Hamburg. Schon 226 Influenza-Fälle – im Vorjahreszeitraum waren es acht. Viele Kinder betroffen. Apotheken haben nur noch Fiebersaft-Reste.

Mit den Lockerungen der bisherigen Corona-Maßnahmen und dem Wegfall der Maskenpflicht erkranken die Hamburger auch wieder an anderen Viren. Statt wie üblich in den Wintermonaten ist derzeit Grippesaison in der Hansestadt. Betroffen von Influenza und Atemwegserkrankungen sind vor allem Kinder und Jugendliche.

In den ersten 16 Kalenderwochen dieses Jahres meldet die Hamburger Gesundheitsbehörde 226 Fälle von Influenza (Stand Dienstagabend). Im gleichen Vorjahreszeitraum waren es lediglich acht Fälle. Eine Aufschlüsselung nach Alter hat die Behörde aber nicht vorliegen.

Grippewelle in Hamburg: Natürliche Immunisierung fehlt

„Das ist schon sehr ungewöhnlich, dass wir im Mai eine Häufung von Influenza haben“, sagt Kinderärztin Charlotte Schulz aus Hoheluft-Ost. Verschiedene fieberhafte Infekte seien derzeit im Umlauf. Auch grippale Infekte mit Reizhusten, Kopf- und Gliederschmerzen treten vermehrt auf, davon betroffen seien vor allem Kinder im Kita- und Grundschulalter. „Für die Kinder, die aktuell viele Infekte nacheinander durchmachen, kann man davon ausgehen, dass ihnen während der Lockdownphasen mit geschlossenen Kitas die natürliche Immunisierung gegenüber vielen Erregern nicht möglich war und jetzt geballt durchgemacht wird.“

Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnet auf seiner Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) einen Anstieg von Atemwegserkrankungen mit und ohne Fieber sowie grippeähnlichen Erkrankungen bei Kindern, während sie bei den Erwachsenen gesunken ist. Im ambulanten Bereich wurde vor zwei Wochen bundesweit bei den Schulkindern ein Anstieg an Arztbesuchen beobachtet.

Viele Grippefälle in Hamburg: Das sind die Gründe

Während die Arztbesuche wegen Covid-19-bedingter akuter Atemwegs­infektionen weiter zurückgingen, ist die Influenza-Aktivität im gemessenen Zeitraum vor zwei Wochen im Vergleich zur Vorwoche nochmals deutlich gestiegen, vor allem in der Altersgruppe der Kinder bis 14 Jahre. „Die Influenza-Positivenrate hat demnach in der 17. Kalenderwoche eine Höhe erreicht, die im Winter auf den Beginn der saisonalen Grippewelle hindeuten würde“, so das RKI.

Die Häufung von Grippefällen überrascht Hamburgs Kinder- und Jugendärzte durchaus. „Zwei Grippesaisons sind ausgefallen. Das kam uns schon seltsam vor – wie die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Claudia Haupt, Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg. Der Höhepunkt der diesjährigen Grippesaison sei statt zum Jahresbeginn erst im Frühjahr.

Das Immunsystem junger Kinder ist schlechter trainiert

Der Grund für die Verschiebung der Grippesaison liegt zum einen an den Lockerungsmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie. „Aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen im vergangenen Jahr sind es nun viel mehr Fälle“, so Martin Helfrich, Sprecher der Gesundheitsbehörde. Warum es eine Zunahme an Grippefällen gibt, liegt nach Behördenangaben auch am Testverhalten der Menschen. Im Zuge der Corona-Pandemie lassen sich viel mehr Menschen testen, und bei den PCR-Tests werde je nach Labor auch nach Influenza-Viren geschaut.

Andererseits verzichten Kinderärzte und -ärztinnen irgendwann auf Abstriche und Testungen, wenn die Symptome eindeutig sind und es bereits viele Influenza-Fälle in den Praxen gibt. Die tatsächliche Zahl an Influenza-Fällen dürfte viel höher sein, weil viele gar nicht offiziell gemeldet werden. Warum besonders Kinder von der Grippe betroffen sind, erklärt Claudia Haupt so: „Kleine Kinder haben in den vergangenen zwei Jahren noch keine Grippesaison durchlaufen, ihr Immunsystem kennt gar keine Grippeviren.“ So haben viele jüngere Kinder ja bislang schon ein Drittel ihres Lebens eine Maske zum Schutz gegen Viren getragen.

Das Immunsystem der unter Sechsjährigen sei also schlechter trainiert. „Zu einer guten Immunität gehört der Kontakt zu Erregern. Man braucht quasi einen Sparringspartner, um das Immunsystem zu trainieren.“ Dieses fehlende Immunsystemtraining sei bei den ganz Kleinen zu spüren, die während der Pandemie geboren wurden. Das Immunsystem der Kinder sei nun erhöhten Anforderungen ausgesetzt. Aber die Kinderärztin gibt Entwarnung: „Den Höhepunkt der diesjährigen Grippesaison haben wir wohl bereits überschritten.“

Grippe im Mai – Apotheken mangelt es an Fiebersaft

Wer im Moment ein krankes, fiebriges Kind zu Hause hat, hat derzeit übrigens mit einem Mangel an Fiebersaft zu tun. „In den Apotheken gibt es nur noch Restbestände“, so Kinderärztin Schulz. Egal, welcher Wirkstoff zugrunde liegt. Das bestätigt auch Kai-Peter Siemsen, Chef der Hamburger Apothekerkammer. „Tatsächlich gibt es derzeit Engpässe.“ Er geht davon aus, dass diese nur von kurzer Dauer sind. Die Gründe für den Mangel kennt er nicht.

Kinderärztin Schulz rät betroffenen Eltern, zur Not fiebersenkende Schmerztabletten wie Paracetamol in Tablettenform, als Schmelztablette oder als Zäpfchen zu reichen.