Hamburg. Zwei junge Frauen haben Job und Unterkunft in St. Peter-Ording. Doch sie werden wochenlang von Behörde zu Behörde geschickt.
Auf den ersten Blick ist es eine der vielen erfreulichen Geschichten rund um die Ankunft ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. Zwei junge Frauen werden von einer Hamburger Familie wie Töchter aufgenommen. Ein Bekannter vermittelt ihnen Unterkunft und Arbeit. Doch nach einem Monat sind die beiden immer noch nicht registriert und deshalb ohne Arbeitserlaubnis. Es ist die Chronik einer bürokratischen Irrfahrt.
Anna (21) und Maryna (34) sitzen am großen Esstisch der Familie Ritter-Stender in Bahrenfeld. Eine Nachbarin klingelt, sie bringt Kleidung „für jede Witterung“ vorbei, denn das Aprilwetter in Hamburg ist wechselhaft.
Die unglaubliche Odyssee durch die Bürokratie
Anfang März haben die beiden Frauen ihre Heimatstadt Winnyzja im Westen der Ukraine mit einem Sprinter in Richtung Polen verlassen. Ein polnischer Bekannter von Marynas Eltern aus Stettin kontaktierte einen Freund in Hamburg. Stanislaw Biernacki, ein pensionierter polnischer Ingenieur, holte Anna und Maryna nach Hamburg.
Die ersten acht Tage verbringen die beiden in den Messehallen. Biernacki, der neben Polnisch und Deutsch auch Russisch spricht, holt sie regelmäßig ab und zeigt ihnen Hamburgs Parks und Sehenswürdigkeiten. Und er verschafft den beiden eine Perspektive: Ein Bekannter in Sankt Peter-Ording bietet den Frauen Stellen in seinem Restaurant und eine kleine möblierte Wohnung an. Anna und Maryna sagen sofort zu. „Meine Mutter hat sich geweigert, Winnyzja zu verlassen“, erzählt Maryna, die in ihrer Heimatstadt in einem Juweliergeschäft arbeitete. „Sie ist Rentnerin, mit dem Geld kann ich sie unterstützen.“
In den Messehallen erhalten sie ein Schreiben mit der Aufforderung, sich für die Registrierung zum Ankunftszentrum in Bad Fallingbostel-Oerbke zu begeben. Biernacki fährt mit den beiden Frauen in die niedersächsische Kreisstadt. Nachdem sie erklärt haben, dass Unterkunft und Arbeitsstelle ab dem 1. April in Sankt Peter-Ording bereits bestätigt sind, verweist sie die Behörde zur Registrierung an den zuständigen Landkreis Nordfriesland.
Pensionierte Lehrerin gibt den beiden Frauen Deutschunterricht
Biernacki, der seine Rente mit Taxifahren aufbessert, bringt die beiden für drei Nächte in seiner kleinen Wohnung in Eppendorf unter und kontaktiert einen ehemaligen Arbeitskollegen. Michael Stender, der mit seiner Frau und einer befreundeten Familie in einem großen Haus in Bahrenfeld lebt, erklärt sich sofort bereit, die beiden Frauen aufzunehmen. Christiane Berndt, eine pensionierte Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, die mit ihrem Mann im Erdgeschoss wohnt, gibt den neuen Mitbewohnerinnen Deutschunterricht.
Unterdessen schickt der zukünftige Arbeitgeber die notwendigen Unterlagen an die Ausländerbehörde in Husum und vereinbart einen Registrierungstermin.
Biernacki setzt sich erneut ins Auto und fährt mit den beiden Frauen nach Nordfriesland. In der Husumer Ausländerbehörde werden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen. „Die beiden waren fast zu Ende registriert“, seufzt Biernacki. Doch kurz vor Ende des Registrierungsvorgangs entdeckt der Sachbearbeiter einen EASY-Eintrag für Bad Fallingbostel. EASY steht für „Erstverteilung der Asylsuchenden“ und soll eine gerechte Verteilung unter den Bundesländern garantieren. Anhand einer festgelegten Aufnahmequote werden Asylsuchende automatisch vom Computer der nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtung mit freien Kapazitäten zugeteilt.
"Rückgängigmachen einer Verteilentscheidung nicht zulässig"
So fährt das Trio am späten Nachmittag von Husum zurück nach Bad Fallingbostel. Die Sachbearbeiterin vor Ort bittet sie, nach dem Wochenende wiederzukommen. Am Montag darauf die ersehnte Nachricht: Eine Registrierung sei nun bundesweit möglich. „Ihr seid aus dem System, fahrt nach Husum“, erinnert sich Stanislaw Biernacki an die Worte der Sachbearbeiterin. In gehobener Stimmung machen sich die drei am nächsten Morgen erneut auf den Weg in den Norden. Zu ihrem Entsetzen erfahren sie, dass der EASY-Eintrag keineswegs aufgehoben und die Husumer Behörde daher weiterhin nicht zuständig sei. Da Maryna und Anna in Hamburg wohnen, empfiehlt der Sachbearbeiter, online einen Termin beim Hamburger Amt für Migration zu vereinbaren.
„Spätestens hier haben wir angefangen uns im Kreis zu drehen“, sagt Michael Stender. Er fährt selbst mit den beiden Frauen zum Amt für Migration in der Hammer Straße. Dort nimmt sich ein freundlicher Mitarbeiter der Angelegenheit an. Nach einer Dreiviertelstunde verkündet er ihnen, dass auch er den EASY-Eintrag für Bad Fallingbostel nicht umgehen könne. „Jetzt haben die beiden natürlich tagelang die Angst: Da haben sie eine Perspektive, aber die zerfällt“, wirft Christiane Berndt ein.
Auf Anfrage teilt das Amt für Migration in Hamburg mit, dass „das Rückgängigmachen einer Verteilentscheidung generell nicht zulässig“ sei. Jenseits davon könne „grundsätzlich nur nach Einzelfallprüfung“ entschieden werden.
Zukünftiger Arbeitgeber Registrierung vor Ort nachholen
Zutiefst entmutigt von einer Odyssee, die Kopfschütteln und ungläubiges Lachen um den Esstisch herum auslöst, fahren die beiden Frauen und Biernacki auf Empfehlung des Mitarbeiters in der Hammer Straße zur zentralen Erstaufnahme in Rahlstedt, wo der EASY-Eintrag ursprünglich angelegt wurde.
Dort erfahren Anna und Maryna, am Tiefpunkt ihrer Moral angelangt, dass Hamburg „inzwischen nicht mehr zuständig“ sei. Stattdessen, so die Mitarbeiterin vor Ort, sollen sie sich für die Registrierung und eine anschließende bundesweite Verteilung in Hannover-Laatzen melden. Die für die Verteilung zuständige Landesaufnahmebehörde in Niedersachsen bestätigt die Aussage gegenüber Michael Stender telefonisch.
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Am nächsten Tag fahren Biernacki und die beiden Frauen frühmorgens zum Messegelände in Laatzen. Eine verwunderte Beamtin erklärt ihnen, dass „hier ausschließlich eine Weiterverteilung innerhalb Niedersachsens“ stattfinde. Als Anna, Maryna und Stanislaw Biernacki an diesem Morgen vor der großen Messehalle 13 stehen, haben sie mehr als 1500 Kilometer zurückgelegt und sind doch kein Stück vorangekommen.
Erfahrung mit bürokratischen Hürden nimmt jede Motivation
„Wir hatten eine wundervolle Zeit mit den beiden“, sagt Christiane Berndt. „Aber mir nimmt diese Erfahrung jegliche Motivation, mich weiter zu engagieren.“
Schließlich laden die beiden Ukrainerinnen und ihre Gastgeber Bettwäsche, wetterfeste Kleidung und zwei Fahrräder in Stanislaw Biernackis Wagen. Tobias Beck, ihr zukünftiger Arbeitgeber in Sankt Peter-Ording will die beiden in jedem Fall beschäftigen und die Registrierung vor Ort nachholen: „Komme, was wolle.“