Hamburg. „Es ist eine rote Linie überschritten worden“, sagt der Desy-Chef. Auch Uni und HAW haben Projekte und Geldflüsse ausgesetzt.
„Hamburger Forscher bauen Brücken nach Russland“ – unter dieser Überschrift hatte das Abendblatt 2015 über den Start des EU-Projekts Cremlin berichtet. Koordiniert vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Bahrenfeld, engagierten sich in dem Vorhaben 13 europäische und sechs russische Großforschungseinrichtungen und Institutionen für einen „leichteren Austausch“ zwischen Europa und Russland. Doch seit Russland Krieg führt gegen die Ukraine, ist es nahezu vorbei mit dem wissenschaftlichen Dialog.
Das Desy habe seine mindestens 25 Forschungskooperationen und Projekte mit russischen Einrichtungen gestoppt, sagt Martin Sandhop, Leiter der Einheit Internationales. Damit liege ein „sehr signifikanter Teil“ von Desys Auslandskooperationen auf Eis.
Ukraine-Krieg: Hamburger Forscher frieren Kooperationen mit Russland ein
„Es gibt viel Enttäuschung auf beiden Seiten“, sagt der Wissenschaftler, der früher das Büro der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft in Moskau leitete. Für viele sei es unfassbar, „wie ein solcher Zivilisationsbruch passieren konnte“. In den ersten Tagen nach dem Einfrieren der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland hätten ihm noch etliche russische Forschende in E-Mails geschrieben, es sei für sie „schrecklich zu sehen, was ihr Land macht“. Sie hätten sich deutlich von Putins Krieg distanziert, erzählt Sandhop.
Einige russische Institute, zu denen die Hamburger bis Mitte Februar enge Beziehungen pflegten, liegen allerdings ganz auf Putins Linie, wie Desy-Chef Helmut Dosch sagt. Er sei entsetzt insbesondere über die Haltung des renommierten Kurtschatow-Instituts und habe den Ehrendoktor-Titel zurückgegeben, den ihm die Moskauer Einrichtung verliehen hatte. „Es ist eine rote Linie überschritten worden, wo wir nicht mehr neutral bleiben können“, erklärt Dosch. „Wir müssen klare Kante zeigen.“
Desy stoppt zum erste Mal Kooperation mit anderem Land
Es sei das erste Mal in der 60-jährigen Geschichte des außeruniversitären Forschungszentrums, dass das Desy einen umfassenden Stopp von Kooperationen mit einem anderen Land beschlossen habe – sogar aktuelle Studien, die mit russischen Forschenden durchgeführt worden sind und eigentlich kurz vor der Veröffentlichung in renommierten Fachjournalen stehen, habe das Desy zurückgestellt, sagt Dosch.
Dabei hat die Zusammenarbeit der Hamburger mit russischen Physikern eine lange Tradition. Schon in den 1970er-Jahren knüpften „Desyaner“ erste Kontakte zu Forschenden in der damaligen Sowjetunion. Zusammen führten die Wissenschaftler Teilchenphysik-Experimente an den Hamburger Anlagen DORIS und HERA durch. Es folgten etliche Kooperationen in der Forschung mit Beschleunigern, mit Photonen und in der Astroteilchenphysik.
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Hamburger Maßnahmen richten sich gegen russische Organisationen
Und nun? „Wir haben alle Hände voll zu tun mit einer Reorganisation der auf Eis gelegten Kooperationen und Projekte“, sagt Internationales-Leiter Martin Sandhop. Ob bestimmte Vorhaben mit russischer Beteiligung weitergeführt werden könnten, sei offen. Lockerungen seien möglich, „wenn wir Zeichen sehen, die eine friedliche Lösung andeuten“, sagt Desy-Chef Helmut Dosch. Er betont, die Maßnahmen richteten sich gegen russische Organisationen, nicht gegen einzelne Wissenschaftler. Das Hamburger Forschungszentrum versuche nun sehr vorsichtig, Kontakte zu „all jenen russischen Forschenden aufrechtzuerhalten, die unsere Hilfe brauchen“.
Ähnlich verhalten sich Hamburger Hochschulen, die ebenfalls bis zuletzt enge wissenschaftliche Beziehungen nach Russland pflegten. Die Universität Hamburg teilt auf Anfrage mit, sie habe „alle Kooperationsaktivitäten mit russischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Russland und damit verbundene Geldflüsse vorübergehend ausgesetzt“. Bis Februar kooperierte die Uni etwa mit der St. Petersburg State University und mit dem Melnikov Permafrost Institute of the Siberian Branch of the Russian Academy of Science in Yakutsk. Hinzu kamen einige drittmittelgeförderte Kooperationen in verschiedenen Fächern.
Desy, Uni Hamburg, HAW folgen Empfehlungen der Bundesregierung
Die HAW Hamburg, zweitgrößte Hochschule der Hansestadt, lässt ihre langjährigen Partnerschaften mit der Lomonossow-Universität in Moskau und der St. Petersburg State University ruhen, ebenso wie die mit Mitteln des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) finanzierte neue Partnerschaft mit der Higher School of Economics in Moskau. Desy, Universität Hamburg und HAW folgen damit Empfehlungen der Bundesregierung und der Allianz der Wissenschaftsorganisationen.
Alle drei Hamburger Einrichtungen wenden sich allerdings gegen die Diskriminierung von bei uns forschenden und lernenden Russen und wollen persönliche Beziehungen auf der individuellen Ebene nicht untersagen. An den Desy-Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin arbeiten Helmut Dosch zufolge etwa 100 russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für sie werde es „keine Gesinnungstests“ geben, sagt der Desy-Chef.
Desy-Direktorium hat einen Krisenstab eingericht
Das Präsidium der HAW erklärte vor Kurzem in einer internen Mitteilung an die Mitglieder der Hochschule: „Russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende, die diesen Krieg ebenfalls ablehnen, dürfen für die Situation nicht verantwortlich gemacht werden. Wir bitten daher unsere Kolleginnen und Kollegen mit langjährigen Kontakten in die Russische Föderation, diese möglichst aufrechtzuerhalten.“
Das Desy-Direktorium hat einen Krisenstab eingerichtet, der fast täglich zusammenkommt. Das Hauptaugenmerk liege darauf, in den Gästehäusern auf dem Campus in Bahrenfeld geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufzunehmen, sagt Helmut Dosch. Auch das Forschungszentrum European XFEL in Schenefeld hat in seinem neuen Gästehaus Zimmer für ukrainische Geflüchtete bereitgestellt – alle sind schon belegt.
Am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht forschten regelmäßig Gastwissenschaftler aus der Ukraine und aus Russland. Zu einigen von ihnen stehe das Institut in engem Kontakt und suche für sie nach Lösungen, heißt es. Eine ehemalige Gastforscherin aus der Ukraine, die nach Hamburg geflüchtet ist, sollte am Dienstag an das Institut zurückkehren. Geplant sei, weitere Forschende, die wegen des Krieges nicht mehr in der Ukraine arbeiten könnten, am Institut aufzunehmen.