Hamburg. Vor Gericht stehen ab diesem Dienstag elf Beschuldigte. Sie sollen im September 2020 eine 15-Jährige vergewaltigt haben.

Er ist schon sehr früh da und kommt allein. Ein schmaler junger Mann mit Kapuzenpullover und schwarzer Sonnenbrille. Er setzt sich ganz hinten hin und wechselt zu Beginn keinen Blick mit den anderen Angeklagten, tippelt nur mit den weißen Nike-Turnschuhen auf dem Fußboden herum. Auch bei den anderen jungen Männern ist die Nervosität greifbar, aber sie rühren sich kaum. Während Kamerateams sie abgelichtet haben, haben sie ihre Kapuzen tief in ihre Gesichter gezogen oder ihre Köpfe hinter Aktendeckeln verborgen. Erkannt werden will niemand.

Es ist der Auftakt für einen so großen wie brisanten Prozess in Saal 300 des Landgerichts. Insgesamt 22 Anwältinnen und Anwälte vertreten die elf jungen Männer, denen die Anklage eine abscheuliche Tat vorwirft. Die Gruppenvergewaltigung eines damals erst 15 Jahre alten Mädchens. Die Jugendliche tritt als Nebenklägerin auf, aber will den Angeklagten vorerst nicht selbst gegenüberstehen. Die Vorwürfe in dem Verfahren sind so gravierend, dass sie für die Angeklagten zu Gefängnisstrafen führen können – und für das mutmaßliche Opfer lebenslanges Leid bedeuten.

Prozesse Hamburg: Öffentlichkeit wird zum Schutz der Angeklagten ausgeschlossen

Die Anwältin der Nebenklage stellt am Dienstag auch zuerst den Antrag, die gesamte Hauptverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Nacheinander schließen sich fast alle Vertreter der Verteidigung an. Nur ein einzelner Angeklagter, heißt es später, wollte Medien und Zuschauer ausdrücklich nicht aus dem Saal verbannen. Damit die Öffentlichkeit das angeblich „wahre Bild“ der Tatnacht sehen könne. Ein Geständnis hat keiner der Angeklagten vor Prozessbeginn abgelegt. Inwieweit sie sich teilweise überhaupt vor der mutmaßlichen Tat kannten und in der fraglichen Nacht miteinander interagiert haben, muss teils erst noch im Prozess rekonstruiert werden.

Die Kammer beschließt, dass dies in nicht öffentlicher Verhandlung geschehen soll. Dieses Prozedere ist insbesondere im Zusammenhang mit Verfahren, in denen der Vorwurf der Vergewaltigung im Raum steht und es um jugendliche beziehungsweise heranwachsende Angeklagte und minderjährige mutmaßliche Opfer geht, eher die Regel. Wann immer man über die mutmaßliche Tat spreche, berühre man auch den „inners­ten Bereich“ von Privat- und Intimsphäre, sagt die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring, die am Dienstag. Und das gelte nicht nur für das mutmaßliche Opfer. Ohnehin sprach Meier-Göring von einer "aufgeheizten Stimmung".

Keiner der Angeklagten ist älter als 21 Jahre alt, drei waren im September 2020 noch minderjährig. Meier-Göring schildert in der Begründung für ihren Beschluss deutlich, dass die jungen Männer bereits eine Vorverurteilung und öffentliche Anprangerung erfahren hätten – bis hin zu „Hassbotschaften und Bedrohungen in Social Media“. Es gelte nun, auch den Erziehungsgedanken zu berücksichtigen und „weitere Vorverurteilungen“ in der Öffentlichkeit zu verhindern – bis zu einem Urteil hätten die Angeklagten ein „besonderes Schutzbedürfnis“.

Insgesamt 42 Hauptverhandlungstage wurden angesetzt

Tatsächlich steht allen Prozessbeteiligten eine lange, aufwendige Suche nach der Wahrheit bevor. Insgesamt 42 Hauptverhandlungstage sind bislang im Verfahren vor der Jugendkammer angesetzt, um die Vorwürfe zu klären. Als unstrittig gilt bislang nur, dass die 15-Jährige in der fraglichen Nacht alkoholisiert war, als sie an der Festwiese zuerst auf einen der jungen Männer getroffen sein soll. Dann wurde sie laut Anklage in ein Gebüsch geführt, wo sich er und zunächst drei weitere Männer an ihr vergangen haben sollen.

Auf dieselbe Weise sollen zwei weitere Gruppen sie sexuell missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten aber nicht vor, das Mädchen überwältigt und es gegen seinen klar erkennbaren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Stattdessen lautet das zentrale Argument der Anklage: Die Jugendliche habe so schwere Ausfallerscheinungen gehabt, dass sie nicht mehr zu einer Willensbildung in der Lage war – und die Angeklagten hätten dies ausgenutzt.

Können Videoaufnahmen bei der Bewertung der Geschehnisse helfen?

In dem Verfahren sind mehrere Sachverständige geladen, unter anderem ein Facharzt für Jugendpsychiatrie sowie eine Alkoholsachverständige. Letztere gilt als zentral für die Frage, in welcher Situation sich die 15-Jährige tatsächlich befand. Vier der Angeklagten wird auch Gewaltanwendung vorgeworfen – diese kann im Falle einer Verurteilung allein mit einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden, wird aber rechtlich geringer als eine Körperverletzung bewertet. Einem der Angeklagten wird keine Vergewaltigung, aber Beihilfe zur selbigen sowie das Erstellen von kinderpornografischen Inhalten vorgeworfen, weil er die Geschehnisse gefilmt haben soll.

Die Videoaufnahmen, die wichtig dafür sein könnten, die Geschehnisse zu beurteilen, liegen der Anklage nach Abendblatt-Recherchen aber nicht vor. Im Prozess sollen aber Zeugen aussagen, die sie gesehen haben. Den Angeklagten konnten in den Ermittlungen auch neun DNA-Spuren zugewiesen werden. Diese sagen jedoch über die Frage, ob das Mädchen den Geschlechtsverkehr noch verneinen oder bejahen konnte, nichts aus. Die Aussage der 15-Jährigen gilt ebenfalls als zentral in dem Verfahren. Ob sie diese im Verhandlungssaal tätigt oder ihre Darstellungen per Video übertragen werden, steht noch nicht fest.