Hamburg. Geschäftsmann Ragnar Kruse vermisst seinen Koffer und meint, eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Sein Vorschlag.

Kommt der Koffer nun an oder nicht? Flugreisen machen derzeit keine Freude. Da ist die 16-Jährige aus Eimsbüttel, die nach fünf Monaten in Kanada nach Hamburg zurückgekommen ist, aber ohne ihren Koffer mit der Kanadafahne und den Unterschriften ihrer Freunde. Nun fährt sie jeden Tag zum Flughafen Hamburg, um nach ihrem Gepäckstück zu suchen, das vielleicht beim Umsteigen in Frankfurt hängen geblieben ist. Auch Schauspielerin und Moderatorin Nova Meierhenrich macht das so – schon seit drei Wochen. Das sommerliche Kofferchaos an deutschen Flughäfen kann jeden treffen, ob Prominente oder Schüler. Oder auch Unternehmer.

Am vergangenen Dienstag war Ragnar Kruse von einer Geschäftsreise nach San Francisco zurückgekommen. Doch bei der Ankunft in Hamburg fehlte der Koffer mit Kruses Lieblings-Sakko. Die Nachfrage am „Lost & Found“-Schalter brachte nichts – genauso wenig wie die Onlinesuche bei der Lufthansa. Am Sonnabend fuhr Kruse dann zum Flughafen, um selbst nach seinem Koffer zu suchen. Doch gefunden hat er ihn nicht – wie auch? Es seien dort Tausende Gepäckstücke abgestellt, so seine Einschätzung.

Flughafen Hamburg: Kofferchaos-Betroffene helfen sich gegenseitig

Trotzdem lohnte sich die Fahrt zum Airport. Denn Kruse hatte angesichts der vielen Gepäckstücke eine Idee, die vermutlich datenschutzmäßig nicht o. k., aber dafür sehr pragmatisch ist. Er schnappte sich sechs Koffer und fotografierte jeweils Namen und Telefonnummern, sofern diese auf dem Koffer zu sehen waren, und kontaktierte die betreffenden Eigentümer.

„Hallo! Ihr Koffer ist angekommen und steht an Band 5 oder 6 am Flughafen Hamburg“ – so in etwa liefen die Telefonate ab. Auf diese Weise kam ein glückliches Kieler Ehepaar schon zwei Stunden nach Kruses Anruf zum Flughafen und holte seine Koffer ab, genau wie ein Reisender aus Kassel. Manche suchten bereits seit dem 20. Mai ihr Gepäck.

Kruses Idee: Kettenbrief, nur größer gedacht

Damit möglichst viele Passagiere auf diese Weise wieder an ihr Hab und Gut kommen, appelliert Ragnar Kruse an jeden Flugreisenden, es genauso zu machen wie er – ähnlich wie bei einem Kettenbrief, nur sinnvoll: Jeder, der in den Koffer-Massen seinen eigenen sucht, kontaktiert nebenbei sechs weitere Besitzer herrenloser Gepäckstücke. Und diese melden sich beim Abholen ihres Koffers wiederum jeweils bei sechs weiteren Kofferbesitzern. Zu beachten ist: Wer sein Gepäck am Flughafen abholen möchte, muss dort seinen Personalausweis und die Boarding-Karte vorzeigen.

Das wäre ein Anfang. Aber Ragnar Kruse denkt größer, um das Kofferchaos in den Griff zu bekommen: „Deutschland, lasst uns Lösungen finden, zusammen arbeiten und gegenseitig helfen!“ Er fragt sich: Warum bietet man nicht Studenten entsprechende Jobs an? Diese könnten die Eigentümer anrufen und ihnen mitteilen, wo ihr Koffer ist.

Gammel-Gepäck am Flughafen Hamburg

Natürlich haben nicht alle Koffer Namensschilder mit Telefonnummern, aber auch dafür hat Kruse eine Lösung: „Hier müsste man Fotos der Gepäck-Tags machen und die Nummer mit dem Fundort auf einer Website posten. Das wird eine Liste mit Gepäcknummern und Fundstellen, sortiert nach Nummern, sodass jeder dort suchen kann.“ Das wird Kruse diese Woche mit seinen Website-Designern angehen. „Vielleicht findet sich dann auch mein Koffer, der wahrscheinlich noch in München liegt.“

Weil in einigen Gepäckstücken am Hamburger Flughafen wohl Lebensmittel vergammeln, müffelt es in dem Bereich bereits. „Es stinkt bestialisch. Da vergammelt alles Mögliche“, hat Schauspielerin und Moderatorin Nova Meierhenrich bei ihrer Koffersuche bemerkt. „Warum ruft niemand die Koffereigentümer an?“, fragt sich Ragnar Kruse.

Kofferchaos am Flughafen Hamburg: Verantwortung liegt bei Airlines

Der Grund: Die Koffer sind Eigentum der Fluggäste – und in der Obhut der Fluggesellschaften. Taschen und Co. dürfen daher weder geöffnet werden, noch darf der Flughafen die Koffereigentümer kontaktieren. „Das sind sensible personenbezogene Daten. Da sind uns die Hände gebunden“, sagt Flughafensprecherin Janet Niemeyer. „Als Dritte können wir nicht einfach hingehen und diese Koffer öffnen.“

Verantwortlich für das Kofferchaos ist nicht der Flughafen. Dieser stellt lediglich die Flächen für die Gepäckstücke bereit: Derzeit sind Gepäckstücke in Terminal 1 und 2 bis zum Terminal Tango gelagert, so die Beobachtung von Fluggästen. Wie viele Gepäckstücke im Moment in Hamburg herumstehen, ist nicht bekannt. Denn zuständig sind ausschließlich die Fluggesellschaften. Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler hatte die Airlines daher am Wochenende erneut zum Krisengespräch gebeten. Sprecherin Niemeyer: „Wir erwarten von den Airlines, dass sie ihrem Vertrag mit den Passagieren endlich nachkommen und die Koffer zeitnah zustellen.“

Grund für die Misere ist Personalmangel. „Die Gepäckermittlung in Hamburg ist aktuell personell unterbesetzt und das Gepäckaufkommen derzeit extrem hoch. Hier wird mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet“, sagt Jörg Waber von der Lufthansa. Die Abfertigung und die Gepäckermittlung übernehmen Dienstleister im Auftrag der Fluggesellschaften. Ein Eurowings-Sprecher übersandte auf Anfrage einen vorgefertigten Text zur allgemeinen Situation der Luftfahrt, ohne auf die konkret gestellten Fragen einzugehen.

Und Jörg Waber verweist auf das, was ohnehin bekannt ist: „Sollten Fluggäste ihr Gepäck nicht vorgefunden haben, können sie die Verspätung online anmelden. Über den Fortschritt bei der Ermittlung des Gepäcks können sie sich via Lufthansa App, dem Chat Assistent oder auf unserer Webseite informieren. Die Koffer werden in der Aufbewahrung systematisch geordnet.“
Theoretisch. Ragnar Kruse erkannte weder eine Systematik bei der Aufbewahrung – noch konnte er seinen Koffer online finden.