Hamburg. Ganze 68 Jahre währt die Ehe von Loki und Helmut Schmidt. Doch sie war durchzogen von schweren Krisen.
Der Bräutigam trägt Uniform, am Revers das Eiserne Kreuz II. Klasse. Die Braut hat ihr weißes Kleid selbst entworfen und genäht. Da weißer Stoff in diesem dritten Kriegsjahr knapp und teuer ist, hat es für einen weißen Schleier nicht mehr gereicht. Also hat die Braut einen rosafarbenen Schleier im Haar und dazu einen selbst gebundenen Myrtenkranz. Die Verbindung, die Loki und Helmut Schmidt vor 80 Jahren bei ihrer kirchlichen Trauung am 1. Juli 1942 – mit Rücksicht auf Lokis atheistisch eingestellte Eltern fernab der Hansestadt – in der Feldsteinkirche von Hambergen nahe Bremen – eingehen, hält ein Leben lang. Die schwierigen Umstände dieser Jahre, die sie gemeinsam bewältigen, schweißen sie zusammen und prägen ihre Verbindung für immer.
„Es war eine typische Kriegsheirat“, sagt Reiner Lehberger, Erziehungswissenschaftler und Biograf der Schmidts. Ohne den Krieg, so meint er, wären die Schmidts vielleicht gar kein Paar geworden. Denn nach der gemeinsamen Schulzeit an der Hamburger Lichtwarkschule am Rande des Stadtparks haben Loki und Helmut nur noch sporadisch Kontakt und einander fast aus den Augen verloren.
Loki und Helmut Schmidt: Fünf gemeinsame Tage in Berlin
Nach seiner Wehrpflichtzeit hat Helmut Schmidt im Sommer 1939 eigentlich andere berufliche Pläne, wird dann aber nach Kriegsbeginn erst Feldwebel in Bremen und dann Leutnant der Reserve in Berlin, eine sogenannte Kriegsoffizierslaufbahn. Erst ab Anfang 1941 tauschen sie wieder Briefe aus, in immer höherer Frequenz. Und dann folgen im Sommer fünf gemeinsame Tage in Berlin, die alles verändern.
Loki hat vorgeschlagen, sich in der Hauptstadt zu treffen, bevor Helmut Schmidt im August 1941 an die Ostfront ziehen muss. Sie haben sich mehr als zwei Jahre lang nicht gesehen. In Berlin kommen sie sich näher, Helmut Schmidt gibt sie in einer Pension als seine Frau aus. Sie werden zu einem Liebespaar und versprechen einander die Ehe, eines Abends auf einer Bank nahe dem Nollendorfplatz, bevor Loki Helmut am letzten gemeinsamen Tag zum Bahnhof bringt. Für Helmut sind diese Tage in Berlin mit Loki „die bis dahin glücklichste Zeit“ seines Lebens. Aus einer kameradschaftlichen ist eine romantische Beziehung geworden.
Loki gibt Helmut einen Ring mit
Dabei schwingt nach Lehbergers Überzeugung das mit, was viele Kriegsehen prägt: sich im Angesicht der existenziellen Bedrohung eines Halts zu vergewissern. Loki gibt Helmut einen Ring mit, und sie verabreden, nachts, wenn sie in die Sterne schauen, aneinander zu denken. Es ist völlig offen, ob Schmidt von der Ostfront zurückkehren wird. Die Gewissheit aber, dass jemand auf ihn wartet und eine gemeinsame Zukunft plant, hilft ihm und gibt ihm in den dunkelsten Stunden Rückhalt, wie er später Lehberger berichtet.
Es war, so der Buchautor, eine Liebesgeschichte in fünf Akten. Im Sommer 1941 das Heiratsversprechen in Berlin, Anfang 1942 macht Helmut Schmidt offiziell bei Lokis Eltern seinen Antrag, nachdem der junge Wehrmachtsoffizier im Januar wegen einer schweren Rheumaerkrankung von der Front zurückgekommen und genesen ist. Zu Pfingsten 1942 feiert das Paar Verlobung, auf dem Gartengrundstück von Lokis Eltern in Neugraben. Um die Gäste bewirten zu können, legen sie ihre Lebensmittelkarten zusammen. Es wird Musik gemacht und getanzt – „das letzte halbwegs vergnügte Familienfest der Großfamilie“, wie sich Loki Schmidt später erinnert.
Die standesamtliche Hochzeit wird am 27. Juli 1942 gefeiert, in der Wohnung der Schmidts in der Schellingstraße. Dann die kirchliche Trauung am 1. Juli im selbst genähten Kleid. Was folgt, sind extrem schwere Zeiten – für beide von ihnen. Die junge Ehe steht im Schatten des immer opferreicher werdenden Krieges. Loki mietet im Frühjahr 1942 ihre erste eigene Wohnung an, ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer an der Wandsbeker Chaussee, später eine größere in der Gluckstraße; ein- bis zweimal im Monat kommt Helmut zu Besuch aus Berlin.
Familienglück der Schmidts währt nicht lange
Sie arbeitet als Lehrerin in Hamburg, als im Sommer 1943 britsche Bomber die Stadt in der „Operation Gomorrha“ mit einem Feuersturm überziehen, dem mehr als 35.000 Menschen zum Opfer fallen. Helmut ist in größter Sorge, um seine Familie, um Loki, bevor diese „demoralisiert und erschöpft“ in Bernau eintrifft.
Die Nachricht, dass Loki schwanger ist, sorgt für große Freude. Im Juni 1944 wird Sohn Walter geboren, doch das Familienglück währt nicht lange. Helmut wird im Januar 1945 zum Kampfeinsatz in die Eifel abkommandiert, als der Sohn wenige Tage später an einer Hirnhautentzündung erkrankt, ist Loki allein mit ihm. Noch vor seinem ersten Geburtstag stirbt das Kind am 19. Februar 1945, Loki ist seelisch und körperlich am Ende. Fast allein muss sie das verstorbene Kind mit dem Pfarrer begraben. Die Nachricht an Helmut erreicht diesen erst sehr verspätet.
Rückkehr nach Hamburg
Loki kehrt ins zerstörte Hamburg zurück. Ihr Mann kämpft an der Front, wird in der Lüneburger Heide von zwei britischen Soldaten gefangen genommen, kommt in Kriegsgefangenschaft. „Wenn nur Loki lebt. Nichts anderes ist wichtiger“, schreibt er im April 1945 in seinen Kalender. Am 24. August 1945 hört Loki in der armseligen Behausung, die sie mit ihren Eltern in Neugraben bewohnt, den Familienpfiff: Sie stürzt aus dem Haus, und Helmut steht vor ihr: abgemagert und in abgerissener Kleidung – aber lebend.
„Die schweren Erfahrungen dieser Zeit, der Tod des Sohnes, das, was sie damals gemeinsam erlebt haben, hat die beiden fest miteinander verbunden, sie bildeten das feste Fundament ihrer Beziehung“, ist Lehberger überzeugt. „Solche existenziellen Erfahrungen trägt man durchs Leben, sie waren eine starke Basis.“
Dieses Fundament trug sie wohl auch durch die tiefen Krisenzeiten ihrer Ehe, als Helmut Schmidt seit den 1960er-Jahren Affären hatte. 1966 enthüllte der „Stern“, dass er seit Jahren eine außereheliche Beziehung zur 18 Jahre jüngeren Hamburgerin Helga R. hatte. Spätestens im Frühjahr 1964 wird Loki Schmidt von der Affäre ihres Mannes gewusst haben, so Lehberger. Es beginnt „eine nicht leichte Zeit“ in ihrem Leben, wie sie später selbst sagt.
Öffentlichmachung der Affäre
Schmidt selbst hat die Beziehung zu Helga R. am Ende seines Lebens in seinem letzten Buch überraschend noch einmal öffentlich thematisiert. Loki habe ihm „Ende der 60er-oder Anfang der 70er-Jahre die Trennung angeboten“, er sei fassungslos gewesen, habe die Dramatik für Loki aber wohl unterschätzt. „Es war in meinen Augen eine ganz und gar abwegige Idee“, schreibt er. Dieses völlige Unverständnis für ihr Angebot habe Loki treffend als Zeugnis seiner „Treue zu ihr“ gewertet. „Damit war die Ehekrise schon wieder aus der Welt.“
Doch aus der Welt war sie wohl noch nicht. Schmidt besuchte Helga R. weiterhin regelmäßig, auch nachdem sie 1974 ins schleswig-holsteinische Hartenholm gezogen war. Irgendwann in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre war die Beziehung wohl beendet worden, so Lehberger. Welche Bedeutung diese andere Frau für Schmidt hatte, zeige sich aber auch daran, dass der frühere Kanzler noch bei ihrer Beerdigung im April 2012 auf dem Ohlsdorfer Friedhof dabei war – zwei Jahre nach Lokis Tod.
Ehe von Loki und Helmut Schmidt war legendär
Da war die 68 Jahre währende Ehe der Schmidts längst legendär. Und am Ende hatte die Wirklichkeit den Mythos fast eingeholt, meint Biograf Reiner Lehberger, der ihr Leben in seinem Buch „Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar“ detailreich beschreibt. Ihre „geglückte Altersbeziehung“, wie er sie nennt, die liebevolle Zugewandtheit, in der sie auch nach Jahrzehnten miteinander umgingen, hat viele Menschen berührt.
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Lehberger berichtet, dass er häufiger freitags vormittags am Neubergerweg in Langenhorn zu Besuch war, wenn sich Helmut Schmidt meist in die Redaktion der „Zeit“ aufmachte. Beim Abschied sagte er zu seiner Frau: „Ich rufe gegen ein Uhr an, dann musst du dich hinlegen, um dich auszuruhen.“
Es war wohl so: Sie gehörten zusammen – auch jenseits von Romantik und Leidenschaft. Gegen Ende ihres Lebens hatte sich Loki gewünscht, den 70. Hochzeitstag noch feiern zu können, doch daraus wurde nichts. Ein anderes Ziel, dass sie beide älter als Konrad Adenauer werden, haben sie jedoch erreicht.