Hamburg. Die Linke will einen sogenannten Schulversuch durchsetzen. Wie die Partei ihren Vorstoß für mehr Zeit bis zum Abi begründet.

Als Konsequenz aus den pandemiebedingten Lerndefiziten vieler Schülerinnen und Schüler schlägt die Bürgerschaftsfraktion der Linken vor, die Schulzeit um ein Jahr zu verlängern. „So erhalten die Kinder und Jugendlichen die Chance, Versäumtes in Ruhe nachzuholen, ihre sozialen Beziehungen aufzubauen und zu festigen und damit die Voraussetzungen für nachhaltiges Lernen im eigenen Takt zu schaffen“, sagt Linken-Fraktionschefin und Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus.

Im Rahmen eines Schulversuchs soll den teilnehmenden Gymnasien ermöglicht werden, die Zeitdauer bis zum Abitur von acht (G8) wieder auf neun Jahre (G9) zu verlängern. Allerdings müssen sich die Schulen verpflichten, alle Schülerinnen und Schüler nach Klasse sechs zu behalten. Bislang müssen die Kinder auf eine Stadtteilschule wechseln, die nicht nach Klasse sieben versetzt werden.

Schule Hamburg: Auch Stadtteilschulen sollen Zeit bis zum Abi verlängern dürfen

Die Stadtteilschulen sollen ebenfalls die Möglichkeit erhalten, ihre Schulzeit zu verlängern – von G9 auf G10. Die teilnehmenden Schulen müssen sich nach dem Vorschlag der Linken verpflichten, ihre Unterrichtsorganisation jahrgangsübergreifend zu gestalten. Das bedeutet: Die horizontale (klassenweise) Binnendifferenzierung wird auf die vertikale Achse übertragen. Wer mit dem Lernstoff schneller vorankommt, kann sich schon mit den Inhalten der nächsten Stufe beschäftigen.

Boeddinghaus hält es für sinnvoll, wenn mindestens jeweils sechs Schulen beider Schulformen an dem Schulversuch teilnehmen, die dann personell und organisatorisch besser ausgestattet werden. Zusätzliche Maßnahmen wie die Lernferien reichen aus Sicht der Linken nicht aus, um die pandemiebedingten Lerndefizite aufzuholen. „Was wir sehen, ist, dass durch die Schulschließungen des Senats die soziale Spaltung weiter verschärft wurde: Kinder und Jugendliche aus armen Familien wurden noch weiter abgehängt“, sagt Boeddinghaus.

So begründet die Linke ihren Vorschlag für den Schulversuch

Die Linke beruft sich unter anderem auf die Kermit (Kompetenzen ermitteln)-Studie aus dem vergangenen Jahr. “Dort kommt die Arbeitsgruppe zu dem einhelligen Schluss, dass es an den Schulen mit niedrigem Sozialindex deutliche Lernrückstände gibt”, heißt es in der Begründung der Linken für den Schulversuch. Auch die Copsy-Studie des UKE zu den psychischen und emotionalen Belastungen von Kindern und Jugendlichen aufgrund der Pandemie-Erfahrungen komme zu dem Ergebnis, dass ökonomisch benachteiligte Familien “besonders betroffen” seien und sich die Belastungen “auf hohem Niveau stabilisiert” hätten.

“Die schulischen und die psychischen Belastungen sind mit dem bunten Strauß ausschließlich additiver Maßnahmen aus dem zeitlich und finanziell begrenzten Bundesprogramm ,Aufholen nach Corona’ bei weitem nicht zu kompensieren”, schreibt die Linken-Fraktion. Zudem würden die Angebote in der Regel an den schulischen Alltag angehängt.

Das Programm der Lernferien – ein wesentliches Element der Maßnahmen - ist aus Sicht der Linken kein Erfolg, weil nur durchschnittlich 27 Schülerinnen und Schüler einer Schule daran teilnehmen. Es sei “wie Nachhilfe vor einer Arbeit, nur, dass die Lernferien von den Schulen organisiert werden und den Kindern und Jugendlichen noch die Ferien rauben”. Die seitens der Schulbehörde gewählten Maßnahmen seien “weder zielführend noch hinreichend”, heißt es weiter.

Schule Hamburg: Entscheiden über die Verlängerung müsste die Schulbehörde

Schließlich könne die Verlängerung der Schulzeit um ein Jahr die Arbeitsbelastung und den erheblichen Stress der Lehrkräfte spürbar verringern und zu einer entspannteren Arbeitssituation führen. “In der Summe ist der Schulversuch wirksamer und kostengünstiger als die massiven Stunden an Sonderbeschulung und Nachhilfe, die als ,Aufholen nach Corona’ praktiziert werden”, sagt Boeddinghaus.

Laut Hamburgischem Schulgesetz dienen Schulversuche und Versuchsschulen dazu, “das Schulwesen pädagogisch und organisatorisch weiterzuentwickeln”. Mit ihnen können “Abweichungen von Aufbau und Gliederung des Schulwesens, Veränderungen oder Ergänzungen der Unterrichtsinhalte, der Unterrichtsorganisation und der Unterrichtsmethoden... erprobt werden”. Über die Durchführung eines Schulversuchs entscheidet die Schulbehörde.