Hamburg. Berechnungen der Klimaforscher sollen verlässliche Prognosen für die Niederschlagsmengen liefern. Kritik an Maßnahmen in Hamburg.

Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen – unter anderem deshalb könnten infolge des Klimawandels starke Niederschläge und damit einhergehende Überschwemmungen auch in unseren Breiten bald häufiger vorkommen. Dieses Szenario hält der Weltklimarat IPCC laut seinem jüngsten Bericht für „wahrscheinlich“.

Trotz dieser Tendenz gebe es allerdings erhebliche Unsicherheiten, ob und wie genau sich Niederschläge insbesondere auf auch regionaler und lokaler Ebene verändern könnten, erklären nun im Fachjournal „Nature Climate Change“ neun führende Klimawissenschaftler, unter ihnen Bjorn Stevens, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Sie fordern eine globale Partnerschaft und zusätzliche Investitionen für Berechnungen an Supercomputern der nächsten Generation, damit Regionen und Städte genauer wissen, was auf sie zukommt – und welcher Schutz gegen Starkregen und Überschwemmungen nötig ist.

Wetter Hamburg: Vorhersage von Überschwemmung braucht Supercomputer

„Die Grundlage, auf der die Klimamodelle in den letzten 30 Jahren aufgebaut wurden, vereinfacht die wasserführenden Systeme stark und lässt einige grundlegende physikalische Aspekte außer Acht, von denen wir heute wissen, dass sie für zuverlässige Vorhersagen unerlässlich sind“, erklärt die Hauptautorin des Artikels, Dame Julia Slingo von der Universität Bristol. Ihr Hamburger Kollege Bjorn Stevens sagt: „Wir sind am Ende unserer Ideen, wie wir ohne diese Physik den Niederschlag besser darstellen können – aber um diese Physik zu nutzen, brauchen wir eine Rechnerkapazität, die wir bisher nicht hatten.“

Bei Klimamodellen handelt es sich Computerprogramme, die naturwissenschaftliche Gegebenheiten der Erde beschreiben, insbesondere Abläufe in der Atmosphäre, in den Ozeanen und an Land. Damit lässt sich simulieren, was passiert, wenn die Konzentration von Kohlendioxid (CO₂) in der Atmosphäre zunimmt. Weil das Klima weltweit variiert, unterteilen Forschende die Atmosphäre und die Ozeane in dreidimensionale Untersuchungsgebiete. Je kleiner die Maschen dieses globalen Netzes sind, desto mehr Details lassen sich untersuchen und desto genauer lässt sich die Entwicklung des regionalen Klimas simulieren.

Klimarechenzentrum in Hamburg hat neuen Supercomputer

Allerdings: je kleiner die Boxen, desto mehr Rechenleistung ist auch nötig. Erst wenn es gelinge, von den derzeitigen Klimamodellen auf einer 100-Kilometer-Skala zu einer 1-Kilometer-Skala zu kommen, sollte die Entwicklung von Niederschlägen in den kommenden Jahren wohl präzise dargestellt werden, sagt Bjorn Stevens. Zwar profitieren Klimaforscher heute von erheblich flotteren Rechenmaschinen.

Bjorn Stevens ist Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut.
Bjorn Stevens ist Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut. © MPI-M, Foto: David Ausserhofer

Am Deutschen Klimarechenzen­trum (DKRZ) in Hamburg etwa ging erst vor Kurzem ein neuer, 32,5 Millionen Euro teurer Supercomputer in Betrieb. „Levante“ soll bis zu 14 Billiarden Rechenoperationen (Petaflops) pro Sekunde schaffen und damit immerhin bis zu fünfmal schneller sein als der von 2015 an genutzte Vorgänger „Mistral“. Aber: Mistral war 20-mal schneller als der zuvor eingesetzte „Blizzard“. Die vergleichsweise geringe Leistungssteigerung des jüngsten Hamburger „Superhirns“ beschränke die neuen Ziele, die sich Klimawissenschaftler steckten, sagte DKRZ-Direktor Thomas Ludwig vor Kurzem dem Abendblatt.

Im weltweiten Verbund forschen?

Mit ihrem Aufruf im Fachjournal „Nature Climate Change“ plädiert die internationale Gruppe um Bjorn Stevens dafür, dass sich führende Klimarechenzentren zusammenschließen und Zugriff auf Exascale-Supercomputer erhalten, die Trillionen Rechenoperationen (Exaflops) pro Sekunde schaffen. Weltweit gibt es zumindest offiziell erst eine Maschine dieser Art namens „Frontier“, die am Oak Ridge National Laboratory im US-Bundesstaat Tennessee arbeitet. Standort des ersten europäischen Exascale-Supercomputers soll das Forschungszentrum Jülich werden, wie am Mittwoch bekannt wurde.

Stephen Belcher, leitender Wissenschaftler des britischen meteorologischen Dienstes Met Office und Mitautor des Aufrufs in „Nature Climate Change“, spricht von gewaltigen Aufgaben für die Klimaforschung. „Auch wenn sich unser wissenschaftliches Verständnis und die technologischen Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung und -speicherung weiterentwickelt haben, erfordert das Ausmaß dieses Unterfangens eine internationale Anstrengung.“ Bjorn Stevens sagt, eine solche Partnerschaft könnten etwa die G7-Nationen auf den Weg bringen.

Auch Hamburg rechnet mit mehr Überschwemmungen

Hamburg bereitet sich zwar auf eine mögliche Zunahme von Starkregen und Überschwemmungen vor – ob diese Bemühungen ausreichen, ist allerdings umstritten. Beispielsweise sollen zusätzliche Versickerungs- und Rückhalteflächen für Regenwasser geschaffen werden. Es gibt Hochwasserrisiko-Managementpläne für alle Gewässer. Selbst für kleine Flüsse wie Wandse, Berner Au und Tarpenbek hat die Stadt mögliche Starkregenereignisse und Abflüsse von Niederschlägen simuliert, Überflutungsbereiche entlang der Gewässer auf Karten gekennzeichnet und davon ausgehend Auflagen für Hausbesitzer erlassen, wie diese ihre Grundstücke bewirtschaften müssen.

Zusammen mit Hamburg Wasser hat die Umweltbehörde eine interaktive „Starkregenkarte“ erstellt. Mit deren Hilfe sollen Grundstückseigentümer, die nicht an einem Gewässer leben, jene Bereiche erkennen, die von Überflutungen betroffen sein können.

Wetter Hamburg: Stadt auf Starkregen nicht genug vorbereitet

Trotz dieser Vorarbeiten berücksichtige Hamburg Erkenntnisse zur Gefahr durch Starkregen aber nicht systematisch in öffentlichen Bauvorhaben, kritisierte noch im vergangenen Jahr der Professor Wolfgang Dickhaut, Bauingenieur und Leiter des Fachgebiets umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung an der HafenCity-Universität. Ein gezielter und konsequenter Umbau von ganzen Quartieren, Parks oder Straßenräumen orientiert an Erkenntnissen aus Naturkatastrophen sei in Hamburg nicht zu erkennen.