Hamburg. Die 20-Jährige starb im Fahrradkeller ihres Elternhauses in Neuallermöhe. Warum die Tat trotzdem als versuchter Mord gewertet wurde.
Als sie starb, lag sie in einem dunklen Fahrradkeller. Gerade mal 20 Jahre alt ist Viktoria geworden. Ihr Tod hat ihre Familie in tiefe Verzweiflung gestürzt. Es ist ein Tod, der zu verhindern gewesen wäre. Wenn der jungen Frau rechtzeitig Hilfe geleistet worden wäre. Wenn sich jemand gekümmert hätte.
Jetzt erhielt der Mann, der in den entscheidenden Momenten in ihrer Nähe war, vom Schwurgericht eine Freiheitsstrafe von neun Jahren. „Sie ist gestorben. Sie waren dabei“, sagte die Vorsitzende Richterin an den Angeklagten Sharif A. gewandt. Der 24-Jährige hatte der 20-Jährigen Viktoria Methadon besorgt, das die junge Frau konsumiert hatte. Stunden später war sie tot.
Prozess Hamburg: Viktoria erstickte im Fahrradkeller
Der 24-Jährige sei des versuchten Mordes durch Unterlassen sowie des sogenannten „Verbrauchsüberlassen von Betäubungsmitteln mit Todesfolge“ schuldig, erklärte die Richterin. Diese Norm nach dem Betäubungsmittelgesetz greift, wenn jemand einem anderen „Betäubungsmittel abgibt“ und dadurch „leichtfertig dessen Tod verursacht“.
Viktoria war am 9. oder 10. Januar vergangenen Jahres gestorben, nachdem sie unter anderem eine Methadontablette eingenommen hatte. Todesursache war Ersticken. Zuvor war die junge Frau längere Zeit bewusstlos. Sharif A. sei zu verurteilen, weil er erkannt habe, dass es ihr schlecht ging und dass sie das Bewusstsein verloren hatte — und er trotzdem nichts unternahm.
Vergewaltigung nicht sicher nachgewiesen
Als er ihre massiven gesundheitlichen Probleme bemerkte, „hätten Sie Hilfe holen müssen“, so die Richterin. Schließlich habe er die Gefährlichkeit des Methadons erkannt. Allerdings sei die Tat nicht als Mord durch Unterlassen, sondern lediglich als versuchter Mord durch Unterlassen zu werten. Das liege daran, dass nicht genau festzustellen ist, wann dem Angeklagten klar war, dass es Viktoria sehr schlecht ging — und ob ihr Leben zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch zu retten gewesen wäre, wenn er denn Hilfe geholt hätte.
Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall so gewertet, dass der Angeklagte die Frau vergewaltigt und ihr aktiv die Atemwege verdeckt habe. Doch dies, so entschied das Gericht, könne nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Möglich sei auch, dass die Frau selber in eine Liegeposition geriet, in der ihre Atemwege bedeckt waren und sie sich daraus nicht befreien konnte.
Viktoria und Sharif A. kannten sich seit Monaten
„Kein Urteil der Welt kann das Leid der Eltern auffangen“, sagte Rechtsanwältin Claudia Krüger, die die Angehörigen der verstorbenen 20-Jährigen vertritt, nach dem Urteil. Krüger hatte, ebenso wie die Staatsanwaltschaft, auf eine Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes plädiert. Sie werde möglicherweise Revision gegen das Urteil einlegen, meinte die Anwältin. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Viktoria und Sharif A. hatten sich seit mehreren Monaten gekannt. Sie hatte wiederholt von ihm Drogen bekommen, in erster Linie Marihuana. Er war wohl in sie verliebt und wollte mehr. Sie verlangte indes, er solle sie in Ruhe lassen, zeigte ihn sogar einmal bei der Polizei an — traf sich gleichwohl immer wieder mit ihm, weil sie Rauschgift von ihm bekam.
Viktoria und Sharif A. hatten Geschlechtsverkehr
So auch am Abend des 9. Januar vergangenen Jahres. Anders als bei früheren Begegnungen gab er diesmal eine Methadon-Tablette und ein Medikament aus der Gruppe der Benzodiazepine, die unter anderem angstlösend und sedierend wirken. Über das Methadon hatte er in einem Chat geschrieben: „Okay, ich gebe dir nur eine.“ Danach hätten beide, Viktoria und Sharif A., Geschlechtsverkehr gehabt, sagte die Vorsitzende. Dass dieser gegen den Willen der Frau geschehen sei, sei nicht zweifelsfrei festzustellen. Später wurde die 20-Jährige bewusstlos, und der Angeklagte schleifte sie nach Überzeugung des Gerichts in den Fahrradkeller des Hauses, wo die junge Frau mit ihren Eltern wohnte.
Als Sharif A. seiner Bekannten das Methadon überließ, sei ihm bewusst gewesen, dass sie infolge des für sie ungewohnten Konsums in Lebensgefahr geraten könnte. Dies habe er allerdings aus Leichtsinn außer Acht gelassen. Der Mann holte Decken, deckte die Frau zu, legte sich wohl noch eine Weile neben sie und schob ihr womöglich noch seine Jeans als Unterlage unter ihren Kopf. Dass er ihr die Atemwege gewaltsam bedeckte, etwa mit der Jeans, sei nicht sicher feststellbar, erklärte die Richterin.
Prozess Hamburg: Sharif A. alarmierte Rettungskräfte zu spät
Schließlich bemerkte Sharif A., dass Viktoria nicht mehr atmete. Nun entschied er sich, Hilfe zu holen. Er suchte einen nahe gelegenen Imbiss auf und bat, man sollte sein Mobiltelefon aufladen. Der Imbissbesitzer verlangte dafür, dass der 24-Jährige Essen und Trinken bestellen und bezahlen solle. Das tat der junge Mann auch. Dann bat er, dass Rettungskräfte alarmiert werden sollten. Als die Notärzte vorfuhren, machte Sharif A. die Retter durch Winken auf sich aufmerksam und führte sie dann in den Fahrradkeller. Dort erkannten die Retter sofort, dass sie nichts mehr tun konnten.
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Im Prozess hatte der 24-Jährige eingeräumt, längere Zeit bei der Frau gewesen zu sein. Er hatte sich vor allem erschüttert über den Tod der jungen Frau gezeigt. „Umso weniger ist zu verstehen“, sagte die Vorsitzende Richterin, „warum er nicht rechtzeitig Hilfe geholt hat.“ Das Gericht sei „betroffen“ über das, was damals geschehen ist. „Und was verhindert hätte werden können".