Hamburg/London. Uwe Bahn gibt den Ton an, die Passagiere freuen sich auf das Erlebnis Tower Bridge – und auf jede Menge Rockmusik.
Manchmal gibt es Momente im Leben eines Reisenden, die „in echt“ noch emotionaler sind als zuvor erhofft oder erwartet. Dieser wird so einer. Es ist 11.54 Uhr Ortszeit, als die weltberühmte Tower Bridge in London am vergangenen Sonntag bei schönstem Sonnenschein mit hochgeklappter Fahrbahn dasteht und das ankommende Kreuzfahrtschiff aus Hamburg passieren lässt, damit es den besten Liegeplatz der Stadt erreichen kann. Von überall winken staunende Schaulustige hinauf, und die ergriffenen Passagiere grüßen beseelt zurück. Dazu schallt aus den Boxen an Bord der passende Titel: „Bridge over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel.
Ob sich Gäste auf einer Kreuzfahrt wohlfühlen oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Das Wetter spielt eine Rolle, Komfort- und Servicestandards sind wichtig, die Raffinesse und Qualität des Essens ist es natürlich auch. Doch gerade bei kleineren, etwas älteren Schiffen wie der MS „Hamburg“, die eben nicht wie neuzeitliche Ozeanriesen mit massentauglich geschliffenem Entertainmentprogramm und dem letzten Schrei der Technik unterwegs sind, kommen noch zwei weitere Elemente dazu: das Routing und, wenn möglich, die Story, die eine Reise insgesamt erzählt.
Kreuzfahrt "Rock the Boat": Uwe Bahn gibt auf der "Hamburg" den Ton an
Seit vielen Jahren bewegt sich die „Hamburg“ von Plantours erfolgreich in der Nische der schwimmenden Erlebnisanbieter. „Erleben Sie das Gefühl, Neues zu entdecken“ heißt es auf dem Jahreskatalog, und genau dafür geht Oliver Steuber, der Geschäftsführer der Reederei, mit seinem Team immer wieder das eine oder andere Routen-Abenteuer ein. So fuhr man schon vor Corona nicht nur zu den Großen Seen in den USA, nach Grönland, in die Antarktis oder auf Weltreise, sondern auch mit Axel Prahl und Dietmar Bär zu deutschen „Heimathäfen“ oder mit spanischen Bands und Mallorcas Inselradio als „Crucero“ kreuz und quer durch die Balearen.
Bei beiden Formaten hatte ein Hamburger seine Ideen im Spiel, der auf unserer Reise den Ton angibt: Uwe Bahn. Er ist nicht nur einer der bekanntesten Radiomoderatoren Norddeutschlands, sondern auch Kreuzfahrt-Kenner und seit einigen Jahren eingebunden in den Kosmos der Konzert-Experten vom Wacken Open Air. Ob Rockliner mit Udo Lindenberg, „Queen Mary 2“ mit Peter Maffay oder David Garrett, die Full Metal Cruise oder Schippern mit der Kelly Family: All das konnte von der Wacken-Truppe schon realisiert werden.
"Wer Emotionen erzeugen will, muss im richtigen Augenblick die richtige Musik spielen"
Bei keinem der dafür genutzten Schiffe wäre es aber möglich gewesen, die Musik so mit einem speziellen Reiseziel zu verbinden, wie es nun vor wenigen Tagen bei „Rock the Boat“ auf der „Hamburg“ der Fall war und im Sommer 2023 erneut sein wird. Denn diese Kreuzfahrt startet in Hamburg am kleinen Baakenhöft-Terminal in der HafenCity und macht nach einem Seetag direkt in London fest, seit den 1960er-Jahren Epizentrum der Rockmusik. Dort liegt der weiß-gelbe Liner, der maximal 400 Passagiere beherbergen kann, neben dem alten Kriegsschiff HMS "Belfast“, gleich gegenüber dem Tower of London.
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„Wer Emotionen erzeugen will, muss im richtigen Augenblick die richtige Musik spielen“, sagt Gastgeber Bahn, der an Bord nicht nur interessante, hochamüsante Vorträge rund um die Geschichte der Kreuzfahrt und der Rockmusik hält, sondern auch die Begleitmusik aussucht – er hat seine Playlist minuziös auf die Aus- und Einfahrten abgestimmt. So ertönt auf dem Pooldeck „Bohemian Rhapsody“ von Queen, als es am ersten Tag nach dem Wendemanöver an der Elbphilharmonie vorbeigeht, später spielt er bei der Fahrt in den Sonnenuntergang „Where the Streets Have No Name“ von U2 und „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin. Es sind Augenblicke, in denen die Passagiere spüren: Das hier wird eine Kreuzfahrt der etwas anderen Art.
Kreuzfahrt: Krankheitsbedingte Ausfälle können "Rock the Boat" nicht stoppen
Wer lange im Voraus Routen und Programm festlegt, muss damit rechnen, dass mal jemand ausfällt und ein Backup erforderlich wird. So ist es auch bei „Rock the Boat 2022“, denn die als Headliner verpflichteten Rubettes „featuring Alan Williams“ sagten krankheitsbedingt ab. Das liegt zwar nicht am Coronavirus, sondern an einer Notoperation, ist aber ein Problem, bis mit The Lords ein ehrwürdiger Ersatz gefunden ist. Immerhin gilt diese Rockband als dienstälteste in Deutschland – ihre größten Erfolge feierte sie in den 1960er-Jahren, also in der Zeit, in der auch die Beatles und die Rolling Stones für Furore sorgten.
Gut, die Stones füllen bis heute ganze Stadien, und auch Paul McCartney ist immer noch ein Weltstar. Von den sympathischen Lords hört man hingegen nur noch am Rande. Das Publikum an Bord nimmt den Wechsel dennoch mit Verständnis und Vorfreude zur Kenntnis, und beim Konzert in der Schiffslounge ist die Stimmung bald so gut, dass niemand mehr an die Rubettes oder an eine Schutzmaske denkt. Fast absurd wirkt da, dass beim Frühstücksbüfett neben dem obligatorischen Mundschutz immer noch Plastikhandschuhe vorgeschrieben sind ...
"Shine On You Crazy Diamond" schallt über die Themse
Die durchgeimpften und antigen-getesteten Passagiere, in der Mehrheit Ü65 und vielfach sogar Ü75, kennen die Original-Lieder der Lords kaum noch, deshalb wird zu ihrer Musik nur vorsichtig getanzt. Das ist bei der zweiten Bord-Band völlig anders: Sweety Glitter & the Sweethearts, eine enorm bühnenpräsente Cover-Kombo aus Braunschweig, die mit ihren Kostümen und Perücken direkt den 70er-Jahren entsprungen zu sein scheint, bringt mit Klassikern das Auditorium derart in Wallung, dass aus manchem Rollator-Nutzer wieder ein Rock'n'Roller wird.
Doch die absoluten Highlights, bei denen in mehr als einem Gesicht die Augen feucht werden, sind zwei Durchfahrten durch die Tower Bridge: flussaufwärts mitten am Tag, flussabwärts bei Dunkelheit und mit „Shine On You Crazy Diamond“ von Pink Floyd – ein Titel, der 1975 in den legendären Abbey-Road-Studios in London aufgenommen wurde. Damit schließt sich am Ende des rund 35 Stunden dauernden Aufenthaltes der musikalische Kreis, der auch zwei der buchbaren London-Ausflüge bestimmt.
Star-Tour durch London: Auf den Spuren von Hendrix und den Beatles
Während sich die einen zu Fuß oder mit Doppeldecker-Bus und U-Bahn ins Getümmel der Stadt stürzen und andere klassische Trips wie Londons Höhepunkte oder einen Ausflug zum Windsor Castle unternehmen, haben sich jeweils ein paar Dutzend Musikfans auf die Spuren der Beatles (halbtags) oder gleich aller Rocklegenden (ganztags) der Stadt begeben.
Guy, ein Kenner, der für LondonRockTours arbeitet, hat passende Fotos sowie jede Menge Anekdoten mitgebracht und führt die Kreuzfahrer zu jenen Plätzen, die Musikgeschichte schrieben – darunter neben der Abbey Road auch das Regent Sound Studio, in dem die Rolling Stones ihr erstes Album produzierten, und der Club Ronnie Scott, in dem Jimi Hendrix sein letztes Konzert spielte, bevor er starb.
Jimi Hendrix' Haus – und das Dach der Apple Studios
Das Haus, das Hendrix einst bewohnte, wird demnächst ein Museum. „Da soll es aber wilder drin aussehen als es früher tatsächlich war. Denn eigentlich hatte Jimi beim Militär gelernt, seine Sachen in penibler Ordnung zu halten, wie seine damalige Freundin bestätigt“, sagt Guy.
Auch zum letzten Auftritt der Beatles hat er noch eine kleine Geschichte beizutragen: „Das war am 30. Januar 1969 oben auf der Dachterrasse der Apple Studios. Als die benachbarten Banker wegen des Krachs die Polizei gerufen haben, ließen sich die Bobbys extra lange Zeit, bevor sie den Stecker zogen.“
Kreuzfahrt "Rock the Boat": 2023 sollen The Sweet dabei sein
Das Thema Rockmusik war es auch, welches Detlef und Moni aus Hamburg dazu gebracht hat, diese London-Reise zu buchen. „Wir sind bei allen Full Metal Cruises gewesen und haben insgesamt schon 120 Kreuzfahrten gemacht. Die ,Hamburg‘ kannten wir noch nicht, aber es gefällt uns gut – vor allem, weil Uwe hier für so tolle Stimmung sorgt. Und die Getränke schmecken auch“, sagt Detlef. Moni ergänzt: „Ich hatte wirklich Pipi in den Augen, als wir durch die Tower Bridge gefahren sind.“
2023 sollen The Sweet an Bord auftreten, eine der erfolgreichsten Glam-Rock-Gruppen der 1970er-Jahre. Von der Originalbesetzung ist allerdings nur noch Andy Scott dabei – und der ist dann auch schon 74. Aber vom Alter her passt er ähnlich gut zum Törn der Junggebliebenen wie die Diamantnadel zur Vinylplatte.