Hamburg. Vor der Notunterkunft in den Messehallen können sich Menschen aus der Ukraine vom Zahnarzt behandeln lassen. Wie das funktioniert.

Als Kai Bremer und Melanie Wiegers am Freitagvormittag mit ihrem weiß-türkisen Krankenwagen auf das Gelände der Notunterkunft für Geflüchtete in den Messehallen rollen, wirkt das fast wie Routine. Während der ehemalige Zahnarzt dem Sicherheitspersonal in seinem türkisen Fleecepullover aus dem rollenden Mobil zuwinkt, öffnet sich bereits die Sicherheitsschranke, und auch das große Tor vor dem Gelände geht langsam auf. „Die mobile Zahnarztpraxis ist da“, ruft ein Sicherheitsbeamter seinen Kollegen zu und nickt.

Dabei ist es erst der zweite Freitag in Folge, dass der Zahnarzt im Ruhestand und die Zahnarzthelferin den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern aus den Messehallen eine kostenlose Zahnbehandlung anbieten. Normalerweise sind die beiden für die Obdachlosenhilfe unterwegs und versorgen wohnungslose Menschen. Die Entscheidung, zusätzlich auch die Messehallen anzufahren, sei jedoch „ziemlich schnell“ gefallen, erzählt Wiegers und erinnert an 2015, das Jahr, in dem die Initiative für die mobile Zahnarztpraxis entstand. Auch damals war die 39-jährige Zahnarzthelferin bereits vor Ort und hatte mit einem Team von ehrenamtlich tätigen Zahnärzten die Geflüchteten versorgt.

Mobile Praxis an den Messehallen: Bedarf ist groß

Ebenso wie damals scheint auch diesmal der Bedarf nach zahnärztlicher Behandlung unter den Geflüchteten groß zu sein. Weil sie beim letzten Ortstermin nicht alle Patientinnen und Patienten versorgen konnten – es blieb nicht genug Zeit –, hätten die Zahnarzthelferin und der ehemalige Zahnarzt dieses Mal „zwei bis drei Stunden eingeplant“, so Wiegers. Zudem wolle das Team ab kommender Woche mindestens zweimal pro Woche die Unterkunft besuchen, erklärt die 39-Jährige.

Bremer, der gebürtig aus Kiel stammt und dort auch bis vor Kurzem noch eine eigene Praxis unterhielt, hat den hohen Zulauf nicht unbedingt erwartet: „Mich überrascht wirklich, wie groß der Andrang ist, weil die Menschen ja erst so eine kurze Zeit hier sind. Ich denke aber, dass die zahnärztliche Versorgung in den ländlichen Gebieten der Ukraine nicht so ideal ist und viele Patientinnen und Patienten schon vor längerer Zeit erkrankt sind.“

Von Füllungen bis zur Zahnspange

Von Füllungen legen über Zähne ziehen bis hin zu „kieferorthopädischen Behandlungen mit dem Befestigen von Brackets“ mache das Team „eigentlich alles“, so Wiegers. „Man muss hier ein echter Allrounder sein“, sagt Bremer und lacht.

Das Problem sei jedoch, dass das Team über kein mobiles Röntgengerät verfüge. „Mittlerweile gibt es sogar kleine pistolenähnliche Geräte, die man gar nicht fest installieren muss“, erklärt Bremer. Weil aber das Spendenbudget für eine derartige Anschaffung nicht reicht, setzt der ehemalige Zahnarzt auf seine „Erfahrungswerte“. Wie viele andere Bereiche des DRK finanziert sich nämlich auch die mobile Zahnarztpraxis allein über Spenden und ist „vom Wohlwollen der Hamburger abhängig“, wie Markus Kaminski, Sprecher des DRK-Kreisverbands Hamburg Altona und Mitte erklärt.

Bedarf nach Zahnbehandlungen steigt

Da der Bedarf nach kostenlosen Zahnbehandlungen laut dem DRK-Sprecher auch bei Wohnungslosen immer mehr ansteige, wolle das DRK sogar einen zweiten Wagen anschaffen. Aufgrund der hohen Kosten und der fachmännischen Expertise, die für den Umbau eines Krankenwagens in eine Zahnarztpraxis nötig seien, stehe allerdings noch offen, wann es dazu kommt, erklärt Kaminski. Neben der mangelnden Ausstattung sei die Sprachbarriere ein großes Problem, da viele der Geflüchteten nur über „wenig bis kaum“ Englisch- oder andere Fremdsprachenkenntnisse verfügten, so Bremer. „Da gestaltet sich die Behandlung auch für die Ärzte manchmal als Herausforderung“, sagt Wiegers, während sie nebenbei das Besteck sortiert.

Obwohl viele Menschen Angst vor dem Zahnarzt hätten, betont Bremer, dass die Geflüchteten das Angebot sehr zu schätzen wüssten. „Ich bin gerührt, wie dankbar die Menschen für die Behandlung sind. Das ist wirklich unglaublich“, sagt der ehemalige Zahnarzt.

Engagement im zweischichtigen System

Doch nicht nur für die zahnärztliche Versorgung der Geflüchteten tragen die Hamburger Sorge: Neben einer Initiative von rund 178 Kinderärztinnen und Kinderärzten, die sich für die Versorgung der vielen geflüchteten Kinder in der Notunterkunft einsetzen, engagieren sich viele weitere Ärztinnen und Ärzte in einem zweischichtigen System.

Zwar solle die ehrenamtliche medizinische Versorgung allmählich durch eine Regelversorgung ersetzt werden. Doch weil jeden Tag in Hamburg und den Messehallen so viele Geflüchtete ankommen, übersteige der Bedarf jetzt schon die Kapazitäten, wie der DRK-Sprecher erklärt. „Die Ärzte, die hier tätig sind, sind einfach nur ein Schulbeispiel für Netzwerkarbeit“, so Kaminski. Über „informelle Netzwerke“ und die sozialen Medien habe sich seit der Flüchtlingswelle 2015 ein Netzwerk an medizinischem Personal aufrechterhalten, das innerhalb von 24 Stunden „sofort bereit“ gewesen war. Zeitgleich habe sich zudem auch ein Netzwerk an medizinischen Fachangestellten beim DRK gemeldet. Dieses manage nun den „Praxisbetrieb“, so Kaminski.

Ärztekammer will noch mehr Fachpersonal akquirieren

Laut Innenbehörde sind in Hamburg mittlerweile rund 15 000 Ukrainerinnen und Ukrainer angekommen. Allein am Donnerstag wurden 844 Personen in der Hansestadt registriert. Wegen des fortlaufenden Andrangs ist zu vermuten, dass auch der Bedarf nach medizinischem Personal weiter steigen wird.

Deshalb – und wegen der Tatsache, dass die Kapazität der vorhandenen Schlafplätze in den Messehallen auf 2000 erhöht werden soll – hat die Hamburger Ärztekammer einen Aufruf gestartet, um zusätzliches Personal zu akquirieren. Ärztinnen und Ärzte sowie medizinisches Fachpersonal wurden dazu aufgefordert, „sich für die medizinische Betreuung in der Notunterkunft zu melden“. Aufgrund der oftmals fehlenden Sprachkenntnisse der Geflüchteten seien insbesondere Russisch- und Ukrainisch-Kenntnisse gefragt. Interessierte können sich unter refugees@aekhh.de melden. Zugleich sollten sie auch ihre zeitliche Verfügbarkeit angeben.

Die Situation vor den Anmeldezen­tren hat sich derweil deutlich entspannt. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich privat untergebrachte Ukrainer seit Donnerstag auch online für eine Registrierung anmelden können. Laut Innenbehörde waren bereits am Freitag 2500 von den vorerst möglichen 4300 Terminen an der Hammer Straße in Wandsbek vergeben. Vor Ort helfen zudem Freiwillige den Geflüchteten bei der Anmeldung: „Das Angebot wird sehr gut angenommen. Gestern hatten wir etwa 400 Personen, die über uns einen Termin vereinbart haben“, sagte ein Helfer.