Hamburg. Dr. Annina Carstens leitet die Substitutionsambulanz an der Holstenstraße – und gibt einen Einblick in ihren Arbeitsalltag.
Das muss ein unglaublich harter Job sein. Denkt man fast automatisch, wenn man liest, wo und mit wem Dr. Annina Carstens arbeitet. Auch wenn die 41-Jährige, die seit knapp fünf Jahren an der Ecke Max-Brauer-Allee/Holstenstraße Hamburgs größte sogenannte Substitutionsambulanz leitet, das im Gespräch sofort abräumt: „Ich weiß, dass sich viele Menschen überhaupt nicht vorstellen können, dass man mit unseren Patienten gut zusammenarbeiten kann. Aber es geht richtig gut, und es macht sogar große Freude.“
Ihre Patienten, das sind meist heroinabhängige Menschen. Bis zu 700 Patienten behandelt die Suchtmedizinerin mit ihrem rund 30-köpfigen Team aus Ärzten, Pflegern und Sozialpädagogen pro Quartal. „Wir wollen ein niedrigschwelliges Angebot sein“, sagt Dr. Annina Carstens. Das sei schon bei der Gründung der Einrichtung, die viele Jahre etwas missverständlich als „Drogenambulanz“ („wir geben ja keinen Stoff frei raus“) bekannt gewesen sei, vor knapp 30 Jahren die Idee gewesen. „Das heißt, jeden Tag kommen Menschen von der Straße rein und bitten um Hilfe.“
Heroin: Team behandelt bis zu 700 Abhängige pro Quartal
Diese Unterstützung müsse schnell kommen, denn natürlich seien das keine Patienten, die „eine Stunde im Wartezimmer ausharren können“. Viele hätten Schmerzen. litten unter akuten Entzugserscheinungen. Zunächst werde immer zügig ein sogenanntes Drogenscreening gemacht, um sicherzustellen, dass der Patient tatsächlich opiatabhängig sei. „Es gibt ja noch eine Menge anderer Drogen, aber wir kümmern uns um jene, die von Heroin oder opiathaltigen Medikamenten abhängig sind.“
Dann führe sie sehr zeitnah ein Gespräch. „Wann haben Sie zuletzt konsumiert? Wie viel ungefähr? Welche Entzugserscheinungen kennen Sie von sich und ab wann treten die auf?“ Gegebenenfalls werde direkt ein Substitut – das wohl bekannteste ist Methadon – in niedriger Dosis verabreicht. In der Regel würden die Patienten dann täglich in die Ambulanz kommen und ihre Dosis einnehmen. „Als Suchtmedizinerin braucht man Geduld“, sagt die Ärztin, die in Heidelberg Medizin studiert hat und aktuell an der Universität Hamburg noch einen Abschluss in Gesundheitsmanagement anstrebt. „Nicht selten geht es drei Schritte vorwärts und dann wieder zwei zurück.“
Und ja, es könne auch mal laut werden. Die Polizei habe auch schon anrücken müssen. „Aber das sind Einzelfälle! In der Regel sind unsere Patienten unglaublich dankbar, dass wir ihnen helfen.“ Es sei ein schönes Gefühl, wenn ein Patient wieder Eigenverantwortung übernehme, Selbstwertgefühl entwickele und ein „geordnetes“ Leben anstrebe.
Suchtmedizin? Gilt als schwierig und wenig lukrativ
„Wir haben Patienten, die mittlerweile Familie, Job und Wohnung haben und denen man ihre harte Drogenvergangenheit nicht anmerken würde.“ Ein komplett unsubstituiertes Leben sei erstrebenswert, aber die komplette Drogenfreiheit nicht mehr oberstes Ziel. „Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es nichts bringt, das Substitut zu früh wegzulassen. Die Rückfallquote ist hoch, plötzlich hängen die Patienten wieder an der Nadel.“ In der Regel begleite sie die Patienten daher mehrere Jahre, auch Angehörige bekämen in der Ambulanz Rat.
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Was Dr. Annina Carstens umtreibt, ist die Sorge, dass es schon sehr bald auch in Hamburg zu wenige Suchtmediziner geben wird. „Viele gehen in Rente, und es gibt kaum Nachwuchs.“ Die Gründe dafür seien vielfältig. Womöglich gelte die Arbeit als zu wenig lukrativ, als psychisch zu herausfordernd. „Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn man schon während des Medizinstudiums mit dem Fachbereich in Berührung käme.“ Sie selbst sei auch nur durch einen Zufall in der Suchtmedizin gelandet. „Und ich habe es keine Sekunde lang bereut.“