Hamburg. „Ohne Gas wäre es für uns das Aus“: Wie hart ein Lieferstopp Aurubis, Jungheinrich, Airbus und Co. träfe – und was sie dagegen tun.

Arnold Mergell braucht nur wenige kurze Sätze, um zu erklären, was der Firma Hobum Oleochemicals im schlimmsten Fall droht: „Wir produzieren mit Hochdruckdampf. Ohne Erdgas können wir keinen Dampf erzeugen. Wenn wir gar kein Gas mehr bekämen, könnten wir überhaupt nichts mehr produzieren. Es wäre das Aus“, sagt der Chef des mittelständischen Chemieunternehmens.

Im Harburger Binnenhafen stellt die Firma im Familienbesitz mit gut 50 Beschäftigten, die Mergell gemeinsam mit seinem Bruder John-Philip führt, aus Pflanzen­ölen Grundstoffe unter anderem für Farben, Lacke, Kunst- und Klebstoffe her. Was das Werk an der Konsul-Ritter-Straße verlässt, wird von anderen Chemieunternehmen etwa zu Auto-Unterbodenschutz oder zu Speziallack für die Innenbeschichtung der Tanks von Airbus-Flugzeugen weiterverarbeitet.

Gaskrise: Öl soll die Lücke bei Hamburger Firma schließen

Von der gesamten Energie, die bei Hobum Oleochemicals verbraucht wird, sind bislang zehn Prozent elektrischer Strom. Die restlichen 90 Prozent stammen aus Erdgas. Zwölf Millionen Kilowattstunden pro Jahr, ungefähr so viel wie 800 Vier-Personen-Haushalte verbrauchen. Das soll, das muss sich jetzt ändern. Die Mergell-Brüder stellen sich darauf ein, dass das Unternehmen bei einem dauerhaften Lieferstopp von russischem Gas nach Deutschland zwischen 20 und 30 Prozent weniger von dem Energieträger zur Verfügung haben wird.

Nun soll Öl diese mögliche Lücke schließen. Schon vor Wochen haben die Mergells einen sogenannten Zweistoffbrenner für einen der beiden Dampfkessel in ihrem Werk bestellt. Der kann sowohl mit Erdgas als auch mit Öl betrieben werden. Arnold Mergell nennt es „eine Kurzfristlösung“.

Gaskrise: Hamburger Unternehmen bereiten sich vor

So wie der Mittelständler aus Harburg bereiten sich eine ganze Reihe Hamburger Unternehmen darauf vor, kurzfristig mit deutlich weniger Erdgas auskommen zu müssen und es mittel- bis langfristig ganz zu ersetzen. Teils sind wegen der immensen Preissteigerungen für diese Art der Energie Produktionsabläufe bereits umgestellt worden. Ein Überblick zum Stand der Dinge.

Aurubis gehört zu den größten Energieverbrauchern

Die Kupferhütte auf der Veddel gehört zu den größten Energieverbrauchern in der Hansestadt und setzt dabei zu fast 40 Prozent Erdgas ein. Im vergangenen Jahr waren dies knapp 473 Millionen Kilowattstunden, also annähernd 40-mal mehr als bei Hobum Oleochemicals. Wegen der aktuellen Entwicklungen arbeite Aurubis „bereits seit einigen Monaten intensiv am Umstieg auf alternative Energieträger an unseren europäischen Standorten“, erklärt das Unternehmen. Je nach Standort gebe es verschiedene Szenarien, welche Gasmengen eingespart oder durch Strom, LPG (Flüssiggas) oder Öl ersetzt werden könnten – im besten Fall komplett. Bereits beschlossen ist, im Werk Hamburg einige Aggregate künftig mit Brennstoffen auf Ölbasis zu betreiben.

Auch in den Werken Emmerich des Tochterunternehmens Deutsche Giessdraht und im Aurubis-Werk Lünen sollen mehr Öl und LPG eingesetzt werden. „Hierfür ist insgesamt ein hoher einstelliger Millionenbetrag vorgesehen“, so der Konzern. Wirksam würden die ersten Maßnahmen voraussichtlich im Winter. In Hamburg lasse sich Erdgas kurzfristig jedoch nicht vollständig ersetzen. Theoretisch könnten zwar nahezu alle Prozessschritte auf andere Brennstoffe umgestellt werden, doch das sei zeitnah zum Teil nicht realistisch. „Wir stellen dort um, wo es in der Kürze der Zeit möglich ist und eine Verknappung von Erdgas zu erwarten ist“, lautet die Maxime.

Zudem können einige wenige Produktionsprozesse auf Strom umgestellt werden. Langfristig setzt Aurubis auf Wasserstoff, im vergangenen Jahr gab es in Hamburg ein Pilotprojekt dazu. Doch ist derzeit noch zu wenig Wasserstoff zu einem zu hohen Preis auf dem Markt. Deswegen sei dies keine kurzfristig verfügbare Lösung, um Erdgas zu ersetzen, so ein Aurubis-Sprecher.

Gaskrise: Jungheinrich verweist auf Krisenplan

Beim – wie Aurubis – börsennotierten Gabelstaplerbauer aus Wandsbek verweist ein Sprecher auf langfristige Lieferverträge mit Energieversorgern, versichert aber auch, es gebe einen Krisenplan für den Fall „von ernsthaften Versorgungsengpässen und bei daraus resultierenden regulatorischen Maßnahmen“.

Man muss das so verstehen, dass auch Jungheinrich sich darauf einstellt, womöglich weniger Erdgas zur Verfügung zu haben, wenn die Bundesnetzagentur den Notfall ausruft und Vorgaben macht, welche Verbraucher noch wie viel Gas erhalten. Im Jungheinrich-Werk in Norderstedt würde das vor allem die Lackiererei treffen. Nun werde untersucht, ob die Anlage technisch umgerüstet werde und ob „alternative Lacksysteme“ zum Einsatz kommen könnten, sagt der Sprecher.

Still: Lackiererei ist die Achillesferse

Beim Jungheinrich-Konkurrenten aus Billbrook ist ebenfalls die Lackiererei die Achillesferse im Fall, dass es zu einem Gas-Engpass kommen sollte. „Der Einsatz von Gas im Lackierbetrieb kann nicht ohne Weiteres substituiert werden“, sagt ein Sprecher des Still-Mutterkonzerns
Kion. Insgesamt werde im Werk an der Berzeliusstraße aber verhältnismäßig wenig Erdgas eingesetzt, beheizt werde es mit Fernwärme. Lediglich die Heizung einiger weniger Räume außerhalb des Werks soll nun auf Öl umgestellt werden. Das Unternehmen schafft mobile Heizgeräte an.

Haspa senkt die Temperaturen

An den mehr als 100 Standorten von Deutschlands größter Sparkasse in Hamburg könnte eine Energieverknappung niedrigere Temperaturen am Arbeitsplatz und in den Filialen zur Folge haben. „Eine eventuelle Absenkung der Temperatur in unseren Räumen für Kunden und Mitarbeitende lässt sich, je nachdem wie sich die Situation entwickelt, kurzfristig umsetzen“, erklärt eine Haspa-Sprecherin.

Die Beschäftigten seien zu Energieeinsparungen aufgerufen, den Stromverbrauch habe man bereits durch das Abschalten der Außenbeleuchtung an den Filialen reduziert. Weitere Einsparmöglichkeiten würden geprüft, heißt es.

Auch Lufthansa Technik hat die Raumtemperatur im Blick

Im Hamburger Werk des Unternehmens werden nach Angaben eines Sprechers 80 Prozent des gesamten Gasverbrauchs für die Bereitung von Heizwärme verwendet, nur 20 Prozent in Produktionsprozessen. Bei möglichen Einsparungen hat auch Lufthansa Technik daher vornehmlich die Raumtemperatur im Blick.

„Wir bereiten uns besonders intensiv auf Effizienzmaßnahmen in der nächsten Heizperiode vor“, sagt ein Unternehmenssprecher. Das Einsparpotenzial liege bei etwa 20 Prozent. Weitere etwa 40 Prozent der benötigten Heizwärme könnten durch die Nutzung von Öl ersetzt werden. Dazu sei aber eine Genehmigung von der Stadt notwendig.

Airbus plant Maßnahmen für den Ernstfall

Eher unkonkret äußert sich Hamburgs drittgrößter Arbeitgeber zum Einsatz von Erdgas im Werk auf Finkenwerder, zu möglichen Einsparmaßnahmen und zum Einsatz alternativer Energieträger. Ein Unternehmemenssprecher erklärt: „Airbus beschäftigt sich derzeit intensiv mit der Planung von Maßnahmen, um im Falle einer eventuellen Gas-Notfallstufe die möglichen Auswirkungen für unsere Kunden und Partner, für die Mitarbeitenden und das Unternehmen insgesamt so gering wie möglich zu halten.“

Stahlwerk Hamburg entwickelt Notfallszenarien

„Seit Beginn des Kriegs haben wir bereits die Abhängigkeit von Energieträgern wie Kohle reduziert und den Gasverbrauch auf ein Minimum gesenkt, ohne Produktionseinschränkungen zu haben“, sagt ein Sprecher des Stahlkonzerns ArcelorMittal, zu dem das Stahlwerk Hamburg gehört. Nun sei kein weiteres Senkungspotenzial erkennbar, es würden Notfallszenarien entwickelt für den Fall, dass weniger Gas verfügbar sei. Die Folgen sind absehbar: „Eine weitere Reduzierung von Erdgas in der Produktion hätte direkte Auswirkungen auf die Produktion und damit auf die Beschäftigung.“ Im Werk Hamburg hat es bereits Veränderungen gegeben.

Dort wird mit dem Einsatz großer Mengen Erdgas unter anderem sogenannter Eisenschwamm hergestellt, ein Vorprodukt, das im Elek­troofen weiterverarbeitet wird. Für das Werk in Waltershof sei Eisenschwamm „bereits extern aus Amerika zugekauft“ worden, so der Unternehmenssprecher. Nun müsse schnell die Versorgung mit Flüssiggas erschlossen werden. „Gleichzeitig müssen mit Hochdruck Wind- und Sonnenenergie für die Erzeugung von grünem Wasserstoff ausgebaut werden.“

Gaskrise kann zu Innovationsschub bei Erneuerbaren führen

Mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellter Wasserstoff ist auch Teil der Zukunfts- und Nachhaltigkeitsstrategie bei Hobum Oleochemicals. Nun muss das Unternehmen absehbar erst einmal besonders umweltschädliches Öl nutzen. Doch Albert Mergell hofft, dass die Gaskrise ein heilsamer Schock ist, und ausreichend viel Wasserstoff zu einem konkurrenzfähigen Preis bereits in fünf bis sechs Jahren zur Verfügung steht und nicht erst in zehn bis 15 Jahren. Der neue Zweistoffbrenner ist noch nicht geliefert, das Genehmigungsverfahren für die Anlage läuft noch. Kosten wird sie das Unternehmen „einen niedrigen sechsstelligen Eurobetrag. Ein Teil des ganz ordentlichen Halbjahresergebnisses ist schon mal weg“, sagt Mergell.

Die Zeit der günstigen Energie aus Russland sei endgültig vorbei, ist er überzeugt. „Die deutsche Wirtschaft hatte es lange Zeit sehr bequem damit. Wir selbst ja auch“, sagt der Hobum-Chef. Nun werde die mögliche Versorgungskrise einen Innovations- und Ausbauschub für erneuerbare Energien geben, ist seine Hoffnung. „Erdgas für zwei Cent pro Kilowattstunde“, sagt Arnold Mergell, „war ein süßes Gift.“