Hamburg. Ernährungsberatin Anne Visser ernährt sich und ihren Sohn vegan. Sie erklärt, was zur Vorbeugung von Mangelernährung wichtig ist.

Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder gar vegan. Doch was gilt es zu beachten, wenn Frauen in der Schwangerschaft oder in der Stillzeit auf Fleisch oder tierische Produkte verzichten? Und wie ist es mit kleinen Kindern? Antworten auf diese Fragen hat Anna Visser, Ernährungsberaterin und Coach für vegane Vollwerternährung. Sie kennt das Thema nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis: Anna Visser ernährt sich seit vielen Jahren vegan – und ihren 16 Monate alten Sohn ebenfalls, wie sie im Familien-Podcast des Hamburger Abendblatts erzählt.

„Das ist ein Trend, wir beobachten in den vergangenen Jahren, dass die Zahl der Menschen sehr gestiegen ist“, sagt sie. Laut dem Forsa-Ernährungsreport von 2021 ernähren sich in Deutschland aktuell zehn Prozent der Bevölkerung vegetarisch und zwei Prozent vegan – mit steigender Tendenz. Mehr Frauen als Männer wenden sich diesen Ernährungsformen zu, und besonders hoch ist der Anteil bei jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren.

Ernährung: Sortiment an veganen Lebensmitteln wächst

Lange Zeit waren es vor allem ethische Gründe, die die Menschen dazu bewogen, weiß die Ernährungsexpertin der Hamburger Verbraucherzentrale, Carolin Groth. „Die Sorge um das Klima hat den Trend noch einmal beschleunigt. Besonders jüngere Leute werden von der Bewegung Fridays for Future angesprochen, die darauf aufmerksam macht, dass bei der Produktion von Fleisch besonders viel CO2 entsteht.“

Auch ist das Angebot deutlich größer geworden. „Vor zehn Jahren war man froh, wenn man im Supermarkt eine Sojamilch bekommen hat, heute ist das Sortiment in den Lebensmittelmärkten unfassbar groß“, sagt Ernährungsberaterin Anna Visser. Deutschland sei Marktführer bei der Einführung veganer Lebensmittel. „Das macht den Einstieg in die vegane Ernährung deutlich einfacher als früher.“

Geschmacksverstärker gibt es auch in veganen Lebensmitteln

Allerdings kann sie nicht alles empfehlen, was in den Regalen der Lebensmittelhändler angeboten wird. „Für mich hat vegane Ernährung viel mit frischem Obst und Gemüse zu tun, damit, dass man sich abwechslungsreich und vielseitig ernährt und über die natürlichen Nährstoffe seinen Bedarf abdeckt und nicht über Nahrungsergänzungsmittel“, sagt Anna Visser. „Klar ist es toll, dass jetzt vegane Schnitzel oder Salami angeboten werden, aber das sind Fertigprodukte, die können Geschmacksverstärker, viel Salze und gehärtete Fette enthalten. Das passt nicht zu einer gesunden Ernährung“, findet sie.

In der Schwangerschaft, sagte Anna Visser, sollten Frauen sich ohnehin etwas mehr Gedanken über ihre Ernährung machen, und diejenigen, die sich bereits vegan ernähren, hätten den Vorteil, dass sie sich bereits intensiv mit dem Thema auseinandersetzten. Wer sich in der Schwangerschaft weiterhin vegan ernähren möchte, sollte sich den erhöhten Nährstoffbedarf anschauen und sich fragen: Was muss ich abdecken, und wo brauche ich Unterstützung?

Blutbild schafft Klarheit

Anne Visser wie auch Carolin Groth appellieren, nicht einfach präventiv Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen, sondern als allererstes beim Arzt ein Blutbild erstellen zu lassen, um zu klären, welche Nährstoffe denn tatsächlich fehlen – dabei kann man auch die Gynäkologin oder den Gynäkologen einbeziehen.

Einen Fokus müssen Veganer grundsätzlich auf das Vitamin B12 richten. Da ist es wichtig zu wissen, dass unser Körper Vitamin B12 über lange Zeit speichern kann. Entsprechend macht sich ein Mangel unter Umständen erst nach Jahren bemerkbar. Ein Blutbild gibt also darüber Auskunft, wie hoch das aktuelle Niveau ist, so Visser, und sollte regelmäßig wiederholt werden. „Der Markt bietet ein unfassbar großes Sortiment an Nahrungsergänzungsmitteln an mit vielen Versprechungen – das ist sehr verlockend, Aber man sollte sich da nicht in die Irre führen lassen. Lieber erst zum Arzt gehen und dann entscheiden“, rät Visser.

Die Ernährungsberaterin rät, sich gut zu informieren

„Neben Vitamin B12 ist das Sonnen-Vitamin D wichtig. Zu den weiteren unter Umständen kritischen Nährstoffen zählen Zink, Kalzium, Eisen, Omega 3 und Jod.“ Gut zu wissen: Pflanzliche Milchalternativen aus Hafer, Soja oder Mandeln haben meist Kalzium sowie die Vitamine B12 und D zugesetzt. „Wenn man sich vielseitig ernährt, kann man die gut abdecken, sollte das aber hin und wieder überprüfen“, empfiehlt die Ernährungsberaterin.

„Auch in der Schwangerschaft ist es möglich, sich vegan zu ernähren“, sagt Visser. Aber man muss einiges beachten. Proteine in pflanzlichen Produkten könne der Körper nicht so gut in Gänze aufnehmen. Um die Bioverfügbarkeit zu verbessern, kann man beispielsweise Lebensmittel miteinander kombinieren – etwa Linsen oder andere Hülsenfrüchte mit Getreideprodukten oder Kartoffeln. Diese Kombination führt dazu, dass der Körper die Proteine besser aufnehmen kann und es nicht zu einem Mangel kommt. Eisen sollte man nicht zusammen mit Kaffee einnehmen, Vitamin C kann besser mit einem Glas Orangensaft aufgenommen werden. Kleine Tricks, die man kennen sollte.

Auch bei Kleinkindern müssen Nährstoffe abgedeckt sein

In der Stillzeit versorgt die Mutter den rasch wachsenden Säugling. Sie hat Speicher, beispielsweise für Eisen und Kalzium. Führt sie nicht genug Nährstoffe zu, wird bei der Produktion der Milch auf diese Speicher der Mutter zurückgegriffen. „Da sollte man darauf achten, nährstoffdichte Lebensmittel zu sich nehmen“, empfiehlt Visser. Zum Beispiel abends ein Vollkornbrot mit Avocado und Tomate und Radieschen belegt. „Dann habe ich gute Fettsäuren, Proteine, Ballaststoffe, Kohlenhydrate, Magnesium und Folsäure.“

Sollen auch Kleinkinder vegan ernährt werden, ist es nach den Worten von Carolin Groth, Ernährungsexpertin der Hamburger Verbraucherzentrale, wichtig, besonders darauf zu achten, dass wirklich alle Nährstoffe abgedeckt sind. Eventuell sei es auch sinnvoll, sich bei Ernährungsberatern zu informieren. Ausreichend Kalzium beispielsweise sei wichtig für den Aufbau der schnell wachsenden Knochen. Man müsse sich sehr gut vorab informieren, sagt auch Anna Visser. Das wichtige Kalzium könne etwa durch sehr kalziumreiche Mineralwasser aufgenommen werden, die teils mehr davon enthalten als Milch.

"Babys sollten grundsätzlich das Sonnenvitamin D bekommen"

Visser empfiehlt am Anfang beispielsweise mittags einen Getreide-Gemüsebrei, vielleicht mit Hokkaido-Kürbis und Kartoffel sowie Leinöl für die Omega-3-Fettsäuren. Oder vormittags einen Obst-Getreidebrei geben. „Ich biete meinem Kind neben dem Brei gedünstetes oder gekochtes Gemüse an, und es entscheidet selbst, was es isst. So kann ich feststellen, was mein Kind mag, welche Vorlieben es hat. Das Kind entwickelt eine Neugierde. Babys sollten grundsätzlich das Sonnenvitamin D bekommen, Und mit Vitamin B12 sollte man auch beginnen, weil die ihren Speicher ja erst mal auffüllen müssen. Die gibt es in Form von Tropfen, gering dosiert.“

Morgens frühstückt Anna Visser ein Müsli aus Weizenkleie, Leinsamen, Hirse, Haferflocken; Chiasamen, eingeweicht in Hafermilch, dann kommen Maulbeeren, Äpfel und Bananen dazu dazu – das ist reichlich und hält lange satt. Für ein Curry kann man einen Hokkaidokürbis mit Kichererbsen sowie Süßkartoffeln kombinieren, dazu Kokosmilch und Reis, da hat man Kohlenhydrate, Proteine und Eisen gut abgedeckt. Abends könnte man einen Couscous-Salat mit veganem Schafskäse, Tomaten, Rucola und Zitrone zubereiten. Oder eine Brotzeit mit Hummus aus Kichererbsen und Frischkäse und Avocado und Radieschen.

Ernährung: Gemeinsames Kochen bietet neue Erfahrungen

In manchen Familien ist die Situation kompliziert: Das eine Kind ist Vegetarier, das andere Veganer, und die Eltern essen auch Fleisch und Fisch. Wie kommt man da zusammen? „Man kann gemeinsam kochen oder die Kinder oder Jugendlichen selbst Vorschläge für Gerichte einbringen lassen“, sagt Visser. Manchmal reicht es auch einfach, eine Gemüsepfanne mit Reis zu kochen und das Fleisch separat anzubieten. „Wenn man mit neuen Lebensmitteln in Berührung kommt, kann das auch den eigenen Horizont erweitern – und die Küche wird vielseitiger.“