Neuwerk/Nienstedten. Das älteste Gebäude auf Hamburger Gebiet wird aufwendig saniert – Hotel und Restaurant sollen auch den Tourismus wieder ankurbeln.

Auf solidem Fundament stabil für die Zukunft bauen: Dieses jahrhundertealte Credo hanseatischer Pfeffersäcke wird heutzutage unverändert beherzigt – auch wenn der Preis hoch ist. Die dreijährige Sanierung des Leuchtturms auf Neuwerk wird mit mehr als zehn Millionen Euro zu Buche schlagen. Bis Sommer 2025 soll das wohl älteste nicht-kirchliche Bauwerk auf Hamburger Gebiet von Grund auf instandgesetzt werden. Haltbarkeitsdauer: ein paar Jahrzehnte. Hoffentlich.

Was anno 1300 als Wehrturm gegen Freibeuter und später als Leuchtfeuer diente, soll zukünftig für Belebung auf der Elbinsel sorgen. Zudem soll das 40 Meter hohe Denkmal aus rotem Backstein künftig als Hotel mit Dreisternequalität zehn Zimmer, eine Suite sowie eine Gastwirtschaft beinhalten. Mit 3,55 Millionen Euro beteiligt sich der Bund zu einem Drittel an den geplanten Investitionen.

Nordsee: Dressel ließ sich Pläne ins Krankenhaus bringen

„Es handelt sich um ein besonderes Stück Hamburg“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel dem Abendblatt. „Es ist eine Frage der Tradition, diese hochwertige Bausubstanz zu hegen und zu pflegen.“ Nach Kniescheibenbruch und Operation hatte der SPD-Politiker sich die Sanierungspläne ins Krankenhaus bringen lassen. Im Auftrag der Senatskanzlei kümmert sich die stadteigene Liegenschaftsverwaltung (LIG) um Planung und Umsetzung. Es ist ein Mammutprogramm. Ohne Leidenschaft, Liebe zum Detail und historische Kenntnisse geht gar nichts.

Ein Fall für Miriam Decker aus der LIG-Abteilung Bestandsmanagement und Team. Als Projektmanagerin wirkt die Architektin an einer „ganzheitlichen Sanierung“ des geschichtsträchtigen Leuchtturms. Auf der gut 100 Kilometer nordwestlich der Hansestadt in der Elbmündung idyllisch gelegenen, drei Qua­dratkilometer großen Insel erinnert der 722 Jahre alte Turm an turbulente Jahrhunderte.

Leuchtturm: Im Inneren herrschen marode Zustände

Architektin Miriam Decker.
Architektin Miriam Decker. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Das historische Bürgermeisterzimmer, in dem bald wieder Hochzeiten zelebriert werden können, ist legendär. Nicht nur wegen der Tatort-Krimikulisse. Die alten Räume für Beherbergung und Gastronomie sind arg in die Jahre gekommen. Zwar steht das Fundament aus geschichteten Felsblöcken und das bis zu drei Meter dicke Mauerwerk verblüffend stabil, doch herrschen trotz trutzigen Aussehens im Inneren marode Zustände.

Die Zeit blieb stehen – in jeder Beziehung. Fachleute sind bemüht, dem Turm mit neun Stockwerken, einem Zwischengeschoss, vier Zwischenböden und 138 Stufen mit modernen Untersuchungsmethoden substanziell auf den Grund zu gehen. „Die Planung gleicht einem Forschungsprojekt“, weiß Miriam Decker.

Zwischengeschoss wurde lange vergessen

Im vergangenen Sommer wurde der altehrwürdige Wehr- und Leuchtturm, der seit 2014 keine nautischen Signale mehr sendet, mit einem 3-D-Laser gescannt. Mit Einsatz einer Drohne wurden präzise Außenaufnahmen angefertigt. Dabei entdeckte man ein in Vergessenheit geratenes Zwischengeschoss. Bis die eigentlichen Bauarbeiten in zwei Jahren beginnen können, ist eine Gutachter-Garde gefordert: Schadstoff-Spezialisten, Bauphysiker, Mineralogen, Energieberater, Haustechniker und Statiker zum Beispiel.

Die ersten Ausschreibungen laufen bereits. Wegen der steigenden Baukosten wird mit einem höheren Etat als die ursprünglich kalkulierten zehn Millionen Euro gerechnet. In Zusammenarbeit mit Denkmalpfleger Christoph Schwarzkopf ist eine Arbeitsgemeinschaft Leuchtturm Neuwerk aktiv. Dazu zählen das Architektenbüro Anderhalten aus Berlin sowie das „baubüro.eins“ in Hamburg-Barmbek.

Auf Neuwerk leben nur 40 Personen

Auch wenn vor Corona im Schnitt fast 100.000 Besucher pro Jahr nach Neuwerk kamen, teilweise zünftig mit von Pferden gezogenen Wattwagen, leben auf der Insel selbst nur 40 Personen. Mit offiziellem Wohnsitz Hamburg. Um neues Leben auf ein traditionsreiches Eiland zu locken, sollen im Zuge der Turmsanierung Nebengebäude wie das ehemalige Spritzenhäuschen oder eine alte Halle modernisiert werden.

Dass Neuwerk einen ganz eigenen, einmaligen Charakter hat, weiß nicht nur Finanzsenator Andreas Dressel. Nach einem Dienstbesuch auf Hamburgs Außenbastion im Sommer 2021 entdeckte er seine „Liebe zu dieser Insel“. Ein paar Wochen darauf reiste er für ein Wochenende privat mit der Familie an. „Wir waren hin und weg“, sagt Dressel.

Bereits die Anfahrt ist ein Erlebnis

Turm-Experte Frank Toussaint.
Turm-Experte Frank Toussaint. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Frank Toussaint verwundert diese Gefühlswallung keineswegs. Der promo-vierte Astrophysiker aus Blankenese hat als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Seezeichen fast 1000 Leuchttürme in aller Welt gesehen. Der historisch-rustikale Backsteinbau auf Neuwerk ist ihm eine Herzenssache. Toussaint hält regelmäßig Vorträge darüber. „Die Insel und der Turm“ heißt einer, „Das Feuer und seine Wärter“ der andere. Seit der Automatisierung der Signalanlage 1968 waren klassische Turmwärter außer Dienst. Eine von der Deutschen Post 2010 herausgegebene Briefmarke machte das Hamburger Denkmal des Nordens noch bekannter.

Schließlich ist bereits die Anfahrt ein Erlebnis. Von Cuxhaven kann man ab Anleger Alte Liebe an Bord der „MS Flipper“ aufbrechen. Alternativ führt der Weg mit dem Bus nach Sahlenburg, von dort in knapp eineinhalb Stunden mit dem Wattwagen nach Neuwerk. Als Kind machte Frank Toussaint dort regelmäßig Familienferien. Es waren unvergessene Abenteuerurlaube im Einklang mit der Natur. Diese Begeisterung hielt lebenslang. „Neuwerks Leuchtturm ist ein monumentaler Hingucker erster Klasse“, sagt Dr. Toussaint.

Natur in Helgoländer Bucht noch unberührt

Zum Informationsaustausch über eine gemeinsame Leidenschaft setzten sich die Neuwerk-Profis Miriam Decker und Frank Toussaint auf Abendblatt-Initiative im Restaurant Engel auf dem Ponton Teufelsbrück bei einem Pott Kaffee zusammen. Die Architektin des städtischen Immobilienmanagements präsentierte auf ihrem Laptop Fakten satt: Querschnitte, Bauzeichnungen, Planskizzen. Anfang März dieses Jahres fuhr eine Gruppe Architektinnen, Historiker, Restauratorinnen und Denkmalpfleger nach Neuwerk.

Am runden Tisch des Bürgermeisterzimmers wurden Projektdetails erörtert. Legendär sind ebenfalls die früheren Räumlichkeiten des Leuchtturmwärters und des Vogelwartes. Es gibt nicht viele Orte hierzulande mit so unberührter Natur wie im südöstlichen Teil der Helgoländer Bucht und der Elbmündung.

Nordsee: Im Zwischengeschoss wurde Fisch geräuchert

Aus Chroniken geht hervor, dass in einem Zwischengeschoss einst Fisch geräuchert wurde. Historische Delikatessen wie diese sollen eine Ausstellung im oberen Bereich des Traditionsturms bereichern. Ebenso wie das neue Hotel und das über zwei Ebenen führende Restaurant sollen Hochzeiten in stilvollem Rahmen sowie Rundgänge auf der Plattform von 2025 an Besuchermagneten sein.

„Der Einsatz hat seinen Preis“, weiß Miriam Decker. „Unter dem Strich jedoch soll die Rechnung aufgehen.“ Stichworte sind die geschichtliche Bedeutung und eine wirtschaftliche Belebung durch neue Gäste. Die Zukunft soll langfristig gesichert werden. Bei dieser Zielvorgabe setzt Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel intern Zeichen: Der Betriebsausflug der Behördenleitung führt in diesem Jahr nach Neuwerk. Postleitzahl 27499 Hamburg.