Hamburg. Kassenärzte und Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sind sich einig: Der Bedarf an Kinderärzten ist riesig. Die Hintergründe.

Das Kind fiebert, der Kinderarzt hat seine Praxis schon geschlossen, die Notaufnahmen am Kinderkrankenhaus Altona oder am Wilhelmstift in Rahlstedt sind überfüllt. Scheinbar hoffnungslos – das ist Alltag für Mütter und Väter. Es gibt zu wenige Kinderärztinnen und -ärzte in Hamburg. Nur auf dem Papier sieht das anders aus: ein „Versorgungsgrad“ von deutlich mehr als 100 Prozent.

Neue Pädiater sollen demnach in Hamburg keinen Arztsitz bekommen. Der Zulassungsausschuss aus Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung (KV) muss sie nicht bewilligen. Es gibt ohnehin zu wenige, die sich eine eigene Praxis vorstellen können. Doch in dieses Dilemma kommt jetzt Bewegung. Wie Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) auf einer Veranstaltung der Kinder- und Jugendärzte sagte, sei Hamburg nur auf dem Papier eine Vorzeige-Region. „Wir haben einen höheren Bedarf an Pädiatern, als abgebildet werden kann.“

Darum gibt es zu wenige Kinderärzte in Hamburg

Drei Entwicklungen untermauern den Trend:

  • Der Baby-Boom hält an. In einer alternden Gesellschaft ist Hamburg nach Zahlen des Krankenkassenverbandes VDEK das jüngste Bundesland mit 42,1 Jahren im Mittel – jünger als Berlin (42,7) und ganz Deutschland (44,6).
  • In der Mitte und an den „Rändern“ der Metropole entstehen Tausende Wohnungen wie in Neugraben-Fischbek oder demnächst in Wilhelmsburg. Hier ist, wie berichtet, der Kinderarzt-Mangel krass.
  • Drittens stieg der Frauenanteil unter den Pädiatern von 2005 bis 2020 von 40 auf 54 Prozent. Auch Frauenärztinnen bekommen Kinder, arbeiten häufiger in Teilzeit und scheuen oft das wirtschaftliche Risiko einer Praxisgründung. Das wurde beim Kongress in Hamburg deutlich.

Senatorin Leonhard begrüßt die Initiativen des neuen KV-Vorsitzenden John Afful und will sich politisch dafür einsetzen. Afful hatte sich im Abendblatt dafür ausgesprochen, starre gesetzliche Regelungen aufzubrechen. So müsse ein Kinderarzt auch eine Filiale in einem anderen Stadtteil aufbauen können und nach Bedarf entscheiden, wo er die meiste Zeit verbringt. Die KV würde übergangsweise selbst Praxen betreiben, um die Nachfrage zu bedienen.

Afful beklagte aber auch: „Vieles, was Kinderärzte machen, hat nichts mit Medizin zu tun.“ Kinderärzte seien auch Sozialarbeiter und Schulberater.

Leonhard sagte, die Förderung lokaler Gesundheitszentren habe Grenzen. Und der öffentliche Gesundheitsdienst könne bestenfalls Lücken schließen. „Aber das ist nicht unser Anspruch.“