Hamburg. Hamburger Unternehmer fordert Aus für die Stromsteuer und mehr erneuerbare Energien. Warum Michael Otto Fridays For Future lobt.

Krisen und Krieg, wohin man blickt – doch es gibt einen prominenten Hamburger, der mit einem stoischen „Jetzt erst recht!“ die Stimme nicht nur seiner Generation ist. Der Unternehmer und Ehrenbürger Michael Otto (79) spricht sich im Hamburger Abendblatt für deutlich mehr Anstrengungen beim Klimaschutz aus, für den möglichst schnellen Abschied von russischem Öl und Gas und lobt das Engagement junger Leute wie bei Fridays For Future über den grünen Klee. Dabei ist sich Aufsichtsratschef Otto auch der Verantwortung bewusst, die Unternehmen wie die Otto Group oder Amazon haben, die ihre Transporte deutlich klimaschonender organisieren müssen.

„Wir erleben durch Hitzewellen, Dürreperioden und Überschwemmungen auch in Deutschland den Klimawandel hautnah. Die, die immer noch nicht daran glauben, haben spätestens jetzt durch den Krieg in der Ukraine gesehen, wie wichtig es ist, sich unabhängig zu machen von fossilen Brennstoffen. Wir müssen noch stärker und mit Hochdruck erneuerbare Energien ausbauen. Jetzt haben wir einen zusätzlichen Druck, das umzusetzen“, sagt Otto.

Michael Otto: Mehr Klimaschutz statt Atomkraft

In der Krise sieht er also Chancen. Doch was Industrie und Bürger gleichermaßen umtreibt, ist die Versorgungssicherheit. „Frieren gegen Putin“ hört sich noch folkloristisch an. Die Wirtschaft – und Otto weiß, wovon er spricht – ist auf verlässliche Energieströme angewiesen. „Ich habe Verständnis, dass man für Energiesicherheit wirbt“, so Otto. Wahrscheinlich brauche man beim Rückzug vom russischen Gas noch eine Übergangszeit. Aber: „Eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke ist nicht zielführend. Denn erstens sind die Laufzeiten so bemessen, dass die Brennstäbe am Ende sind. Wir bräuchten also neue. Und zweitens gibt es die nicht von der Stange zu kaufen. Im Zweifel kommen diese Brennstäbe aus Russland, weil dort die Hauptlieferanten sitzen.“

Gerade jetzt müsse man die Schwäche beim Ausbau der Erneuerbaren umdrehen: „In Norddeutschland haben wir viele Windkraftanlagen. Aber bei zu starkem Wind schalten wir sie ab, weil unsere Leitungsnetze nicht stark genug sind. Der Ausbau ist dringend notwendig. Aber er wird dauern. Deshalb sollten wir diese Energie für Wasserstoff nutzen.“

"Die Stromsteuer muss fallen"

Otto hat konkrete Vorstellungen und entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung Forderungen an die Politik: „Da reicht es jedoch nicht, dass wir die EEG-Umlage streichen und die Netzumlage. Da muss auch die Stromsteuer fallen. Das kann man schnell umsetzen.“ Die Stahl-, Zement- und Chemische Industrie brauche preisgünstigen Wasserstoff. Wenn die Stromsteuer jetzt falle, würden Wirtschaft und Bürger entlastet, auch die sozial Schwächeren, glaubt Otto. Und wenn man international dafür werbe und mehr zusammenarbeite, lasse sich auch eine Vision realisieren, die Klimaschützer global teilen: „Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen, auf 100 Prozent alternative Energien umzustellen.“

Das muss in den Ohren Jüngerer wie eine frohe Botschaft klingen. Sie ist bitter nötig. Die neue Trendstudie „Jugend in Deutschland“, eine Befragung unter 14- bis 29-Jährigen, legt gewaltige Ängste frei. Die Krisen überlagerten sich für die Jüngeren, schreiben Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann. Sie sprechen von einer „Last“, die auf die Seele junger Menschen drücke, von Psycho-Stress und Sorgen um die Zukunft. Zum Corona-Blues gesellt sich jetzt die Kriegsangst und die Befürchtung, weitere Teile Europas könnten von Kämpfen erfasst werden. Doch auf Platz zwei der Bedrohungen bleibt der Klimawandel und seine Folgen vor einer Inflation und der Spaltung der Gesellschaft.

World Future Council: Wie Hamburg profitieren kann

Hamburgs Ehrenbürger und Unternehmer (Otto Group) Prof. Dr. Michael Otto und Alexandra Wandel (World Future Council) mit der Gründungsurkunde des Weltzukunftsrates.
Hamburgs Ehrenbürger und Unternehmer (Otto Group) Prof. Dr. Michael Otto und Alexandra Wandel (World Future Council) mit der Gründungsurkunde des Weltzukunftsrates. © ryb

In dieser Woche ist der 15. Geburtstag des Weltzukunftsrates (World Future Council/WFC) in Hamburg, den Otto mitgegründet hat. Das Bild von der Zukunft ist in den vergangenen 15 Jahren nicht rosiger geworden. „Wir haben uns schon bei der Gründung des Weltzukunftsrates verstanden als die Stimme der zukünftigen Generation“, sagt Otto. „Der Gedanke war, dieser zukünftigen Generation eine friedliche, nachhaltige, gesunde Welt zu hinterlassen.“ Das gelte noch immer.

Zwischen Jung und Alt sieht Otto keine Gräben. „Durch die Arbeit des World Future Council, aber auch durch Bewegungen wie Fridays For Future sehe ich positive Entwicklungen im politischen Raum. Bei Jüngeren ist das Thema Klimaschutz sicherlich stärker ausgeprägt. Aber auch die ältere Generation hat gesehen, dass plötzlich ihre Enkelkinder auf die Straße gehen, das hat das Bewusstsein gestärkt.“

Bei den jüngeren Klimaschützern hat sich analog zu früheren Protestbewegungen ein radikaler Arm entwickelt. Er nennt sich die „Letzte Generation“. Die Aktivisten blockieren Straßen und Flughäfen, kleben sich fest. Otto nimmt diese Entwicklung wahr – und sie kommt ihm vertraut vor: „Die Radikalisierung ist nicht ganz neu. Zu Zeiten der APO, als ich studierte, gab es diese Entwicklungen des Protests bereits. Ich habe mich von Demonstrationen zurückgezogen, als bei einem Steinwurf ein Student getötet wurde. Mit radikalem Protest erreicht man keine Beschleunigung. Fridays For Future ist auch deshalb erfolgreich, weil hier gewaltfrei diskutiert und demonstriert werden kann.“

E-Mobilität: Paketdienst Hermes soll klimaschonender liefern

Als Unternehmer weiß Otto, dass er im kritischen Blick junger Leute „liefern“ muss. Nachhaltige Produktion und ethischer Konsum spielen wie fair hergestellte Kleidung und Biokost inzwischen eine große Rolle. Er sagt: „Die Menschen wollen mit Freude konsumieren, aber nicht zu Lasten von Klimaschäden oder Kinderarbeit. Sie fordern ein, dass die Unternehmen das sicherstellen – zu Recht!“ Dazu will der konzerneigene Paketdienst Hermes bis zum Jahr 2025 in den 80 größten Städten zumindest im innerstädtischen Bereich nur noch mit E-Autos oder E-Bikes ausliefern. Otto verspricht: „In Berlin erreichen wir auf diese Weise heute bereits 300.000 Haushalte. Die nächste Stadt ist Hamburg.“

Und Hamburg soll vom Weltzukunftsrat profitieren. WFC-Vorstand Alexandra Wandel sagte, der Sinn des Preises Future Policy Award sei es, vorbildliche Gesetzgebung aus einzelnen Ländern auf andere zu übertragen. So gebe es etwa auf Sansibar ein Kinderschutzgesetz mit einem „One-Stop-Center“, in dem gefährdete Kinder umfassende Hilfe und Beratung fänden. „Diese könnten auch ein Vorbild für Hamburg sein. Gerade jetzt, wo die Gewalt gegen Kinder durch die Corona-Pandemie noch gestiegen ist.” Gleiches gelte für ein prämiertes Gesetz aus Stockholm, das 90 schädliche Chemikalien verbiete, die in der EU noch eingesetzt werden. „Die Wirtschaft hat Alternativen entwickelt. Nun sprechen wir mit dem Senat, um Elemente des schwedischen Vorbilds auch in der öffentlichen Beschaffung der Stadt Hamburg mit einfließen zu lassen.“

Solche Lösungen sind nach Michael Ottos Geschmack: Man müsse nicht immer alles neu erfinden, „wenn es darum geht, zum Beispiel Kinder zu schützen, Ernährung sicherzustellen oder die Vielfalt der Arten zu erhalten.“