Neuwerk. Umweltsenator Jens Kerstan wird beim Besuch auf der Insel mit Problemen konfrontiert. Immer weniger Menschen wollen dort leben.
Nicht alle auf Hamburgs Nordseeinsel sind dieser Tage gut zu sprechen auf die Politik, da passte es, dass Jens Kerstan Ende vergangener Woche finstere Wolken, Dauerregen und Sturmböen mit nach Neuwerk brachte. Dabei ging es bei dem Ausflug des grünen Umweltsenators auf das zum Hamburger Bezirk Mitte gehörende Eiland in der Helgoländer Bucht eigentlich um freudige Anlässe.
Kerstan kam, um das 30. Jubiläum des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer zu feiern, das vom Umweltbundesamt zum „Boden des Jahres“ gekürte Watt zu inspizieren, Pläne für ein CO2-freies Neuwerk voranzutreiben – und eine Tour zur vorgelagerten Insel Scharhörn zu unternehmen.
Die Stimmung auf der Insel ist schlecht: Neuwerk entvölkert
Aber nicht nur die Fahrt zur Nachbarinsel fiel wegen eines zu hohen Wasserstandes aus, die Stimmung auf Neuwerk ist auch unabhängig vom Wetter eher finster, wie Kerstan feststellen musste. Der Grund ist simpel: Immer weniger Menschen wollen auf der Insel leben. Nur noch um die 25 Einwohner hat Neuwerk, vor 30 Jahren waren es doppelt so viele. Die Insel sterbe aus, schrieb „Bild“ gerade. Und das befürchtet auch Inselwart Christian Griebel.
Gerade der Weggang der letzten Familie mit kleinen Kindern vor ein paar Wochen und die Schließung der Inselschule seien Signale, dass sich Neuwerk nur noch mithilfe von außen regenerieren könne, sagte Griebel dem Abendblatt. Vor allem drei Probleme erschwerten die Ansiedlung neuer Einwohner: Die Verbindung zum Festland werde im Winter durch einen neuerdings sehr tiefen Priel behindert, da man diesen mit dem Trecker oft nicht mehr überqueren könne. Bei der Inselfeuerwehr, die auch für den Rettungsdienst zuständig sei, gebe es nur noch drei Mann. Und man könne möglichen Zuzüglern keinen Wohnraum anbieten, weil Neubauten durch das Nationalparkgesetz lange verboten waren und es auch nach den Erleichterungen durch das neue Entwicklungskonzept keinen Investor gebe.
Kritik auf Neuwerk: "Hamburg kommt nicht in die Füße"
In all diesen Punkten sei man auf Unterstützung angewiesen. Vielleicht könnte doch die Saga Wohnraum für fünf oder sechs Familien schaffen, so Griebels Idee. Die Stadt müsse sich auch darum kümmern, den Priel passierbar zu halten, und ein Modell zur Stärkung der Feuerwehr unterstützen, etwa durch auf Neuwerk Urlaub machende Kollegen vom Festland. „Hamburg kommt da bisher leider nicht so richtig in die Füße“, sagt Griebel. „Wir hoffen, dass sich das bald ändert, denn wir brauchen Hilfe der Stadt, um hier die Wende zu schaffen.“
Auch am Wahrzeichen der Insel, dem 710 Jahre alten Neuwerker Leuchtturm, der als ältestes Profan-Bauwerk der deutschen Küste gilt, ist die Laune derzeit mies, wie Kerstan zu hören bekam. Pächterin Antje Göttsche, die sich seit 26 Jahren um die Vermietung der Zimmer und die Besucher der Aussichtsplattform kümmert, hat genug und will kündigen.
Auslöser: Hamburgs städtischer Immobilienverwalter Sprinkenhof habe noch in der Saison ohne richtige Absprache mit der Sanierung der Turmfenster begonnen. Nun könne sie keines der Zimmer mehr vermieten. So ein Vorgehen habe „mit Wertschätzung nichts zu tun“, sagte Göttsche auf Abendblatt-Nachfrage. Nun wolle sie aus dem Pachtvertrag aussteigen und die Insel verlassen. Es passt ins Bild, dass auch der den Neuwerkern länger versprochene Spielplatz noch immer nicht gebaut wurde.
Auf Neuwerk gibt es zu wenig Wohnraum
Dabei dürfte die wirtschaftliche Lage auf der Insel nicht das Hauptproblem sein. Denn die Zahl der Tages- und Übernachtungstouristen wird auf mehr als 100.000 pro Jahr geschätzt, und die Corona-Krise hat manchen der vier Hotels mit ihren rund 150 Betten sogar mehr Gäste gebracht, wie ein Hotelier berichtet – weil viele Deutsche statt auf Fernreise nun auf Urlaub ins Wattenmeer führen. Aber wer Gästezimmer und Wattfahrten anbietet, braucht Personal. Das aber komme nur, wenn es mit der Familie auf der Insel auch bauen dürfe.
Umweltsenator Kerstan sieht die Probleme, will aber von einem Gegensatz zwischen Einwohnern und Tourismus auf der einen und Naturschutz auf der anderen Seite nichts wissen. Man brauche die Bewohner auch und gerade in einem Nationalpark. „Wir haben auch aus Naturschutzsicht überhaupt kein Interesse daran, dass die Insel sich entvölkert, sondern im Gegenteil: Wir wollen, dass die Bewohner hier eine gute Zukunft und ein gutes Auskommen haben, und wollen das mit dem Naturschutzgedanken zusammenbringen“, sagt der Grünen-Politiker.
„Um die Infrastruktur, Rettungswache, Feuerwehr und Sanitätsdienste aufrechtzuerhalten, liegt die Last im Moment auf wenigen Schultern.“ Daher habe man mit den Bewohnern ein Konzept erarbeitet, um mehr Menschen auf der Insel anzusiedeln. Daran müsse man „langfristig miteinander arbeiten“.
Entschleunigung für Hamburgs Kinder
Bei seinem bereits dritten Inselbesuch ließ sich Kerstan auch das Schullandheim am Turm zeigen, das wegen Corona sein 100-jähriges Bestehen in diesem Jahr nicht gebührend feiern konnte. Dieses und das zweite Schullandheim der Insel seien wichtige Brücken zwischen Neuwerk und der Hansestadt, sagte Nationalparkleiter Klaus Janke: Generationen von Hamburger Kindern seien hier auf Klassenfahrt oder in den Ferien gewesen.
Die Vertreter des Fördervereins des Heims mit seinen etwas in die Jahre gekommenen Schlafsälen priesen denn beim Kerstan-Besuch auch das für Kinder heilsame einfache Inselleben fern der Großstadt – und betonten, dass hier keiner der Schüler das WLAN-Passwort (für das auf Neuwerk sehr gute Internet) bekomme. Hier werde Kicker oder Tischtennis gespielt oder, naheliegend, durchs Watt gewandert. Diese Art von Entschleunigung mache die meisten Kinder binnen Stunden zufriedener.
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An anderer Stelle auf der Insel wird derweil der Fortschritt bejubelt. In ihrer Stackmeisterei hat die Hafenbehörde HPA mit viel Ingenieursgeschick Solaranlage und Wärmepumpe kombiniert, sodass zum Beheizen des Gebäudes kein Öl mehr verfeuert werden muss und der Strombedarf deutlich gesenkt werden konnte. Man hoffe, so als Vorbild auf der Insel zu wirken, sagt der HPA-Mann.
CO2-freie Insel in der Nordsee
Auch wenn die Fahrt nach Scharhörn ausfiel, besuchte Kerstan unter Führung von Insel-Ranger Thorsten Köster am sonnigen zweiten Besuchstag natürlich auch das Watt. Der aus Bremen stammende Werder-Fan Köster arbeitet seit 2007 auf der Hamburger Insel, erklärt den Besuchern die Natur und sorgt dafür, dass sich alle an die Nationalpark-Regeln halten. Für den Senator stach er am Freitagmorgen mit seinem Spaten einmal tief ins Watt und, siehe da, hatte direkt einen stark belebten Klumpen mit wuseligem Wurmbestand gehoben – ganz zur Freude des Senators, der sich allerdings wenig später dann auch noch um die Meldungen aus Hamburg kümmern musste, dass Vattenfall sein Kohlekraftwerk Moorburg abschalten will.
Trotz solcher Ablenkungen und aller Probleme der Neuwerker zog Kerstan eine positive Bilanz des Besuchs, bevor er sich mit der Fähre „Flipper“ auf die Rückfahrt nach Cuxhaven machte. „Neuwerk liegt mir sehr am Herzen“, so der Senator. Die Natur sei „das große Pfund, das die Insel hat, auch für den Tourismus“. Wenn Neuwerk „eine der ersten Inseln in der Nordsee würde, die CO2-frei wird, könnte man mehr Aufmerksamkeit generieren“, so Kerstan.
„Es geht nicht um ein Gegeneinander und Entweder-Oder, sondern um ein Zusammen – und darum bin ich regelmäßig auf der Insel. Wir haben eigentlich ein ganz gutes Verhältnis, die Bewohner und ich.“ Das bestätigte – trotz aller Sorgen – auch Inselwart Griebel. „Ich habe nach dem Gespräch mit dem Senator ein gutes Gefühl“, so Griebel. „Ich glaube, dass er unsere Probleme verstanden hat.“