Hamburg. Der Altbürgermeister wollte den Solitär unbedingt, aber er ist ja weg. Wie seine Parteifreunde mit dem Erbe umgehen und sich streiten.
Kaum eine Politikerin oder ein Politiker kennt sich so gut aus im Geflecht zwischen Senat und Bürgerschaft im Rathaus und drumherum wie Dorothee Stapelfeldt.
Die Sozialdemokratin ist seit 2015 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, war vorher seit 2011 Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin, davor langjährige Abgeordnete der Bürgerschaft und deren Präsidentin, Parlamentarische Geschäftsführerin und Vizechefin ihrer Fraktion, stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und nicht zuletzt Beinahe-Bürgermeisterkandidatin.
Stadtentwicklung: Senatorin unterläuft Patzer
Stapelfeldt weiß um die Empfindlichkeiten von Abgeordneten und Senatoren, kennt die Bedeutung der internen Abstimmungsprozesse und ungeschriebenen Gesetze eines möglichst geräuschlosen Laufs des Räderwerks der Regierungsmaschinerie. Und doch ist der Senatorin in dieser Woche ein Patzer unterlaufen, der ihr viel Ärger vor allem in den eigenen Reihen eingebracht hat.
Dass ihre Behörde die Baugenehmigung für den 245 Meter hohen Elbtower an den Elbbrücken erteilt hat, erfuhren Senat und Abgeordnete aus der Zeitung. Nun gibt es keine Vorschrift, die eine Vorabinformation der eigenen Leute vorsieht. Aber bei dem heiklen und durchaus umstrittenen 700-Millionen-Leuchtturmprojekt, das schon für viel Aufregung gesorgt hat, wäre es politische Klugheit gewesen, die Kritiker, die es auch in ihrer Partei gibt, nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen.
„Dorothee kennt das Geschäft doch eigentlich“
„Dorothee kennt das Geschäft doch eigentlich“, sagt ein langjähriger Sozialdemokrat. „Ich bin davon ausgegangen, dass die Baugenehmigung erst in der kommenden Woche erteilt wird und wollte in dieser Woche in der Senatsvorbesprechung und den Arbeitskreisen der Fraktionen darüber berichten“, sagt Stapelfeldt nun dem Abendblatt.
Aber das rund 600 Seiten starke Genehmigungswerk war eben schon am 8. März abgeschlossen und wurde nach einem Automatismus, der Stapelfeldt eigener Aussage zufolge nicht bekannt war, am 16. März ins Transparenzportal der Stadt gestellt und damit öffentlich.
SPD-Abgeordnete fühlten sich von Stapelfeldt brüskiert
Stapelfeldts Erklärung macht die Sache nicht besser. Im Ergebnis wusste die Senatorin nicht (rechtzeitig), was bei einem Topthema in ihrem Haus geschah. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen fühlten sich brüskiert. „Es ist nicht in Ordnung, wie die Stadtentwicklungsbehörde mit dem Parlament umgeht. Wir bekommen keine Informationen. Das ist kein fairer Umgang miteinander. Das geht so nicht“, empörte sich Mathias Petersen (SPD), der Vorsitzendes des Haushaltsausschusses.
„Das hätte nicht passieren sollen“, sagte auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Ich erwarte mehr Kommunikation, gerade bei einem so sensiblen Projekt“, heißt es auch von Olaf Duge, dem Stadtentwicklungsexperten der Grünen.
Elbtower sorgte schon einmal für Konflikte
Nun könnte Rot-Grün vermutlich zur Tagesordnung übergehen, wenn dies ein Einzelfall wäre. Aber insbesondere Petersen und Stapelfeldt sind in Sachen Elbtower schon mehrfach aneinandergeraten. Das war erstmals Anfang 2019 der Fall, als der Haushaltsausschuss wissen wollte, wer an der entscheidenden Aufsichtsratssitzung der HafenCity GmbH am 5. Februar 2018 teilgenommen hatte, als die Entscheidung für den Elbtower-Entwurf des Stararchitekten David Chipperfield und für den österreichischen Milliardär und Karstadt-Eigner René Benko mit seiner Signa-Gruppe als Investor fiel.
Stapelfeldt weigerte sich, die Namen der Teilnehmer und sogar den Ort der Zusammenkunft zu nennen trotz mehrfachen, nicht eben freundlichen Nachhakens Petersens.
Scholz präsentierte Chipperfield-Entwurf
Mancher mag das als parlamentarisches Geplänkel abtun. In der Tat geht es um deutlich mehr als die Befindlichkeiten einzelner Abgeordneter. Da hilft ein Blick in die bisherige Planungsgeschichte dieses ambitionierten Hochhausbaus, der einmal auf Platz drei der Liste deutscher Wolkenkratzer stehen soll. Das Projekt ist mit dem Namen des mächtigsten Hamburger Sozialdemokraten verbunden: Bundeskanzler Olaf Scholz.
An seinem letzten Arbeitstag als Erster Bürgermeister und von einem Infekt geschwächt präsentierte Scholz mit großer Entourage am 8. Februar 2018 im Rathaus mit unverkennbarem Stolz den Chipperfield-Entwurf und Benko als Investor. „Nicht extravagant, sondern elegant und gleichzeitig raffiniert“ sei der Bau, schwärmte Scholz. Der Elbtower werde Teil des „Kunstwerks Hamburg“ werden. Ach ja, und: „Signa ist finanzstark, hat ein A+-Rating und Hamburg eine Garantie von 250 Millionen Euro abgegeben.“ Ganz hoch aufgehängt, könnte man sagen. Manche sprachen von Scholz’ Vermächtnis.
Elbtower wird die Skyline verändern
Nun ist es nicht so, dass die Hamburgerinnen und Hamburger den Elbtower herbeisehnen. Das Hochhaus wird die Skyline verändern und mit der Tradition brechen, dass Kirchtürme und Rathaus das Höhenmaß der Dinge sind. Manche fragen sich schlicht, ob die Stadt solch einen architektonischen Leuchtturm wirklich braucht. Und nicht alle finden schließlich den Investor Benko über jeden finanziellen Zweifel erhaben.
Bemerkenswerterweise fanden das auch die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen nicht, die 2019 eine Ergänzung des Kaufvertrages durchsetzten, nach der die Signa Real Estate vor der Grundstücksübergabe eine Vorvermietungsquote von 30 Prozent der 70.000 Quadratmeter Bürofläche nachweisen muss.
Grundstück soll Ende des Jahres übergeben werden
Kräftigen Ärger mit der Bürgerschaft bekam Stapelfeldt im Oktober 2020 erneut, als sie dem Haushaltsausschuss im Nachhinein berichtete, laut Nachtrag zum Kaufvertrag könne Signa alternativ zur Vorvermietungsquote auch eine „Bestätigung des Tauglichen Finanzierers“, also eine Bankbürgschaft, nachweisen. Abgeordnete wie Petersen und Ex-Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) tobten.
Rechtlich mag eine solche Option erlaubt sein, politisch durchsetzbar ist sie angesichts des Vorlaufs in den Fraktionen von SPD und Grünen nicht. Dabei gibt es Experten, die der Ansicht sind, dass es für die Signa leichter sei, die geforderte Vermietungsquote zu erreichen als eine Bankbürgschaft für die Realisierung des Projekts. Bis Ende September hat der Investor noch Zeit, die Quote zu erfüllen. Ende des Jahres soll das Grundstück übergeben werden.
Hamburg Commercial Bank steht als Mieter fest
Gesichert ist bislang nur, dass als Mieterin die Hamburg Commercial Bank (HCOB, Nachfolgerin der HSH Nordbank) auf mindestens zehn Prozent der Gesamtfläche des Elbtowers einziehen wird. Die Bank residiert noch im alten Landesbankgebäude am Gerhart-Hauptmann-Platz, das ausgerechnet Benkos Signa gekauft hat.
Diese Duplizität hat schon zu kritischen Nachfragen geführt. Schreiber wies darauf hin, dass Signa laut Gerüchten einen überhöhten Preis für das Landesbankgebäude bezahlt haben soll – von 60 Millionen Euro ist die Rede –, und so indirekt die Miete für die Bank im Elbtower auf Jahre finanziert habe.
Elbtower erhält moderne Büroräume
Die Marktlage gilt als ausgesprochen schwierig: Aufgrund der Pandemie und der Verbreitung des Homeoffice ist der Bedarf an Büroflächen eingebrochen. Zudem sind die erlösbaren Mieten zum Teil drastisch gesunken. Andererseits wird der Elbtower modernste, flexibel gestaltete und energetisch höchst effiziente Büroräume erhalten.
Gute Argumente für ökologisch orientierte Unternehmen, die sich zudem die Eins-a-Lage leisten können. Es könnte also auch einen Verdrängungseffekt hin zum attraktiven Neubau und zulasten der „alten“ Bürogebäude aus den 90er-Jahren geben. Der Stadt und mithin der Politik kann es aber nicht egal sein, wenn Leerstand größeren Ausmaßes entsteht, weil mit dem Elbtower am Gesamtbedarf vorbei gebaut wird.
Schreiber zweifelt Benkos Seriosität an
Sozialdemokrat Schreiber, der von einem „wankenden Konstrukt“ spricht, zieht auch Benkos Seriosität in Zweifel: „Er zahlt in Deutschland keine Steuern, sondern nur in Luxemburg. Da darf man als Stadt fragen, ob man mit so einem Mann Geschäfte machen will.“
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Die Frage, ob das Elbtower-Projekt noch kippen kann, mag die Stadtentwicklungssenatorin so nicht beantworten. „Ich gehe davon aus, dass die Vermietungsquote am Ende stimmen muss“, sagt Stapelfeldt aber immerhin. Die Quote, nicht die Bürgschaft.
Stadtentwicklung: Gebäude nicht notwendig
Schreiber und seine Mitstreiter werden kaum lockerlassen, dabei hat er nichts gegen den Chipperfield-Solitär als solchen. „Ich finde den Entwurf nicht schlecht. Wir brauchen ein solches Gebäude aber nicht“, sagt der Ex-Bezirksamtsleiter. Scholz sah es anders.