Hamburg. Im ehemaligen „Sofitel“ am Alten Wall in Hamburg sollen bis zu 800 Geflüchtete untergebracht werden. Ein Blick hinter die Kulissen.
Vor dem einstigen Gebäude des Postgiroamtes am Alten Wall ist nur noch wenig vom Schein des ehemaligen „Sofitel“ übrig. Das Hamburger Luxushotel hatte seinen Betrieb im Juli 2021 eingestellt. Die Schriftzüge der Hotelkette wurden von der Fassade des Gebäudes entfernt. Auf der Auffahrt vor dem Eingang steht mittlerweile eine Ladestation für Elektroautos. Noch viel unscheinbarer ist allerdings, dass sich hier – zwischen Restaurants und Modeboutiquen – eine Flüchtlingsunterkunft für bis zu 800 Menschen befindet.
„Wir haben vor zwei Wochen mit den Vorbereitungen angefangen und kommen bislang gut zurecht“, sagt Moritz Crone-Rawe. Der 32-Jährige ist mit einem rund 50-köpfigen Team für die Leitung der Unterkunft verantwortlich. Von den Füßen bis zum Hals ist er mit Tätowierungen geziert. Eines der Motive ist die Figur Eric Cartman aus der Zeichentrickserie „South Park“. „Ein Kumpel von mir ist Tätowierer. Das hat irgendwann mal angefangen und wurde immer mehr“, erzählt der gelernte Koch.
Flüchtlinge aus der Ukraine im Sofitel aufgenommen
2015 hat er sich mit der Gründung des Cateringunternehmens „Rolling Taste“ selbstständig gemacht. Von der städtischen Initiative „Fördern und Wohnen“ wurde seine Firma nun für die Verwaltung der Unterkunft beauftragt. Dass er jetzt deren Leiter ist, bereite ihm keine großen Probleme: „Wir kennen uns in der Gastronomie gut aus. Viele meiner Mitarbeiter kommen außerdem aus der Hotellerie. Von daher sind wir wahrscheinlich besser für die Aufgabe geeignet als ein normaler Hilfsdienst.“
Den Mietvertrag für das Gebäude habe er am Freitag, dem 18. März, unterschrieben. Am darauffolgenden Dienstag wurden die ersten 80 Personen aufgenommen. Mittlerweile sollen sich bereits 320 Menschen in der Unterkunft aufhalten. „Ich schätze, dass jeden Tag ungefähr 100 Menschen zu uns kommen werden. Wir haben rund um die Uhr geöffnet“, erklärt Crone-Rawe. Mit 222 Zimmern auf acht Stockwerken gebe es Platz für bis zu 800 Geflüchtete.
Zettel erklären Funktion der Räume
Die Inneneinrichtung gleicht derweil immer noch dem Standard des einstigen Fünf-Sterne-Hotels. Die großflächige Empfangshalle ist mit glänzendem Marmorfußboden versehen. Hinter der schlicht gestalteten dunkelgrauen Rezeption lädt eine meterlange Glasfassade zum Blick auf das Alsterfleet ein.
An den Wänden hängen laminierte Zettel, die auf Deutsch, Ukrainisch und Englisch die Funktion des jeweiligen Raumes erklären. „Getränke“, „hanoi“ und „drinks“ steht auf einem Zettel, der in der ehemaligen Hotelbar angebracht ist. Dort stapeln sich unter türkis-rotem Licht sämtliche Wasserflaschen. „Wir müssen hier noch Wasserspender aufstellen, um Plastik zu sparen“, betont Crone-Rawe.
Freiwillige sortieren die Spenden
Mit einem gläsernen Aufzug geht es in die oberen Stockwerke. Entlang der Zimmer führt ein Flur mit dunkelgrauen Wänden, an dessen Ende die Tür zu einem Versammlungsraum ist. Auf 600 Quadratmetern reihen sich hier Stofftiere an Ritterburgen, Zelte und Bobbycars. Das alles seien Spenden, die das Team in den vergangenen Wochen erhalten habe.
Auch Kleidung hätten sie gespendet bekommen. In einem gesonderten Raum sortiert die freiwillige Helferin Nicole die angekommenen Kleidungsstücke. Unterstützung erhält sie dabei von der geflüchteten Ukrainerin Irena. Sie hätten sich vor einigen Tagen vor der Ausländerbehörde an der Hammer Straße in Wandsbek kennengelernt.
Bankettküche zu Waschraum umfunktioniert
Der Blick fällt in die ehemalige Bankettküche. Sie ist nun zu einem großen Waschraum umfunktioniert worden. In den Zimmern herrscht unterdessen noch der Komfort des früheren Hotels. Einzig elektronische Geräte wurden entfernt. Crone-Rawe und sein Team haben außerdem Etagenbetten in die Zimmer getragen. Insgesamt seien es 215 gewesen. Drei Tage hätten sie dafür gebraucht. Dadurch sei nun Platz für teilweise bis zu acht Leuten, wenngleich er anfügt: „Wir wollen nicht zwei Familien in ein Zimmer stecken. Die Bäder haben Glastüren. Wir möchten auch auf die Privatsphäre der untergebrachten Menschen achten.“
Viel Platz bietet darüber hinaus auch der Essbereich. Dank zweier großräumiger Speisesäle sehe sich das Team auch für den Fall einer baldigen Vollbelegung der Unterkunft gut aufgestellt. Die Küchenleitung hat mit Wladislaw Michlin ein gebürtiger Ukrainer inne.
"Mir ist es aber sehr wichtig, hier zu helfen“
„Ich bin Freiberufler und habe zurzeit eigentlich viele andere Projekte. Mir ist es aber sehr wichtig, hier zu helfen“, erklärt der 41-Jährige, der aus Konstantinovka, einer 70.000-Einwohner-Stadt 60 Kilometer entfernt von Donezk, stammt. Er selber habe zwar keinen Krieg erlebt, sei mit seiner Familie aber wegen der Armut aus der Ukraine geflohen. Außerdem stehe er mit einigen Verwandten, die seit 2014 dem Krieg in der Ostukraine ausgesetzt seien, regelmäßig in Kontakt. „Ich kann mich gut in die Lage der Menschen hineinversetzen. Was ich hier sehe, berührt mich sehr. Manchmal muss ich mir da schon eine Auszeit nehmen.“
Sein Weg führte ihn 1997 zunächst in eine Notunterkunft nach Neumünster. Nach mehreren Jahren in Bargteheide zog er anschließend nach Hamburg. Seine Eltern würden noch immer in Stormarn leben und hätten kürzlich eine fünfköpfige ukrainische Familie aufgenommen. Sein 69 Jahre alter Vater Maun unterstützt ihn zudem in der Küche. „Er ist hier eingesprungen, um vor allem als Übersetzer zu helfen. Die Kommunikation ist das Wichtigste. Die Sprachbarriere unter den Leuten ist ein großes Problem “, schildert der Koch.
Flüchtlinge aus der Ukraine: Verbleib vorerst gesichert
Sein Küchenteam bestehe zurzeit aus etwa 15 Mitarbeitern. „Das kann noch mehr werden. Wir sind ja noch gar nicht zu 100 Prozent ausgelastet.“ Auf den Tisch kämen vor allem ukrainische, aber auch deutsche Mahlzeiten. „Ich bereite gerade Borschtsch, einen Eintopf mit roter Bete, Kohl und Hähnchen vor“, erzählt Michlin und fügt an: „Gestern gab es Bratwurst mit Sauerkraut. In den nächsten Tagen wollen wir auch ein paar Hamburger Gerichte kochen. Dann lernen die Leute schon mal ein bisschen etwas über die Stadt.“
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Unterdessen ist über die Zukunft des Gebäudes am Alten Wall in den vergangenen Monaten weitreichend diskutiert worden. Während zunächst von einem Abriss die Rede war, hieß es zum Jahresende, dass es im Rahmen eines Bauprojektes bestehen bleiben solle. Der Mietvertrag von Crone-Rawe und seinem Team läuft zunächst für ein halbes Jahr: „Wir haben keinen Tag X angesetzt, wann das Projekt zu Ende ist. Die Stadt wird das nach Bedarf entscheiden.“