Hamburg. Klaus-Peter Hesse spricht über die Pläne des Unternehmens, Ideen für die Hafencity und das Leitbild “Wachsende Stadt“ in Hamburg.

Vielleicht liegt es am Wetter. Hamburg und Einkaufszentren, das ist eine besondere Beziehung. Mit Sillem’s Basar besaß die Stadt zwischen 1843 und 1881 ein erstes spektakuläres Exemplar, das spektakulär scheiterte – der Passage zwischen Jungfernstieg und Poststraße gelang es nie, ausreichend Kunden anzuziehen. Trotzdem entwickelte sich in der Innenstadt ein knappes Jahrhundert später ein einzigartiges Passagenviertel.

Ab den 60er-Jahren kamen in Deutschland Einkaufszentren hinzu – große überdachte Ladenstraßen, mal auf der grünen Wiese, mal in den Stadtteilen oder der City. Das Elbe-Einkaufszen­trum gehört zu den ersten seiner Art. Gegründet hat es 1965 der Hamburger Unternehmer Werner Otto unter dem Namen Einkaufs-Center Entwicklung. Heute betreibt die ECE mehrere Dutzend Einkaufszentren deutschlandweit.

Stadtentwicklung: Kaufgewohnheiten haben sich geändert

Doch die lange Erfolgsgeschichte scheint auserzählt – das stürmische Wachstum, das der Republik fast 500 Einkaufszentren beschert hat, ist vorbei. Schon vor der Pandemie verlagerte sich der Einzelhandel zunehmend ins Internet, Corona hat diese Entwicklung beschleunigt. 47 Prozent der Deutschen haben in den vergangenen zwei Jahren ihre Kaufgewohnheiten verändert. Zu den Hauptleidtragenden dieser Bewegung ins Netz zählen Einkaufszentren. Nach einer Umfrage des „Shopping Center Performance Report“ hat deutschlandweit ein Viertel der Händler mehr als die Hälfte ihres Umsatzes verloren, knapp die Hälfte mindestens ein Viertel.

Bei ECE zieht man eine positivere Bilanz: „Unsere Shopping-Center sind trotz Pandemie sehr robust durch die Krise gekommen. Gerade in Hamburg haben wir nach wie vor kaum Leerstände, auch weil wir gemeinsam mit den Eigentümern die Mieter in der Krise unterstützt haben“, sagt Klaus-Peter Hesse, Direktor von ECE „Work+Live“. „Einkaufszentren unterliegen einem ständigen Wandel. Sie werden auch in Zukunft attraktiv bleiben.“ In der Hansestadt betreibt die ECE unter anderem das AEZ, das EEZ, die Europa Passage oder die Hamburger Meile. Einkaufen unter einem Dach sei schon angesichts des Hamburger Wetters attraktiv.

ECE engagiert sich auch in anderen Bereichen

Einen weiteren Vorteil sieht Hesse darin, dass die ECE die Flächen im Ganzen betreibt. „In Einkaufsstraßen mit unterschiedlichen Eigentümerverhältnissen können sich Grundeigentümer dagegen oft nicht über nötige Maßnahmen einigen.“ Dann unterblieben Schritte, um das Umfeld attraktiv zu halten. „Wir aber können Erlebnisse und Räume schaffen. Und wir achten darauf, dass wir überall lokale und regionale Händler mit hineinholen. Auf den ersten Blick mögen die Shoppingcenter sich ähneln – innen drin unterscheiden sie sich.“ Entscheidend sei, dass sich der Kunde wohlfühle. „Es geht nicht mehr ohne digitale Vernetzung wie Click & Collect. Heute müssen wir das Sofashopping mit dem stationären Einkauf verbinden. Im Center kann man sich die Dinge anschauen, ausprobieren und abholen.“

Längst ist die ECE über das Bauen und Betreiben von Einkaufszentren hinausgewachsen – das Unternehmen aus Poppenbüttel engagiert sich auch in den Bereichen Wohnen, Logistik, Büro und Hotel. Ein Schwerpunkt liege dabei in Zukunft für die ECE im Wohnungsbau, sagt Hesse. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und wollen verschiedene Nutzungen in die Quartiere bringen.“ Dabei bleibe auch für Büros ein Bedarf.

„Ich mache mir große Sorgen um unsere Innenstadt“

Der 54-Jährige schaut nicht nur als Immobilienexperte auf die Metropole, sondern auch als langjähriger Bürgerschaftsabgeordneter. Von 1997 bis 2015 saß er für die CDU im Stadtentwicklungsausschuss. „Ich mache mir große Sorgen um unsere Innenstadt“, sagt er. Viele Grundeigentümer seien in den vergangenen Jahrzehnten durch ständig steigende Mieten verwöhnt worden. Dieser Trend sei vorbei.

„Eigentümer und Mieter müssen gemeinschaftlich für mehr Frequenz in den Innenstädten sorgen, um Leerstand zu verhindern.“ Hesse begrüßt den Ansatz der Stadt, vorübergehend Kultur oder Kurzzeitmieter in leer stehenden Läden zu fördern. „Grundsätzlich müssen Städte offen sein für neue Ideen, die Frequenz bringen – hierzu gehört auch mehr Flexibilität bei Ladenöffnungszeiten, Sortimenten und Nutzung des öffentlichen Raums.“

Innenstadt muss gestärkt werden

Entscheidend wird sein, Monostrukturen aus den immer gleichen Angeboten aufzubrechen. Früher gab es in der City ganze Ladenzeilen voller Schuh- und Kleidergeschäfte. Das dürfte nun vorbei sein: „Wir brauchen mehr Nutzungs- und Angebotsmischung in der City. Es muss nicht immer Handel sein!“ Um dieses Ziel zu erreichen, sei Steuerung nötig und politische Unterstützung. Die Shoppingcenter könnten Vorbild sein: „Wir staffeln beispielsweise die Mieten nach Branchen.“

Hesse mahnt an, die öffentlichen Räume in der Innenstadt – ob Plätze, Wege oder die Binnenalster – vielseitiger zu gestalten und neue Nutzungen zu wagen. „Wir brauchen einen Business Improvement District 2.0 für die ganze Innenstadt“, sagt er. Den wachsenden Wettbewerb durch die aufstrebende HafenCity sieht er als Herausforderung. „Die Innenstadt hat durch ihre Geschichte und Baukultur eine besondere Qualität, die es jetzt zu stärken gilt“, sagt der 54-Jährige. „Die Stadtplaner sollten sich überlegen, wie man die historische Stadt und die HafenCity noch besser verbindet, um die trennende Wirkung der Willy-Brandt-Straße zu überwinden.

ECE verfolgt Pläne in der HafenCity

Die ECE verfolgt ehrgeizige Pläne in der HafenCity – mit Partnern baut sie hier ein digitales Stadtquartier, dessen Höhepunkt das Digital Art Museum wird, das sich in Tokio zu einem Magneten für Millionen entwickelt hat. „Das ist digitale Kunst, die man intensiv erlebt und in der Besucher zum Teil der Kunst werden.“ Auf dem Baufeld an den Elbbrücken entstehen 600 Eigentums- und Mietwohnungen, 260 Studentenwohnungen, Cafés und Geschäfte, Co-Working-Bereiche und eine Kita.

„Hamburg ist für die ECE immer ganz besonders wichtig“, sagt Hesse. Er sieht in dem Quartier ein Stück Zukunft. „Die wird aber nur in gemischt genutzten Quartieren stattfinden. Wir alle wollen die Stadt der kurzen Wege, eine nachhaltige Stadt.“

ECE plant neues Hotel in der HafenCity

Zum Kongresshotel, das die ECE ebenfalls in der HafenCity plant, sagt Hesse: „Das ist ein tolles wie herausforderndes Projekt. Die Auswirkungen von Corona machen Anpassungen erforderlich, und nun gehen durch Lieferkettenprobleme die Baupreise durch die Decke“. Ursprünglich sollte der Baustart 2020 erfolgen. „Wir stehen in guten Gesprächen mit der Stadt. Ich bin optimistisch, denn wir wollen Hamburg insbesondere für internationale Besucher noch attraktiver machen und ein dauerhaft erfolgreiches Hotel bauen. Es wäre schade, wenn das nicht gelänge.“

Es sind nicht allein die Verwerfungen auf den Märkten, die Hesse Sorgen bereiten: „Wir haben in Deutschland mittlerweile fast 25.000 Bauvorschriften – damit sind wir Spitze in Europa. Durch unseren deutschen Perfektionismus und Industrielobbying können wir mittlerweile weder schnell noch bezahlbar bauen.“ Holland zeige, dass es auch anders geht. „Dort gab es ein Entschlackungsgesetz, das die Zahl der Vorschriften reduziert hat.“ Ein weiteres Problem sieht Hesse in 16 unterschiedlichen Landesbauordnungen. „Es kann sein, dass ich ein Gebäude in Baden-Württemberg bauen kann, aber in Hamburg keine Genehmigung erhalte und andersherum.“ Chancen sieht Hesse durch die digitale Bauakte und digitale Baugenehmigungsverfahren. „Zeit ist Geld.“

„Die fetten Jahre sind vorbei"

Angesichts der Preissteigerungen am Bau, steigender Zinsen und Inflation rechnet Hesse in Zukunft mit weiteren Bauverzögerungen und Absagen von Projekten. „Die fetten Jahre sind vorbei. Es rechnet sich nicht mehr alles.“ Die ECE habe gerade ein großes Wohnungsbauprojekt in Süddeutschland wegen kostspieliger Vorgaben durch die Kommune und gestiegener Baupreise zunächst auf Eis gelegt. „Diese Zielkonflikte der Politik werden wir zukünftig öfter austragen müssen.“

Kritisch sieht er etwa das Erbbaurecht, wie es auch in der Hansestadt propagiert wird: „Das macht Bauen für Investoren nicht attraktiver.“ Hesse räumt aber ein, dass die Branche auch unter schwarzen Schafen leide – Unternehmen beispielsweise, die Grundstücke aus purer Spekulation über Jahre brachliegen lassen. „Was die ECE sagt, macht sie auch. So wäre mit uns das Holsten-Areal längst im Bau.“

Kommunalpolitik muss Konflikte wagen

Hesse bezweifelt, dass die Bundesregierung ihr ehrgeiziges Ziel von 400.000 Wohnungen im Jahr erreicht. „Momentan tut die Politik alles, um das Ziel zu verfehlen. Erleichterungen sehe ich jedenfalls noch nicht – ganz im Gegenteil. Der Stopp des KfW-55-Förderprogramms hat viel Vertrauen verspielt.“ Es sei entscheidend, dass sich die Branche auf die Politik verlassen könne – so wie viele Jahre in Hamburg. „Olaf Scholz hat als Bürgermeister gezeigt, was man erreichen kann, wenn man Wohnungsbau zur Chefsache macht und die Branche einbezieht.“

Dazu bedürfe es Mut: „Wir könnten mehr bauen, wir könnten höher und dichter bauen – aber dann muss auch die Kommunalpolitik Konflikte wagen und muss die Menschen vor Ort frühzeitig in die Planungen einbinden. Alle wollen innerstädtisch leben und den Flächenfraß stoppen – dann aber muss Politik sich auch gegen Widerstände vor Ort durchsetzen.“

Süden der Stadt bietet Flächenpotenziale

Wenn Initiativen wie „Rettet Hamburgs Grün“ obsiegten, stünden Zehntausende Wohnungen im Feuer. „Hamburg kann auch ohne diese Initiative eine grüne Stadt bleiben und seine städtebauliche Identität behalten. Es ist viel nachhaltiger, innerstädtisch zu bauen, wo es in der Regel bereits eine verkehrliche, digitale und soziale Infrastruktur gibt.“

Wachstumsflächen sieht der Vater von zwei Kindern vor allem im Süden der Stadt. „Wir haben noch Flächenpotenziale in der ganzen Stadt, aber die Grundstücke werden immer komplizierter, sie sind oft konfliktbehaftet, belastet oder schlecht geschnitten.“ Hesse rät deshalb, sich auch unter- oder schlecht genutzte innerstädtische Industrie- und Gewerbeflächen anzusehen. „Wir haben auch noch Flächen für Einfamilienhäuser, etwa in Harburg oder Oberbillwerder. Wir müssen Menschen in unserer Stadt Angebote machen, die diese Form von Eigentum erwerben wollen.“

Stadtentwicklung: „Hamburg kann noch mehr“

ECE-Chef Alexander Otto hatte kürzlich angeregt, auf Parkplätzen eigener Einkaufszentren Wohnungen zu bauen. „Wir schauen derzeit an verschiedenen Standorten in Deutschland, was möglich ist und wie viele Stellplätze wir in Zukunft benötigen. In Potsdam werden so 800 Wohnungen auf versiegelter Fläche entstehen, in Hamburg wäre das auch möglich. Es geht hier um versiegelte, sehr gut angeschlossene Flächen. Aber es muss sich rechnen.“ Als Politiker schaut er mit gewisser Wehmut auf die Zeit zurück, als das Leitbild „Wachsende Stadt“ in Hamburg gelebt wurde. Das habe der Metropole Selbstbewusstsein verliehen und einen Aufbruch angestoßen. „Nun muss Hamburg aufpassen, nicht wieder einzuschlafen. Ich hätte mir den Sprung über die Elbe kraftvoller gewünscht.“

Hesse hofft auf eine baldige Fortführung der U 4 über den Grasbrook hinaus nach Wilhelmsburg und Harburg. „Hamburg kann noch mehr.“ Als langjähriger Geschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA kennt er die Stärken und Schwächen deutscher Metropolen. „Hamburg gilt mit seiner Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik bundesweit bislang als Vorbild“, sagt Hesse. „Das sollte so bleiben.“

Fünf Fragen

Meine Lieblingsstadt ist natürlich Hamburg. Etwas Schöneres als Alster und Elbe gibt es für mich nicht. Ich habe viele andere Städte gesehen, aber keine fasziniert mich weiterhin so wie die „City in the Woods“. Ich könnte mir nicht vorstellen, anderswo zu leben.

Mein Lieblingsstadtteil ist die HafenCity, den ich von Anfang an politisch begleitet habe. Dort passiert so viel Neues, ich sehe und entdecke immer wieder neue Facetten. Da gibt es für jeden etwas. Ich selbst lebe derzeit mit der Familie im Grünen. Ich komme aus Langenhorn und genieße nun das Leben in Eißendorf in den Harburger Bergen.

Mein Lieblingsort ist derzeit das Millerntor: Da kann man in Hamburg erfolgreichen und attraktiven Fußball sehen … – ansonsten aber das Quartier rund um den Jungfernstieg. Hier schlägt das Herz unserer Stadt. Die derzeitige bauliche Situation macht mich traurig. Es reicht nicht aus, ein paar Blumenkübel zur Verkehrsberuhigung aufzustellen. Da erwarte ich mehr Kreativität und Engagement von der Stadt. Derzeit treiben sich dort leider viel zu oft Menschen rum, die den Ort nicht attraktiver machen.

Mein Lieblingsgebäude ist das Rathaus – aus Liebe zur Politik und zur Stadt. Als ich 1997 in die Bürgerschaft gewählt wurde, bin ich immer mit Stolz in das Gebäude hineingegangen. Ich kenne keine Stadt in Deutschland, die ein schöneres Rathaus hat. Und ich bin stolz auf unsere Elbphilharmonie, weil ich auch hier an der Entstehung mitwirken durfte.

Einmal mit dem Abrissbagger würde ich gern durch manche Industrie- und Gewerbegebiete fahren. Dort gibt es viel Immobilienschrott mit minderwertiger Substanz, der auch aus baukultureller und unter Berücksichtigung von grauer Energie nicht erhaltenswert ist. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir hier den Grund und Boden ökonomischer und ökologischer sinnvoller nutzen können