Hamburg. Pädagogin Claudia Kittel wacht über die Kinderrechtskonvention der Uno – und sieht Verbesserungsbedarf. Welche Ansprüche Kinder haben.

Kinder haben Rechte, und die sind sogar verbürgt. Seit 30 Jahren gilt auch in Deutschland die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Doch einige der Ansprüche, die Kinder offiziell haben, sind nur wenig bekannt. Wer weiß schon, dass Kinder ein Anrecht auf Ruhe, Spiel und Freizeit haben oder den Anspruch darauf, dass beide Elternteile gemeinsam die Erziehung und Entwicklung des Kindes begleiten? Dass der Nachwuchs ein Recht auf Privatsphäre hat?

Claudia Kittel leitet die Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention in Berlin. Gemeinsam mit Kindern hat sie ein Buch über Kinderrechte geschrieben – als Hilfestellung, Werkzeugkasten und Hintergrundinformation. Es heißt: „Know your Rights – Klartext über die Rechte von Kindern und Jugendlichen“ und ist im März im Dressler Verlag erschienen.

Familie: Entscheiden tun die Erwachsenen

Im Vorwort erinnert sich die prominente Klimaschützerin Luisa Neubauer an ihre eigene Kindheit – und an das Gefühl, als Kind nur Gast in der Welt der Erwachsenen zu sein. „Damit hat sie, was die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen angeht, den Nerv getroffen“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Claudia Kittel im Familienpodcast des Abendblatts. „Kinder und Jugendliche dürfen zwar manchmal ihre Meinung sagen, aber entscheiden tun dann die Erwachsenen.“ Doch Kinder hätten mehr Rechte, als sie wüssten.

„Sie haben beispielsweise ein Recht auf Privatsphäre, ihre Eltern dürfen nicht einfach so in der Schreibtischschublade herumwühlen und das Tagebuch lesen“, sagt Kittel. Das ist vielen Erwachsenen und auch Kindern nicht bewusst. Wenig bekannt ist auch das Recht auf Ruhe, Spiel und Freizeit. „Kinder sind meist überrascht und sehr erfreut, dass es dieses Recht in der UN-Konvention gibt. Kinder und Jugendliche haben diesen Schutzraum Kindheit, in dem sie noch nicht getrieben sein sollen von Terminen und Stress, sondern auch einen Freiraum haben,, um sich als Person entwickeln und entfalten zu können.“

Auch im Schulbereich haben Kinder Macht

Doch wie klagen junge Menschen beispielsweise das Recht auf Ruhe und Freizeit ein, wenn doch oftmals ein voller Stundenplan, Hausaufgaben und Freizeittermine ihrem Leben einen schnellen Takt geben? Im Schulbereich gebe es beispielsweise die Möglichkeit, sich an die Schülervertretung zu wenden, sagt Kittel. „Manche Schülervertreter oder Klassensprecher wissen teils gar nicht so richtig, welche Macht sie eigentlich haben.“ Sie könnten sich für mehr Pausenzeiten oder hausaufgabenfreie Zeiten am Nachmittag einsetzen und einen entsprechenden Antrag in der Schulkonferenz stellen, so Kittel.

Doch gerade während der Corona-Pandemie wird vieles über die Köpfe der Schüler hinweg entscheiden. „Bis Schülervertretungen – etwa die Bundesschülervertretung – mal gehört wurden, als es um die Corona-Maßnahmen ging und darum, wie der digitale Fernunterricht ausgestaltet werden sollte, hat es lange gedauert – man hat schlicht vergessen, Kinder und Jugendliche zu fragen.“

„Kinder sind Experten in eigener Sache“

Es gehe nicht darum, dass Kinder und Jugendliche die Entscheidungen allein treffen sollen. „Aber wir sollten hinhören, welche Perspektiven und Ansichten sie zu diesen Themen haben. Das hätte gerade in der Pandemie so mancher Maßnahme sicherlich gutgetan“, meint Claudia Kittel. „Kinder sind Experten in eigener Sache.“ Immer wieder gerügt wird Deutschland im Hinblick auf die Kinderrechtskonvention, weil bei uns der Bildungserfolg immer noch in besonderem Maße vom sozialen Hintergrund der Eltern abhängt.

Zu den größten Gefahren, denen Kinder ausgesetzt sind, gehören Gewalt und Armut. Zwar gibt es seit Langem ein Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung. Kinder dürfen auch von ihren Eltern nicht mehr geschlagen werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass dies nicht mehr geschieht. „Das Besondere der Kinderrechtskonvention: Sie macht deutlich, dass der Schutz von Kindern nur dann wirklich gut gelingen kann, wenn man auch ihre eigenen Perspektiven miteinbezieht und sie beteiligt. Diese Beteiligung bedeutet eine Art von Schutz“, sagt Kittel.

Mobbing für Kinder ein großes Thema

Das Strafrecht sei gerade im vergangenen Jahr im Hinblick auf den Schutz vor sexualisierter Gewalt novelliert worden. „Zu tun bleibt einiges, auch was zum Beispiel Gewalterfahrungen im digitalen Umfeld angeht. Wenn man mit Kindern und Jugendlichen spreche, dann seien gerade Mobbing und Gewaltbeobachtungen auf gewissen Plattformen und in den sozialen Medien für sie ein riesengroßes Thema. Da wünschen sie sich noch viel mehr Schutz und Aufklärung darüber, wie sie sich selbst vor Übergriffen schützen können.“

Zu den wenig bekannten, verbrieften Kinderrechten gehört der Anspruch auf Erziehung durch Mutter und Vater. „Jedes Kind hat das Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen, solange es nicht dem Wohl des Kindes widerspricht“, sagt Kittel – etwa aus Schutzgründen, wenn es Gewalterfahrungen in der Familie gibt.

Kinder haben ein Recht auf ein Kultur

Durchsetzbar ist das in der Regel vor Familiengerichten, wo die Perspektive des Kindes angehört werden muss. Das ist im vergangenen Jahr noch mal durch eine Novellierung bekräftigt worden. Vorher gab es eine Altersgrenze von 14 Jahren, darunter lag es im Ermessen des Richters. „Der Wunsch des Kindes, mit beiden Elternteilen Umgang zu haben, sollte angemessen berücksichtigt werden“, so Kittel. „Wir wissen, dass das nicht immer der Fall ist und lange nicht alle Kinder angehört werden, aber die Zahlen steigen.“

Für Laien überraschend ist auch der Anspruch auf eine kulturelle Teilhabe und auf eine eigene Kinder- und Jugendkultur. „Kinder haben ein Recht auf einen eigenen kulturellen Ausdruck und darauf, dass Kultur in einer besonderen Art und Weise an sie herangebracht wird“, sagt Kittel. „Das ruft oft erstaunte Gesichter hervor.“ Bekannter ist da schon der Anspruch adoptierter Kinder zu erfahren, wo sie herkommen und wer ihre Eltern sind.

Das Wahlrecht ab 16 hält sie für sinnvoll

Und dann ist da das große Thema Klimaschutz, das Kinder und Jugendliche in den vergangenen Jahren mit Nachdruck auf die Agenda gesetzt haben – denn sie werden in der Zukunft als Erwachsene mit den teils dramatischen Folgen des Klimawandels leben müssen. Aus der Kinderrechtskonvention kann man einen Anspruch auf eine gesunde Umwelt herleiten. Wäre dies den Kindern und auch den erwachsenen Entscheidungsträgern stärker bekannt, könnten sie den Anspruch auch besser durchsetzen, glaubt Kittel.

Wichtig sind ihr besonders auch die Beteiligungsrechte von Kindern. Formate wie „Jugend im Parlament“, das in Hamburg bereits seit 1992 veranstaltet wird, seien zwar hilfreich, um zu verstehen, wie Demokratie funktioniert. Etwas anderes wäre aber die Herabsetzung des Wahlalters noch unter 16 Jahren, wie sie viele Jugendliche forderten.

Familie: "Wir müssen Kindern besser zuhören"

Im Großen und Ganzen sei das berühmte Glas in Sachen Kinderrechten in Deutschland „ganz schön voll“, sagt Claudia Kittel. „Aber mir geht es bei den Beteiligungsrechten noch nicht weit genug. Mich hat aufgeregt, dass die Kinder und Jugendlichen, die mit Fridays for Future auf die Straße gegangen sind, um für einen besseren Klimaschutz zu demonstrieren, sich der Forderung ausgesetzt sahen, dass sie die Schule schwänzen - eine Ordnungswidrigkeit.“

Ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, die im Grundgesetz stehen, würden damit gar nicht richtig abgewogen. Kittel: „Insgesamt müssen wir den Kindern besser zuhören.“