Hamburg. Die Grünen wollen die Grelckstraße zum Stadtteilzentrum entwickeln – doch ansässige Unternehmen sind dagegen.
Für Ortsunkundige ist es schwer zu überblicken, wann sie in
welcher Richtung in die Grelckstraße hineinfahren dürfen. Nur mittwochs gibt es keinen Zweifel, selbst wenn man sich in Lokstedt nicht auskennt. Dann ist Markttag, und außer für Fußgänger ist dann kein Durchkommen in der Straße, in der seit Jahren Tempo 20 gilt.
Seit die Querverbindung zum sogenannten „Verkehrslabor“ wurde, sind die Meinungen im Stadtteil gespalten über dessen Sinn oder Unsinn. „Lokstedt wünscht sich seit Jahrzehnten ein Stadtteilzentrum. Öffentliche Orte für Begegnungen, fürs gemeinsame Klönen, Kaffeetrinken, Spielen und Einkaufen werden immer wichtiger“, sagt Sebastian Dorsch, Mitglied der Grünen-Bezirksfraktion Eimsbüttel und Sprecher des Regionalausschusses Lokstedt, Niendorf, Schnelsen.
Verkehr Hamburg: „Lokstedt wünscht sich seit Jahrzehnten ein Stadtteilzentrum"
Die Diskussion gebe es bereits seit den 1970er-Jahren, sagt der freiberufliche Historiker, der selbst im Stadtteil wohnt. Viele Unternehmer in der Grelckstraße wehren sich jedoch gegen die Pläne. „Wir haben ganz viel Feedback bekommen von Kunden, die uns fragen, was das soll“, sagt Momme Steffen, Inhaber der Gazellen-Apotheke.
Basis für den Verkehrsversuch war ein Beschluss der Bezirksversammlung Eimsbüttel, den Verkehr für jeweils mehrere Monate versuchsweise neu zu regeln – einmal als Einbahnstraße mit beschränktem Zugang am Wochenende und einmal als Fußgängerzone. Ziel des Projekts: die Aufenthalts- und Einkaufsqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils zu verbessern.
Verkehr Hamburg: Verbesserter Vorschlag für Lokstedt
Die erste Phase begann im November 2021 und endete vor zwei Wochen. In dieser Zeit war wochentags eine Einbahnstraße stadteinwärts eingerichtet. Radfahrer konnten in beiden Richtungen fahren. An den Wochenenden von freitags 18 Uhr bis montags 6 Uhr wurde die Einbahnstraßenregelung aufgehoben und mit einer Sperre eine Sackgasse erzeugt, die das Durchfahren für Autofahrer unmöglich machte. Außerdem wurden am Straßenrand Sitzmöbel, ein Tischtennistisch und eine kleine Sandkiste aufgestellt, um Passanten zum Verweilen zu animieren.
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Die zweite Phase des Verkehrslabors (dessen Kosten mit 250.000 Euro angegeben werden), nämlich die Straße als Fußgängerzone einzurichten, die die Nutzung für Radfahrer der Veloroute und Anlieger erlaubt, wurde kurzfristig aufgeschoben. Die Grünen hatten am Montag im Regionalausschuss Beratungsbedarf angemeldet, nachdem während der Sitzung Informationen der Verwaltung für ihren Antrag bekannt gegeben worden waren. „Wir arbeiten jetzt an einem verbesserten Vorschlag für die nächste Sitzung am 30. Mai “, so Dorsch.
„Lokstedt ist in den letzten Jahren enorm gewachsen"
„Lokstedt ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, die Einwohnerzahl ist in den vergangenen 20 Jahren um circa 20 Prozent gestiegen“, heißt es in einer Drucksache des Bezirks. Für die kommenden zehn Jahre seien weitere zehn Prozent Wachstum zu erwarten. In den Augen sehr vieler Anwohnerinnen und Anwohner sei aber die Infrastruktur nicht mitgewachsen.
Apotheker Momme Steffen sagt, viele seiner älteren Kunden kämen mit dem Auto und wollten das auch weiterhin gern tun. „Hier gilt Tempo 20, und die Polizei bestätigt, dass die Grelckstraße kein Unfallschwerpunkt ist.“ Er verstehe daher nicht, dass man mit einer Verkehrsberuhigung nicht lieber bei einer hochfrequentierten Straße beginne.
„Herr Dorsch möchte hier gern ein Exempel statuieren. Aber mir geht es darum, dass sich nicht eine Minderheit durchsetzt. Soll für die Nutzerinnen und Nutzer der Grelckstraße eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität erreicht werden, muss das Interesse der Mehrheit im Vordergrund stehen. Es reicht nicht, als erste und einzige Maßnahme, das Automobil zu verbannen.“
Geschäftsinhaber in der Straße wehren sich
Steffen bekommt für seine Haltung viel Unterstützung von anderen Geschäftsinhabern in der Straße. In einem offenen Brief haben sie gefordert, dass „Politiker/-innen und zivilgesellschaftliche Initiativen“ der Grelckstraße nicht weiterhin ihre Aufenthaltsqualität absprechen. „Dieses beschädigt das geschäftliche Image unseres Standorts. Es verschlechtert das soziale Klima, das wir in unserer ausschließlich inhabergeführten Geschäftswelt mit unseren Kund/-innen und Nachbar/-innen aufgebaut haben.“
In einer von ihnen durchgeführten Umfrage unter Anwohnern und Kunden hätten sich 60 Prozent dafür ausgesprochen, dass der Durchgangsverkehr für Autos erlaubt bleibt wie bislang.
Durch Verkehrslabor 15 Prozent Umsatz eingebüßt?
Auch Bäcker-und Konditormeister Thomas Horn hat unterzeichnet. Er sagt, er habe in der Zeit des Verkehrslabors etwa zehn bis 15 Prozent Umsatz eingebüßt. „Die Leute wussten einfach nicht, wie der Verkehr funktioniert, viele sind lieber gar nicht gekommen.“ Er sei nicht grundsätzlich gegen Veränderungen, sagt der 58-Jährige, der seine Bäckerei seit 27 Jahren betreibt, „aber die Interessen der Unternehmer hier müssen auch vertreten sein.“ „Die Umsätze sind rückläufig“, sagt auch Mustafa Uludag, Chef des italienischen Restaurants Il Tramonto.
Viele Gäste würden durch die unklare Verkehrsregelung abgeschreckt und es sei zudem schwieriger für sie geworden, einen Parkplatz zu finden. Außerdem sei die Einbahnstraßenregelung kontraproduktiv gewesen. Viele Autos seien viel schneller durchgefahren, weil sie ja nicht mit Gegenverkehr rechnen mussten. „Das war gefährlicher als vorher“, sagt er und fordert. „Wir wollen alles wie früher haben.“
Auch positive Stimmen von Unternehmern
Anders sieht das dagegen Kirstin Bothmer, die das Kleine Hofcafé in einem Hinterhof betreibt. „Ich bin für die Fußgängerzone. Man sieht mittwochs, was der Stadtteil so hergibt.“ Die Grelckstraße sei zu hektisch, es gebe ja auch keine ausgewiesenen Bürgersteige und Radwege. Sie selbst kommt ohne Auto aus, lässt sich mit Waren beliefern, und was noch fehlt, besorgt sie mit dem Rad.
Sebastian Dorsch sagt: „Unser Vorschlag ist dezidiert als Kompromissvorschlag aus vielen Gesprächen im Stadtteil, auch mit den Gewerbetreibenden entstanden – wie auch schon das vergleichende Testen von zwei unterschiedlichen Varianten – im Gegensatz beispielsweise zu Ottensen oder Rathausquartier – ein Kompromiss aus der Beteiligung des Stadtteils war.“