Hamburg. Michael T. nimmt an Mahnwache gegen Antisemitismus teil, als er von zwei Jugendlichen brutal niedergeschlagen wird. Prozess gestartet.
Ganz ruhig steht der Mann da. Er wirkt gefasst. Doch in ihm, erzählt Michael T. (Name geändert), sieht es anders aus. „Ohne Medikamente kann ich nicht mehr durchschlafen“, sagt der 61-Jährige. Und gelegentlich habe er Panikattacken. „Ich habe mich sozial ziemlich zurückgezogen.“
Sein Leben hat sich dramatisch verändert, seit er angegriffen wurde. Es war, so versteht der Hamburger es, nicht nur eine Attacke auf seinen Körper — sondern vor allem auch auf seinen Glauben, seine Identität und seine Kultur. Michael T. ist Jude. Und er wurde schwer verletzt, als er an einer Mahnwache gegen Antisemitismus teilnahm.
Prozessauftakt nach antisemitischem Angriff in Hamburg
Jetzt ist der Mann zum Strafjustizgebäude gekommen, wo ein Prozess gegen zwei Jugendliche beginnt, von denen einer Michael T. einen Fausthieb gegen den Kopf versetzt und ihn damit niedergeschlagen haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 17-Jährigen Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung vor.
Darüber hinaus sind beide Jugendliche, der 17-Jährige und ein 15-Jähriger, angeklagt, weil sie an jenem 18. September vergangenen Jahres Teilnehmer der Versammlung „Mahnwache für Israel – Gegen Antisemitismus“ antisemitisch beleidigt haben sollen. Menschen, die seinerzeit bei dem Vorfall an der Mönckebergstraße dabei waren, erzählten, die Jugendlichen hätten unter anderem „Scheiß Juden“, Scheiß Israel“ und „Free Palästina“ gerufen.
Opfer musste operiert werden – insgesamt drei mal
Auch Michael T. hat, so erzählt er es, als Teilnehmer dieser Mahnwache solche und ähnliche Beleidigungen gehört. Zunächst seien die Teilnehmer gefilmt worden, dann seien die schmähenden Äußerungen gefallen. Der 61-Jährige schildert, er habe daraufhin einen der Störer zur Rede stellen wollen und ihn deshalb angesprochen — und habe dann einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. „Da lag ich dann auf dem Boden.“
Seine Mutter, die ihn damals begleitete und auch jetzt mit zum Prozess gekommen ist, habe ihn gestützt. Kurz danach sei er mit dem Rettungswagen in eine Klinik gekommen, wo er zunächst eine Woche bleiben musste und operiert wurde, so Michael T. weiter. Zwei weitere Eingriffe folgten später. Die Verletzungen des 61-Jährigen: eine Fraktur der Nase, ein Jochbeinbruch und eine Orbitaboden-Fraktur.
Auf einem Auge ist er fast blind
Vor allem ist sein rechtes Auge verletzt. Die Sehfähigkeit auf der Seite sei seitdem erheblich eingeschränkt, und er könne dort nur noch Hell und Dunkel erkennen, erzählt Michael T. Und bei hellem Sonnenlicht, so wie an diesem Tag, müsse er eine Augenklappe tragen, zum Schutz des Auges. Als er damals an der Mahnwache teilnahm, habe er eine Brille getragen, die zerbrach und von der ihm offenbar ein Splitter ins Auge geraten sei.
Außerdem habe er bis heute ein Taubheitsgefühl im Gesicht. Vor allem ist da insgesamt eine Beklommenheit, die ihn bis heute belaste, erzählt der 61-Jährige. Bestimmte Gegenden Hamburgs meide er seit dem Angriff, unter anderem möglichst den Bereich um den Hauptbahnhof. „Als Jude“, sagt Michael T., fühle man sich „da unsicher“.
Noch mehrere Fortsetzungstermine
Der Prozess gegen die beiden Angeklagten findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So will es zwingend das Gesetz, wenn es sich bei den Angeklagten um Jugendliche unter 18 Jahren handelt. Kurz bevor die Verhandlung losgehen soll, huschen der 17- und der 15-Jährige in den Gerichtssaal. Beide halten sich Akten vor ihr Gesicht, um auf Bildern, die von ihnen gemacht werden, nicht erkannt zu werden. Genau das, nämlich Fotos von vom Tatort flüchtenden jungen Männern, hatte schließlich dazu geführt, dass der 17-Jährige und der 15-Jährige als Verdächtige ermittelt wurden. Jetzt in dem Prozess wird es noch mehrere Fortsetzungstermine geben, bis voraussichtlich Anfang August ein Urteil verkündet werden soll. Er hoffe „auf ein gerechtes Urteil“, sagt Michael T., der in dem Verfahren als Nebenkläger auftritt. In einem zweiten Schritt werde er voraussichtlich zudem eine Klage auf Schmerzensgeld einreichen.
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Einer, der bei dem Prozess gern dabei gewesen wäre, ist Stefan Hensel, der Antisemitismusbeauftragte der Stadt Hamburg. Der Wunsch, das Verfahren im Saal als Beobachter verfolgen zu können, ergebe sich „qua Amt“, sagt Hensel, als Beauftragter für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus in Hamburg. Außerdem habe der Verletzte Michael T., der vermutlich bis an sein Lebensende durch die Tat schwer beeinträchtigt sein werde, sich ausdrücklich gewünscht, dass er ihn begleite, erzählt Hensel.
Prozess Hamburg: Antisemitismus-Beauftragter darf nicht zuhören
Doch die zuständige Richterin habe seinen Antrag, zuhören zu wollen, abgelehnt, mit Hinweis auf das Jugendrecht, nach dem regelhaft keine Öffentlichkeit zugelassen ist. Zudem, berichtet Hensel, habe die Richterin argumentiert, dass ja noch gar nicht feststehe, ob es sich wirklich um eine antisemitisch motivierte Tat handelt. Dieses solle ja gerade in der Hauptverhandlung herausgefunden werden.
Die Richterin habe natürlich „jedes Recht“, so zu entscheiden, betont Hensel. Aber dann müsse man überlegen, ob das Jugendgerichtsgesetz in diesem Punkt nicht geändert werden müsse. Seine Arbeit als Antisemitismusbeauftragter beginne „ja nicht erst nach dem Prozess. Sie beginnt viel früher.“ Es gehe ja beispielsweise darum zu verstehen, welche Motive die Beschuldigten angetrieben hätten. Es handele sich um eine „unglaubliche Tat“.