Hamburg. Er tritt die Nachfolger von Walter Plassmann an: John Afful hat neue Ideen für die KV und die Hausärzte und Fachärzte in Hamburg.

Der Neue ist da: John Afful (56) übernimmt am 1. April die Amtsgeschäfte von Walter Plassmann als Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. Was mit einem Satz als Vollzug nüchtern notiert werden kann, entfaltet erst beim genauen Blick seine Wucht: Da geht einer, Plassmann, nach Jahrzehnten dynamischen Umbaus in der gesamten ärztlichen Versorgung in den Ruhestand. Und inmitten einer Pandemie, während Patientinnen und Patienten ihren Praxisärzten mehr abverlangen als je zuvor, kommt ein anderer (Afful), den niemand auf der Rechnung hatte. „John wer?“, fragte das Abendblatt nach seiner überraschenden Wahl.

Afful kommt mit Ideen ins Amt, die scheinbar Unvereinbares zusammendenken: Wo und welche Art von Arzt brauchen eigentlich die Menschen? Und wie lassen sich Praxen von Bürokratie und Kostendruck entlasten? Klingt fromm, ist aber so realitätsverwurzelt wie der groß gewachsene Mann selbst. In Hamburg macht John Afful keiner was vor. Über Jahre hat er Praxen in jedem Winkel der Stadt gesehen und die Mediziner dort beraten. Er zeigte mit dem Finger auf die Honorarzettel, machte Vorschläge, was die Ärzte tun könnten, sah Trends bei dem, was Patienten erwarten.

Kassenärztliche Vereinigung: John Afful verantwortet 508 Mitarbeiter und 1,3 Milliarden Euro Etat

Im damaligen Allgemeinen Krankenhaus am Rübenkamp wurde er geboren, in der Humboldtstraße ist jetzt er der Chef über 508 Köpfe und einen Honorarumsatz von mehr als 1,3 Milliarden Euro. Man könnte auch sagen, John Afful hat es mit leichten Abzweigungen von Barmbek-Nord nach Barmbek-Süd geschafft. „Nachfolger von“ zu sein – das ist seine erste Herkulesaufgabe. Walter Plassmann drehte in den vergangenen Jahren als KV-Chef richtig auf, trimmte die Honorarumverteilungs-Bürokratie auf modern, stärkte den Arztruf 116 117, brachte eine Hausarztpraxis ans UKE , um die Notaufnahme zu entlasten. Und er erfand mit Partnern aus Pharma und Rock ’n’ Roll das Impfzentrum in den Messehallen.

Was er von manchen gesundheitspolitischen Ideen hielt, erklärte er oft hinter vorgehaltener Hand, wenn nötig aber auch mit dem Megafon. Viele unter Hamburgs niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten weinen ihm sprichwörtlich nach. Auch Afful sagt: „Mit Walter Plassmann verliert die KV einen Visionär und hervorragenden Kenner des deutschen Gesundheitssystems, der in seiner Laufbahn zahlreiche richtungsweisende Projekte erdacht, initiiert und umgesetzt und damit zu einer erheblichen Verbesserung der ambulanten Versorgung beigetragen hat.“

John Afful ist Diplom-Volkswirt

Doch auch Afful gewann als Sohn einer KV-Angestellten, Assistent des früheren KV-Chefs Dieter Bollmann und als Leiter der Abrechnung tiefe Einblicke in die Ärztevertretung. Seit 1994 ist der Volkswirt im Haus. Er kennt die Zeit, als noch nicht jeder ein Telefon hatte, nicht jeder einen eigenen PC. Und zahllose Ärzte kennen seinen Namen und das Gesicht. Deshalb haben sie ihn gewählt. Die Herausforderungen kann er im Schlaf herunterbeten: Es gibt zu wenig Hausärzte, jeder dritte ist über 60, in einigen Stadtteilen ist die Versorgung beklagenswert, die jungen Mediziner scheuen das Risiko einer Praxisgründung. Und die Eingeborenen des Digitalzeitalters empfinden das derzeitige Gesundheitssystem als wenig kompatibel.

Für Afful sollte jeder Hausärztin oder Hausarzt haben – wohnortnah. Keine andere Fachgruppe schaue „in so besonderer Weise auf das soziale Umfeld“. Dass sie vor allem am Hamburger Rand fehlen, will er ändern: „Wir haben mit Hausärzten aus dem Süderelberaum, also aus Finkenwerder, Harburg und Neugraben-Fischbek, überlegt, wie wir sie als KV entlasten können. Also, dass wir zum Beispiel für sie in die Heime fahren und sie dadurch mehr Zeit für ihre Sprechstunden gewinnen.“

Hamburg: Ärzte sollen Filialen eröffnen

Bislang stehen noch bürokratische Hürden davor, aber eine praktische Idee hat Afful bereits: „Warum sollte nicht ein Arzt aus Lokstedt eine Filiale auf Finkenwerder aufmachen und dort junge Ärzte zunächst anstellen, die die Praxis vielleicht später übernehmen können?“ Von den politisch immer wieder aufgebrachten Zahlenspielen für die Stadtteile hält er wenig. X Ärzte der Fachrichtung Y auf 100.000 Einwohner, dann bringt man zwei neue Arztsitze hin – „und erhöht den Versorgungsgrad von 79 auf 82 Prozent“. Was die Praxen inhaltlich machen, danach frage dann keiner mehr.

In seiner Filial-Idee denkt der neue KV-Chef Hausärzte und Kinderärzte zusammen und könnte sich vorstellen, „auch Gynäkologen in die Versorgung mit einzubeziehen“. Man brauche nicht jede Fachgruppe in so einer Einheit. „Aber medizinisch gibt es doch Themen, die ineinandergreifen.“ Die KV selbst darf keine Praxen betreiben, würde das als Initialzündung aber gerne tun.

Medizinische Versorgungszentren können Bedrohung für selbstständige Ärzte sein

Denn die Bedrohung heißt MVZ. Längst machen sich in Hamburg Medizinische Versorgungszentren breit, die mit einem verlockenden Angebot an langen Sprechstunden, modernen Praxen und vielen digitalen Anwendungen in Winterhude, Eppendorf und Ottensen die Türen öffnen. Ihre Ärzte sind zumeist angestellt. Das macht die Medizin nicht schlechter. Allerdings spezialisieren sich diese MVZ häufig auf lukrative Behandlungen. Das erwarten die Investoren so. Afful sagt dazu: „Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Solidarsystem, in dem die Profitmaximierung immer zulasten anderer geht.“ Reichtümer lassen sich auf Krankenkassenkarten nicht auftürmen.

Deshalb muss der Tanker KV seine Beiboote zumindest schon mal digitaler machen, damit sie sich gegen die private Konkurrenz über Wasser halten können. „Medizinische Versorgung sollte sich im Prinzip auch an das anpassen können, was wir im sonstigen Leben Digitalisierung nennen.“ Dazu gehöre mobiles Arbeiten, ein digitales Miteinander. „Ich würde mir wünschen, dass wir so schnell es geht zu mehr digitalen Sprechstunden auch abends kommen, bei denen der Arzt von zu Hause aus arbeiten und auf alle Daten zurückgreifen kann: Wo sind die letzten Befunde, welche Rezepte gibt es, welche Bilder? Es wäre möglich, dass sich Ärzte zusammenschließen und das anbieten.“ Was in einer Praxis passiere, müsse man „mit den digitalen Maßstäben unserer Zeit“ abgleichen. Da hat Afful eine Expertin an seiner Seite: KV-Vize Caroline Roos ist eine ausgewiesene Digitalkennerin. Auch sie hatte für den Topjob kandidiert.

Was Walter Plassmann für die KV bedeutete

Die KV ohne Walter Plassmann wird eine andere sein. Was gewinnen die Ärztinnen und Ärzte mit Afful? Für ihn keine leichte Frage. Er beantwortet sie so: Die „ambitionierte, kreative Ausgestaltung des Sicherstellungsauftrages“ wolle er fortführen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Er wolle Lösungen finden für die „Versorgungsanforderungen der Zukunft“. All das solle passieren „auf der Basis einer starken Selbstverwaltung“.

Das ist eine geschmeidige Formulierung für die hanseatische, aber glockenklare Ansage, die allenthalben aus der Hamburger Ärzteschaft zu hören ist: Wir wollen nicht nur mitreden, sondern mitbestimmen.