Hamburg. Ein Erfolgsmodell zum Nachmachen: Geflüchtete könnten die Personalprobleme in der Gastronomie im Norden lösen.

Aufgeregt war Kataryna Zhytkevych schon vor ihrem ersten Arbeitstag in Deutschland. Aufgeregt und voller Vorfreude, soweit die junge Frau aus der Ukraine das in diesen Tagen sein kann. „Katja war hochmotiviert. Wollte sofort alles machen und mit anpacken. Wirklich helfen“, sagt Irina Boganjuk, ihre Schwester. Die beiden sind seit kurzem Kolleginnen auf Gut Wulksfelde. Und ein Beispiel dafür, wie schnell Geflüchtete im Norden einen Job finden können, gerade in der Gastronomie.

Jens Stacklies, der Vizepräsident des Hamburger Hotel- und Gaststättenverbandes, sieht in einer solchen Konstellation eine große Chance. „In unserer Branche kommt einiges zusammen. Zum einen haben wir einen großen Personalmangel“, sagt er. „Dazu gibt es aber hier die Möglichkeit der niedrigschwelligen Einstiege. Sprich: Fast jeder kann angelernt werden.“ Und zusätzlich gebe es zumeist sehr gute Aufstiegschancen. „Wer sich engagiert, der kann hier schnell in gute Positionen kommen und dabei auch gutes Geld verdienen.“ Schließlich biete die Gastronomie eine enorme Integrationsmöglichkeit. „Die sollten wir unbedingt nutzen.“ Er selbst beschäftige bei sich Menschen aus 40 Nationen – mit Erfolg, wie der Unternehmer sagt.

Mitarbeiterin auf Gut Wulksfelde: Sorge um die Schwester in der Ukraine

Aber nun zu der Geschichte von Kataryna Zhytkevych und ihrer Schwester Irina. Letztere lebt seit rund neun Jahren in Deutschland, genauer gesagt in Tangstedt. In der Gutsküche auf Gut Wulksfelde macht sie eine Ausbildung im Gastro-Management verbunden mit einem Dualen Studium in Hamburg. Mit ihrem Mann und ihrer fünfjährigen Tochter lebt sie in einem Haus gleich um die Ecke. Doch der 24. Februar hat ihr geordnetes Leben über den Haufen geworfen. „Wir saßen die ersten zwei Tage zu Hause wie gelähmt, angekettet an unsere Handys, und haben versucht herauszufinden, wie es Freunden und der Familie in der Ukraine geht“, sagt die junge Mutter.

Ihre Sorge galt ihrer Familie, die in Kiew lebte. „Uns war schnell klar, wir müssen sie da rausholen“, sagt sie heute. Nur wie? Der Mann ihrer Schwester, der für ein international tätiges Marketingunternehmen arbeitet, habe nicht ausreisen dürfen. Deshalb hätten sie entschieden, dass Kataryna, ihr Sohn Savva und Schwiegermutter Svitlana Zhytkevych nach Deutschland aufbrechen sollten.

Das Problem: Die Schwester hat zwar einen Führerschein, war aber seit vielen Jahren nicht mehr selbst Auto gefahren. Also habe ihr Schwager seiner Frau erklärt, wie der eigene Wagen funktioniere, berichtet Irina Boganjuk. Zusammen mit dem Familienhund und der Katze hätten am Ende sieben Frauen und Kinder in dem Auto gesessen, als sie sich Richtung Polen aufmachten. „Eine befreundete Familie musste auch noch mit.“

Krieg in der Ukraine: Flucht der Familien dauerte elf Tage

Zur gleichen Zeit organisierte Irina Boganjuk gemeinsam mit ihrem Chef Matthias Gfrörer und dem Gut Wulksfelde einen Hilfskonvoi an die polnisch-ukrainische Grenze (das Abendblatt berichtete). Ihre Ortskenntnis und ihre Kontakte halfen unter anderem dabei, dass die 100 Tonnen Hilfsgüter schnell weiter verteilt werden konnten. Doch damit nicht genug, die junge Mutter begleitete den Konvoi mit ihrem Auto, um als Übersetzerin helfen zu können. Und ihrer Familie in Polen entgegen zu fahren.

„Wir hätten niemanden in dem Lkw einfach so mitnehmen können“, sagt der Hamburger Koch Matthias Gfrörer, der einen der Laster fuhr. Deshalb sei die Idee mit dem Begleitfahrzeug entstanden. Nach Ablieferung der Hilfsgüter fuhr seine Mitarbeiterin also weiter nach Krakau, um ihre Familie zu treffen. Gfrörer machte sich gemeinsam mit den anderen Hilfsfahrzeugen sofort wieder auf in Richtung Heimat

Derzeit arbeitet Kataryna gemeinsam mit ihrer Schwester im Deli

Insgesamt elf Tage dauerte die Flucht der Familien. „Hier haben wir uns dann aufgeteilt. Ich habe meine Schwester, ihren Sohn und die Schwiegermama bei uns aufgenommen. Unsere Freunde sind weiter zu Bekannten nach Hamburg.“ Doch mit sechs Mann und zwei Tieren wurde es schnell eng in dem Haus in Tangstedt, berichtet Irina Boganjuk. Also habe sie sich auf die Suche nach einer Wohnung gemacht – und schnell eine Unterkunft gefunden. „Im Nachbardorf wohnen die drei jetzt in einer Einliegerwohnung. Das ist ganz wunderbar.“

Damit hat die Familie Glück, auch weil sich hier jemand vor Ort mit Deutschkenntnissen um alles kümmern kann. Irina Boganjuk ging mit ihrer Familie zu den Behörden, meldete sie überall an. Sie half dabei, eine Schule für den zwölfjährigen Savva zu finden. „Wir waren beim Einwohnermeldeamt, beim Sozialamt, beim Amt für Migration. Alles ist erst einmal geregelt.“ Allerdings, so schränkt die junge Frau ein, sei das in einem kleinen Dorf wie Tangstedt sicherlich auch leichter als in einer Großstadt. „Hier kennt man sich, alle unterstützen einander.“ Savva geht bereits zur Schule. Schwiegermutter Svitlana Zhytkevych besucht verschiedene Online-Deutschkurse und kümmert sich um den Haushalt.

Kataryna ist dankbar für die Chance, etwas Sinnvolles tun zu können.

Und Kataryna, oder Katja, wie ihre Schwester sie nennt, hat bei Matthias Gfrörer und seinem Team einen Job gefunden. „Ich habe sie ganz offen gefragt, ob sie sich vorstellen kann, uns zu unterstützen“, sagt der Koch. Schließlich habe sie als Betriebswirtin und Studentin für Interior-Design eigentlich nicht die passende Ausbildung. „Aber mir war schnell klar, dass das trotzdem gut passen könnte.“ Kataryna Zhytkevych ist dankbar für die Chance, etwas Sinnvolles tun zu können. Und die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen.

Derzeit arbeitet sie gemeinsam mit ihrer Schwester im Deli, dem kleinen Café von Gfrörer und seiner Frau Rebecca auf Gut Wulksfelde. Hier stehen jetzt überall Schilder, die die Kunden auf die Situation hinweisen: „Hallo, mein Name ist Kateryna. Ich komme aus der Ukraine“, heißt es darauf. Und weiter: „Es tut mir leid, ich spreche noch kein Deutsch, aber ich gebe mein Bestes, es so schnell wie möglich zu lernen. In der Zwischenzeit bin ich bereit, mein Lächeln mit euch zu teilen und köstlichen Kaffee und Kuchen zu servieren.“ Insgesamt klappt es schon richtig gut, berichten alle Beteiligten. „Sie hört zu, wenn ich die Bestellungen aufnehme, nimmt Schlagworte wie Franzbrötchen oder Waffel auf und kümmert sich“, sagt Irina Boganjuk.

Quereinstieg ist in der Gastronomie gut möglich

Auch Gfrörer ist zufrieden mit seiner neuen Mitarbeiterin, die er erst einmal in Teilzeit eingestellt hat. „Ich finde es wichtig, dass wir sie nicht überfordern“, sagt er. Schließlich müsse sie nach allem, was sie erlebt habe, hier erst einmal ankommen. Die vergangenen Wochen verarbeiten. „Wir können uns doch alle nur schwer vorstellen, was in den geflüchteten Menschen vorgeht“, sagt er. Und mahnt zu einem sensiblen Umgang mit den Menschen aus der Ukraine.

Er sieht es aber auch als große Chance an, die sich gerade in der Gastronomie jetzt biete. „Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel, sind überall schlecht aufgestellt“, so Gfrörer. „Und im Gegenzug kann man in unserer Branche recht einfach quer einsteigen. Da haben wir es sicherlich besser als andere Bereiche.“ Diese Chance wolle er nutzen – und fordert das auch von seinen Kollegen. „Wir müssen uns davon verabschieden, immer auf Abschlüsse und Zertifikate zu schauen, sondern unbürokratisch handeln.“ Gfrörer ist sich sicher, seine Kunden würden das honorieren. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier Ärger gibt, weil mal jemand etwas länger wartet, oder etwas falsch verstanden hat.“ Die ersten Arbeitstage der beiden Schwestern würden das auch zeigen. Nun habe seine neue Mitarbeiterin angeboten, bei der Oster-Dekoration für den Laden zu helfen. Gfrörer freut das. „So soll es doch sein.“

Dehoga sieht eine große Chance für die Branche

Genau darin sieht Stacklies vom Dehoga auch die große Chance für seine Branche. „Wenn wir den Menschen schnell eine Beschäftigung anbieten, dann werden sie nicht nur integriert, sondern sie können etwas Sinnvolles tun, statt nur herumzusitzen und abzuwarten.“ Die Tatsache, dass viele der ukrainischen Geflüchteten vermutlich nach dem Ende des Krieges wieder in ihre Heimat zurückwollen würden, sei für ihn kein Problem. „Wir haben ja eine gewisse branchenübliche Fluktuation, da stört das gar nicht.“ Er appelliert an die Politik, die behördlichen Hürden abzubauen. „Wir stellen gern gute Arbeitsplätze mit guter Arbeit zur Verfügung. Nun muss es den Menschen nur möglichst leicht gemacht werden, die auch zu nutzen.“

Irina Boganjuk ist glücklich über die ersten Arbeitstage mit ihrer Schwester. „Der Empfang für Kataryna war unheimlich herzlich, die Hilfsbereitschaft ist groß.“ Das gemeinsame Arbeiten mache Spaß. „Wir versuchen das Positive in dieser schrecklichen Situation unseres Heimatlandes zu sehen. Und das ist, dass wir Geschwister viel Zeit miteinander verbringen können.“ Wie es in Zukunft weiter gehen soll, könnten sie allerdings jetzt nicht sagen. Es sei unrealistisch, derzeit Pläne zu machen, sagt die junge Mutter. Sie denkt von Monat zu Monat. Wenn es ginge, wolle die Familie irgendwann in ihre Heimat zurückkehren. Zurück zu ihrem Vater, Ehemann und Sohn, der derzeit an der ukrainisch-slowakischen Grenze untergekommen ist und arbeitet. Bis dahin müssen die täglichen Telefonate reichen.