Hamburg. 26 bezahlbare Mietwohnungen in Hamburg zu errichten ist ihr Ziel – doch der Weg dahin ist mühsam und erfordert viel Geduld.
Auf dem Tisch in der Gaststätte Kupferkrug liegt eine Karte. Sie zeigt einen Ausschnitt von Georgswerder im Nordosten von Wilhelmsburg. Kleine grüne Bälle symbolisieren Bäume, weiße Vierecke Häuser. Drei Frauen, alle Anfang 30, beugen sich über die Karte. Sie sehen dort mehr als Vierecke und Bälle: Sie sehen ihren Traum.
Maria Görlich, Katharina Steinebach und Karla Dümmler sind Teil der Baugemeinschaft „Deichgezwitscher“. Sie besteht momentan aus elf Erwachsenen und fünf Kindern, nach weiteren Mitgliedern wird gesucht. Das älteste ist 52 Jahre alt, das jüngste ist wenige Monate alt. Zusammen wollen sie ein Haus bauen, ohne es zu besitzen. Was klingt wie eine alternative Utopie, versuchen sie mit Struktur in die Realität umzusetzen. Ohne Bürokratie baut man auch als Gemeinschaft nichts.
Wohnung Hamburg: Baugemeinschaften bieten Chance
Baugemeinschaften sind ein Weg, trotz des angespannten Wohnungsmarkts in Hamburg eine Bleibe nach eigenen Vorstellungen zu finden. Menschen schließen sich zusammen und bauen auf einem Grundstück ein gemeinsames Mehrfamilienhaus.
Ihre Anzahl soll in den nächsten Jahren steigen: Laut Behörde für Stadtentwicklung sollen in den großen Entwicklungsgebieten jeweils 20 Prozent der Grundstücke Baugemeinschaften zur Verfügung gestellt werden. In Wilhelmsburg läuft das Verfahren schon an.
68 Baugemeinschaftsprojekte fertiggestellt
Langfristig geplant sind Vergaben in der Science City Hamburg Bahrenfeld, im zweiten Bauabschnitt der Mitte Altona, im Holsten-Quartier, in Oberbillwerder, auf dem Grasbrook und in Neugraben. Laut Behörde wird so das Potenzial von mehr als 3200 Wohnungen für Baugemeinschaften geschaffen. Das ist ambitioniert: In den vergangenen zehn Jahren wurden 68 Baugemeinschaftsprojekte fertiggestellt, daraus entstanden 1635 Wohnungen.
Maria Görlich, die die Gruppe 2019 gründete, hat den städtischen Leitfaden für Baugemeinschaften dabei. Am Rand der Seiten stehen viele Notizen. Er fasst auf 13 Seiten die Aufgaben der Gemeinschaft zusammen. Wenn es gut läuft, dauert deren Umsetzung drei bis sechs Jahre. Es gib unterschiedliche Finanzierungsmodelle: Im klassischen Eigentumsmodell besitzt jeder seine eigene Wohnung.
„Deichgezwitscher“ gründete Genossenschaft
Andere schließen sich einer Genossenschaft an oder gründen eine eigene Genossenschaft. Für Letzteres entschied sich „Deichgezwitscher“. Sie wollen mit ihrem Eigenkapital Genossenschaftsanteile kaufen: Wer 30 Quadratmeter bewohnen möchte, kauft 30 Genossenschaftsanteile. „Das dient als Sockel für die Kreditaufnahme für die Baukosten. Später zahlen wir Miete an die Genossenschaft – die wir ja selbst sind“, erklärt Dümmler. „Wenn jemand ausziehen möchte, bekommt er die Anteile zeitverzögert ausgezahlt.“
Wenn die jungen Frauen erklären, warum sie als Genossenschaft bauen, ist er wieder da: der Hauch der alternativen Utopie. Sie wollen in einer Gemeinschaft leben, sie wollen kein Eigentum besitzen.
Wohnung Hamburg: Verein "schafft Verbindlichkeit“
„So können wir uns aussuchen, mit wem wir zusammenleben wollen“, erklärt Görlich. „Und wir schaffen Wohnraum, der auch für andere zukünftig bezahlbar ist. Das geht mit Eigentum nicht.“ Dümmler ergänzt: „Außerdem ist man flexibler. Möchte jemand eine kleinere Wohnung, weil die Kinder ausziehen, kann man innerhalb des Hauses umziehen“, sagt sie.
Doch es wird dauern, bis es so weit ist. Vorerst findet die Baugemeinschaft „Deichgezwitscher“ ihre Struktur in einem Verein. „Das schafft Verbindlichkeit“, so Görlich. Die ersten Schritte sind getan: Die Gruppe hat sich bei der Agentur für Baugemeinschaften mit einem Konzept beworben und persönlich vorgestellt. Erst dann können sie sich auf städtische Grundstücke bewerben.
Kleingruppen arbeiten sich in spezielle Themen ein
Auch die verpflichtende Auswahl für eine Bauberatungsfirma haben sie schon getroffen. Görlich sagt: „Das ist ein absolutes Muss. Wer glaubt, man kann als Gemeinschaft einfach so ein Haus bauen, irrt.“ Die Gruppe entschied sich für das Unternehmen Stattbau. „Sie helfen bei Antragsverfahren, der Kommunikation mit der Bank und der Stadt. Wir wollen förderfähig bauen, da ist viel Expertise gefragt.“
Auch die Mitglieder eignen sich Expertise an. Die organisatorischen Begriffe erinnern an WG-Zeiten: Die Rede ist vom gemeinsamen Plenum, gegenseitiger Wertschätzung und Verständnis. Die Inhalte sind andere. Kleingruppen arbeiten sich in spezielle Themen ein: nachhaltiges Bauen, Finanzierung oder Öffentlichkeit. Mit Letzterem meinen sie von allen Bewohnern genutzte Räumlichkeiten oder wie man den Zugang für andere Menschen ermöglicht – beispielsweise im Garten.
Baugemeinschaft trifft sich alle zwei Wochen
So wurden sie Expertinnen in bisher völlig unbekannten Bereichen: „Ich habe mir ausgesucht, worüber ich etwas lernen wollte“, sagt Dümmler. Sie ist in der Arbeitsgruppe für nachhaltiges Bauen – auf einmal weiß sie über Wärmepumpen und Holzpreise Bescheid.
Alle zwei Wochen trifft sich die Baugemeinschaft im Plenum. Es gibt eine Tagesordnung und einen Moderator, der auf die Einhaltung der Zeit achtet. „Wir sind deutlich effizienter und effektiver, als man das vielleicht annimmt. Oft sind wir früher als in den angesetzten zwei Stunden fertig“, sagt Görlich. Die Kleingruppen stellen kurz und prägnant Informationen vor – „sodass wir alle gut genug Bescheid wissen, um zu entscheiden“, ergänzt Dümmler.
Hamburg hat Grundstück noch nicht ausgeschrieben
Ist das anstrengend? „Manchmal“, sagt Steinebach. „Themen scheinen für einen banal, sind für andere aber wichtig. Aber das ist in einem ständigen Wechsel.“ Dümmler beispielsweise schloss sich der Gruppe an, als die Corona-Inzidenzen nach oben schnellten. Sie wollte unbedingt einen „Co-Working-Space“ (eine Art Bürogemeinschaft) im Haus. „Ich brannte dafür, aber der Rest nicht. Es dauert ein bisschen, aber irgendwann kann man es gehen lassen.“
Bisher können die Räume noch gar nicht richtig geplant werden – genauso wenig wie die Finanzierung. Die Gruppe hat sich zwar auf ein Grundstück festgelegt, doch die Stadt hat es noch nicht ausgeschrieben. Die Kosten für das Grundstück und die Details zu den zwei Häusern mit bisher 26 geplanten Wohneinheiten sind noch nicht bekannt.
„Dieses Grundstück ist perfekt"
Die Gruppe wartet sehnsüchtig auf die Ausschreibung: „Dieses Grundstück ist perfekt. Georgswerder hat einen Dorfcharakter, das passt wunderbar mit unserem Leben in der Gemeinschaft zusammen“, so Steinebach.
„Hier ist man noch richtig in der Natur und an der Dove Elbe, aber nach ein paar Minuten auf dem Rad wieder im Getümmel.“ Erst einmal will die Gruppe an kein anderes Grundstück denken – und kann auch nicht. „Wir haben versucht, uns mit anderen Grundstücken zu befassen, aber wir kamen als Gruppe nicht weiter“, sagt Dümmler.
Deichgezwitscher plant unterschiedliche Wohnungen
Wenn die Stadt das Grundstück offiziell ausgeschrieben hat, kann sich die Gruppe darum bewerben. Etwa acht Wochen dauert die Auswahl der Baugemeinschaft. Sollte „Deichgezwitscher“ den Zuschlag erhalten, wird der Gruppe das Grundstück ein Jahr lang anhand gegeben.
In dieser Zeit können Größe und Form der Wohnungen sowie die Finanzierung festgezurrt werden. „Deichgezwitscher“ plant Wohnungen für Familien, Einzelwohnungen und WGs. Nicht nur für junge Menschen, sondern auch „die Erwachsenen-WGs“, so Görlich. „In ihnen hat jeder sein eigenes Bad und seine eigene Küche, zusammen teilt man sich den Wohnraum.“
Wohnungen: Familien könnten schon 2025 einziehen
„Wenn alles klappt und sehr schnell geht, könnten wir 2025 schon dort wohnen“, sagt Görlich. Erst einmal übt sich die Gruppe in Geduld: „Zwar haben wir alle Hummeln im Hintern, aber wir wollen langfristig in einer Gemeinschaft wohnen. Das geht nicht holterdiepolter. Es dauert – und keiner von uns sieht die Lösung darin, sich eine eigene Wohnung zu kaufen. Deswegen bleiben wir alle dran“, so Steinebach.
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Alle halten am Traum vom gemeinschaftlichen Leben fest – und der hält wiederum die Gemeinschaft zusammen: „Wenn mir alles zu viel wird, denke ich daran, was ich schon alles gelernt und wen ich schon besser kennengelernt habe“, sagt Görlich. „Dann merke ich: Der Aufwand ist jede Sekunde meiner Freizeit wert.“
Wohnungen in Hamburg – "für Kinder besonders schön"
Das Zusammenleben stellen sie sich vor allem „nicht anonym“ vor. Steinebach meint: „Natürlich sind nicht alle beste Freunde. Aber man würde jedem den Schlüssel geben, wenn man in den Urlaub fährt.“
Dümmler ergänzt: „Ich stelle es mir besonders für die Kinder schön vor. Die können in fünf Wohnungen klingeln, wenn ihnen langweilig ist.“ Görlich freut sich auf gemeinsames Gärtnern – und weitere „gemeinsame Projekte. Ich habe da noch viele Ideen.“ Bis dahin ist der Leitfaden für Baugemeinschaften ihre Inspiration.