Hamburg. Hamburg Historisch: 1972 sollten die letzten Kaufmannshäuser der Stadt Büros weichen – ein junger Architekt wollte das nicht hinnehmen.
Die „Sieben Schwestern“ wurden sie genannt. Um die Schönheit in ihnen zu erkennen, musste man allerdings schon ein zweites, drittes und viertes Mal hinschauen. Alt und heruntergekommen waren sie, diese Häuser aus dem 17. Jahrhundert an der Deichstraße. „Zu baufällig sahen die alten Gemäuer aus, die sich wie alte Menschen gegenseitig stützten und das Gefühl vermittelten, man müsse sich sofort ins Fleet stellen und die Fassaden wieder gerade richten“, erinnert sich Gerhard Hirschfeld an das Jahr 1972.
Damals war der heute 86-jährige Architekt ein eher kleines Licht in der Baubehörde. Die war noch durchdrungen vom Fortschrittsgeist der 60er-Jahre, der gewaltige Betonlandschaften und immer größere und breitere Straßen atmete. „Dagegen habe ich mich aufgelehnt“, sagt Hirschfeld. Und so gründete er mit der Redakteurin Gisela Schiefler vor 50 Jahren einen Verein, dessen Name Programm ist: „Rettet die Deichstraße“. Ohne sie wäre das letzte bestehende Ensemble Alt-Hamburger Kaufmannshäuser abgerissen worden – und statt der Barock- stünden dort heute öde Bürobauten.
Stadtgeschichte: Stadtteil sollte abgerissen werden
Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, das war die Zeit der großen Verwandlung der Bundesrepublik. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wurde alles infrage gestellt, auch die Stadtplanung. Gegen die Pläne, St. Georg fast komplett abzureißen, um einen völlig überdimensionierten Wohn-, Einkaufs- und Bürokomplex zu errichten, hatten sich noch vor allem die Gewerbetreibenden gewandt. In Ottensen formierte sich schon breiter Protest der Bürger, denn auch dort sollte der ganze Stadtteil abgerissen werden. Und im damals gar nicht feinen Pöseldorf gab es erste Demos gegen das, was man heute Gentrifizierung nennt. „Auf dieser Welle sind wir gesurft“, sagt Hirschfeld.
Er und die Journalistin Gisela Schiefler dachten aber ganz hanseatisch-pragmatisch. Ihnen war klar, dass es nicht nur darum geht, was gesagt wird – sondern wer es sagt. Unterstützt von der Presse (das Abendblatt startete eine Serie) gelang es ihnen, die vier Altbürgermeister Max Brauer, Kurt Sieveking, Paul Nevermann und Herbert Weichmann zu gewinnen: Sie unterzeichneten gemeinsam mit Handelskammer-Präses Herbert Westerich und weiteren Politikern den Gründungsaufruf für den Verein.
Verein war auf Spenden angewiesen
Und um der Seriosität quasi die Krone aufzusetzen, schafften sie es auch, den gerade pensionierten Präsidenten des Landesrechnungshofs Hans Harder zum Vorsitz des Vereins zu überreden. „Wir konnten die Häuser nur retten, indem wir sie kaufen, brauchten also Spenden. Wer wäre da vertrauenswürdiger als ein Rechnungshof-Präsident?“, sagt Hirschfeld.
Mit dieser prominenten Unterstützung und wohlwollender Pressebegleitung konnte der Verein loslegen. „Um Geld zu bekommen, haben wir allerlei Aktionen gestartet“, erzählt Hirschfeld. Silbertaler wurden geprägt und verkauft, es gab Lotterien, und der damals sehr bekannte Abendblatt-Zeichner Wolfgang Götze verkaufte Bilder und spendete den Erlös. Mit diesen Einnahmen und einem Kredit wurde 1974 dann das erste Haus für 500.000 Mark gekauft: Nr. 37, das „Alt-Hamburgische Bürgerhaus“. „Das einst prächtige Barocktreppenhaus erschloss mehrere merkwürdig geschnittene Wohnungen, mit gemeinsamem Bad – oder was man so Bad nennen konnte. Dafür ließen sich aber auch Stuckdecken erkennen und Malereien erahnen“, erinnert sich Hirschfeld.
Investor kaufte mehrere Immobilien an der Deichstraße
Während sich der Verein an die Sanierung dieses einen Hauses machte, war die Zukunft der anderen weiter ungewiss. Und mit dem Neubau der Landeszentralbank im Stil des Brutalismus kam die Moderne bedrohlich nahe. Ein Investor kaufte dann mehrere Immobilien an der Deichstraße, um sie nach Pöseldorfer Vorbild luxuriös zu sanieren – doch das Projekt scheiterte am Geld. Andere wurden vom Saulus zum Paulus.
Konsul Georg Nordmann, einer der Betreiber der Abrisspläne, trat nun dem Verein bei und begann 1974, sein Haus (Nr. 45) zu sanieren – sein Sohn Carsten ist heute noch Vereinsmitglied. 1977 dann verabschiedete sich auch die Politik offiziell von den Abrissplänen und erklärte die Deichstraße zum Sanierungsgebiet. Alle Häuser wurden unter Denkmalschutz gestellt, und nun konnten auch Bundesmittel fließen.
In den 80er-Jahren machten viele Gastronomen pleite
Mit diesem Geld konnte das Haus Nr. 37 schließlich 1980 mit einer Gaststätte eröffnet werden. Die städtische Sprinkenhof AG hatte mittlerweile mehrere der Häuser erworben, verkaufte sie aber nach und nach an private Eigentümer und den Verein, der insgesamt vier Häuser erwarb.
Nun waren die Häuser zwar gerettet, die Deichstraße war aber längst noch nicht das, was sie heute ist: In den 1980er-Jahren kam es zur großen Krise. „Nach mehreren Jahren scheinbarer Blüte ist es jetzt in der Deichstraße wieder still geworden. Sie versinkt in musealen Dornröschenschlaf“, schrieb das Abendblatt im Dezember 1984. „Mehrere Restaurants mit guten Namen stehen seit Wochen leer. Ihre ehemaligen Chefs haben Konkurs angemeldet. Andere Gastronomen kämpfen ums Überleben.“ Die Ost-West-Straße war wie eine riesige Barriere, kaum ein Tourist verlief sich in die Deichstraße. „Eine harte Zeit“, wie Hirschfeld sich erinnert.
Touristen-Route führt über die Deichstraße
Das änderte sich nachhaltig mit der Belebung der Speicherstadt und den Investitionen in das Mahnmal St. Nikolai. Heute führt eine klassische Touristen-Route vom Rathaus über St. Nikolai und Deichstraße zur Speicherstadt. Und auch viele Hamburger kehren regelmäßig in eines der Restaurants ein.
Den Verein „Rettet die Deichstraße“ gibt es immer noch, auch wenn die Immobilien in eine Stiftung überführt wurden. Nach einer Satzungsänderung darf sie auch außerhalb der Deichstraße aktiv werden – so wurden 2008 die „Krameramts-Stuben“ am Krayenkamp gekauft. Die Grundidee bleibt die gleiche: Mit den Mieteinnahmen werden die Häuser instand gehalten, mit Überschüssen sollen weitere Immobilien dauerhaft gerettet werden.
Stadtgeschichte: Verein wurde im Rathaus gewürdigt
Das Engagement des Vereins hat die Stadt anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung mit einem Senatsempfang im Kaisersaal des Rathauses gewürdigt. „Ohne die ehrenamtliche Arbeit, die der ehemalige Verein und die heutige Stiftung seit nun mehr fünf Jahrzehnten leistet, wäre ein architekturhistorisch wertvolles Stück Hamburg des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem Stadtbild verschwunden“, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD).
- Hamburgs FDP-Spitze will Nachwuchs aus Partei werfen
- Millionen für Neuwerks Leuchtturm: Das sind die Pläne
- Alster-Schwimmhalle: Eröffnungsdatum steht fest
Der Verein war schon zuvor mehrfach geehrt worden, unter anderem mit dem Deutschen Städtebaupreis und der Silbernen Halbkugel der Stiftung Denkmalschutz. „Ich glaube schon, dass wir damals eine gewisse Vorreiterrolle hatten“, sagt Hirschfeld im Rückblick. Auch für die Rettung des Gängeviertels und der Hafenstraßenhäuser. „Die hatten allerdings andere Methoden“, sagt Hirschfeld und fügt schelmisch hinzu: „Die unsere Mitstreiter wohl eher nicht gutgeheißen hätten.“