusstlos

Die Ereignisse um die 37 Jahre alte Frau spitzen sich im April 1995 zu. Lange schon ist die Mutter zweier Kinder unglücklich gewesen. Ihre Ehe funktioniert nicht mehr, ihr Mann will sich endgültig trennen. Die zutiefst verzweifelte Frau sieht für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr. Sie fährt sie mit dem Auto in einen Wald.

Mit im Wagen hat sie ihre sechs Jahre alte Tochter und den zweieinhalb Jahre alten Sohn. „Kathrin und Kon­stantin haben keine Ahnung, was ihnen bevorsteht“, erzählt Mittelacher. Im Wald montiert die Mutter einen Schlauch so am Auspuff des Wagens, dass von dort die Abgase ins Innere ihres Fahrzeugs geleitet werden. Dann steigt sie zurück ins Auto zu ihren schlafenden Kindern und wartet.
Irgendwann wird sie bewusstlos.“

Nach vielen Stunden entdeckt ein Förster die Kinder

Als ein Förster viele Stunden später das Auto entdeckt, sind die Kinder nicht mehr zu retten. Die 37-Jährige indes kann wiederbelebt werden. Sie liegt in einer Klinik mehrere Tage im Koma, bevor sie wieder zu sich kommt. „Ich glaube aber nicht, dass die Frau auch nur für einen Moment daran gedacht hat, dass sie überleben könnte“, betont Mittelacher.

„Ich habe die 37-Jährige später im Prozess als Angeklagte erlebt, wo sie wirklich abgrundtief verzweifelt wirkte, vor allem darüber, dass sie Schuld am Tod ihrer Tochter und ihres Sohnes trägt.“ Bis zum Prozess, in dem sich die Frau 13 Monate später verantworten muss, ist die 37-Jährige im Psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, weil dies nach Überzeugung von Sachverständigen notwendig wird, um sie halbwegs zu stabilisieren.

Angeklagte hat die Tat nicht bestritten

„Dass die Frau selber für den Tod ihrer beiden Kinder verantwortlich ist, ist nicht wegzureden“, meint Püschel. „Totschlag, begangen im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit, wirft die Staatsanwaltschaft der gelernten Speditionskauffrau vor. Und die Angeklagte hat die Tat ja auch nie bestritten.“

„Stimmt“, bestätigt Mittelacher. Im Prozess sagt die Frau weinend zu den Richtern: „Es gibt Tage, da würde ich auch heute vom Hochhaus springen. Meine größte Strafe habe ich schon – dass ich meine Kinder nicht mehr habe.“ Die Angeklagte erzählt, dass ihre Kinder für ihren Mann „mehr Last als Lust gewesen“ seien. Als er sich schließlich wegen einer anderen Frau von ihr trennte, „tat sich in dem Moment ein Abgrund auf“.

Mutter wollte Suizid begehen

Sie habe nun Suizid begehen und ihre Kinder mitnehmen wollen, „weil ich sonst das Gefühl gehabt hätte, ich ließe sie im Stich“, erzählt die 37-Jährige. „Sie würden untergehen, Rand­figuren sein.“ Sie habe dafür gesorgt, dass beide Kinder fest schlafen, während sie die Abgase ins Auto leitete. Sie sagt: „Ich wollte nicht, dass sie leiden.“

„Ein Suizid, bei dem jemand nicht nur sich selber umbringt, sondern auch noch weitere Personen in den Tod mitnimmt, wird oft ,erweiterter Suizid‘ genannt“, meint Püschel. „Ich mag diesen Ausdruck überhaupt nicht. Denn dabei klingt mit, als würden die anderen Personen, die in den Tod mitgenommen werden, einem Suizid zustimmen. Aber in vielen, vielleicht sogar den meisten Fällen, ist das nicht so. Insbesondere wenn Kinder betroffen sind. Sie sind vollkommen wehrlos!“

Angeklagte bekommt zwei Jahre Haft

Im Prozess gibt es für die Mutter schließlich ein sehr maßvolles Urteil, weil die Frau tatsächlich eine Verzweiflungstat begangen hat. Das Gericht verurteilt die 37-Jährige zu zwei Jahren Haft — mit Bewährung. Das Urteil wird noch im Gerichtssaal rechtskräftig.

Der Richter sagt damals: „Wir beim Schwurgericht haben es regelmäßig mit menschlichen Tragödien zu tun. Aber diese menschliche Katastrophe hat alle Verfahrensbeteiligten besonders berührt.“ Und an die Angeklagte gewandt betont er: „Wir können nur hoffen, dass Sie sich so weit stabilisieren, dass Sie ein Leben führen können, das Ihnen lebenswert erscheint.“

Dem Tod auf der Spur: Frau beging Suizid

Die Frau hat es aber nicht geschafft. Sie hat sich immer wieder um Therapien bemüht, bekommt aber nur Absagen. Acht Monate nach dem Urteil folgt sie ihren Kindern in den Tod.

Püschel und Mittelacher betonen in ihrem Podcast, dass es für Menschen, die keinen Ausweg mehr in ihrem Leben zu sehen glauben, zahlreiche positive Angebote gibt. „Suchen Sie professionelle Hilfe! Es gibt sie!“