Hamburg/Wilstedt. Die Olive ist für den Ölkenner, was für den Weinfan die Traube: purer Genuss. Und sie kann sogar Krankheiten heilen.
Für Conrad Bölicke, Gründer der ArteFakt Olivenölkampagne in Wilstedt (Landkreis Rotenburg), haben Wein und Olivenöl vieles gemeinsam: Der Boden, die Lage, das Klima, die Sorte und die Individualität des Winzers – oder Oliviers, wie Bölicke seine Lieferanten nennt – formen gemeinsam das Terroir und daraus ein vollendetes Produkt. Doch anders als beim Wein ist der Fankreis, der das Speiseöl vor allem zum Genuss kauft, eher klein. „Wir müssen die Oliven aus der Fettecke holen“, sagt Bölicke im Abendblatt-Podcast „Schmeckt‘s?“
Als diplomierter Werkstoffwissenschaftler habe er sich ingenieursmäßig der Olive genähert. „Es gibt so gut wie kein Wissen über das Innere der Olive. Nicht einmal die Erzeuger wissen, wo das Öl eigentlich herkommt. Wenn Sie 100 Kleinbauern fragen, dann antworten die: aus dem Kern. Es kommt aber aus den Fruchtzellen. Es hat eine ganz andere Struktur als Samenöle. Kerne sind tot, Fruchtzellen leben; dort sitzt der Geschmack. Das Öl ist eigentlich nur der Träger für all das, was die Natur an Aromatik und sekundären Pflanzenstoffen mitgibt.“
Olivenöl: Jede Nummer steht für eine Region
Auch Olivenöl könne ein Terroir-Produkt sein, so Bölicke. Doch statt sinnlichen Namen tragen seine Produkte nur Nummern. Jede steht für eine Region, eins bis zehn zum Beispiel für italienische Öle. Die Öle von mehreren Kleinbauern können gemeinsam unter einer Ziffer vermarktet werden. „Dadurch müssen bei wachsender Nachfrage nicht alle im großen Topf zu einer Melange zusammengekippt werden“, erläutert Bölicke sein Konzept. „Wir produzieren einen Kanister für alle Erzeuger aus einem Terroir-Gebiet. Auf der Rückseite sind dann die einzelnen Betriebe genannt. Die Kunden können nur die Ziffer wählen, nicht den Erzeuger.“
Anders als im Weinbau gibt es keine Ausbildung im Olivenbusiness. Der Kleinbauer gibt sein Wissen an die Kinder weiter. Viele Familien haben nur 80 bis 150 Bäume, die traditionell den Eigenbedarf und den von Freunden und Nachbarn decken. Kaum jemand könne sich eine eigene Ölmühle leisten: „Das sind Hightech-Anlagen, die bis zu 1,5 Million Euro kosten. Selbst kleine Mühlen sind unter 250.000 Euro nicht zu haben. Die Erzeuger liefern die Ernte bei der Ölmühle ab und werden nach Litern bezahlt. Sie wissen gar nicht, wie ihr Öl schmeckt.“
Welches Olivenöl zu welchem Essen passt
Im ersten Schritt müsse man den „Erzeuger aus der Menge herausholen, damit er seine Olive kennenlernen kann“. Wie schmeckt sie früh-, mittel- oder spätreif? Ein älterer Erzeuger werde vielleicht eher mittelreife Oliven wählen, weil die etwas gefälliger im Geschmack seien, so Bölicke. „Ein jüngerer möchte vielleicht etwas Wildes und nimmt die Frühreifen. So entsteht Individualität.“ Voraussetzung: ein Müller, der mit dem Olivier experimentieren will. Und die sind rar. Hier kommt ArteFakt ins Spiel: Die Konsumgenossenschaft mit mehr als 900 Mitgliedern wird als Kunde Investor, damit ein Olivier eine eigene Mühle bekommt.
Die Verbraucher wissen genauso wenig vom Öl wie die Erzeuger. „Deshalb haben wir uns zusammengetan, um gemeinsam etwas Gutes zu machen. Übertragen vom Wein entspricht das meiste Öl, das wir kaufen, einer Zweieinhalb-Liter-Flasche Lambrusco.“ Dabei gebe es 185 Olivensorten. Und die haben je nach Wuchsort unterschiedliche Geschmäcke. So wie ein Rieslingwein an der Mosel anders schmeckt als an der Nahe. Analog zum Weinfest gibt es in Wilstedt die Olivenöl-Abholtage. Dazu kommen alle Erzeuger – 22 Familien aus 22 Regionen – in den Norden und präsentieren ihre Öle. Bölicke: „Vor Corona hatten wir jedes Jahr zwischen 15.000 und 20.000 Besucher aus ganz Deutschland. Es gibt diese Szene der Ölenthusiasten. Sie ist noch sehr klein, aber sie wächst.“
Auch die Frage „Welcher Wein passt zu welchem Essen?“ überträgt Bölicke auf seine Öle: „Griechische Öle schmecken immer ein bisschen grün. Deshalb werden sie bei Salaten mit Zitronensaft kombiniert und nicht mit dem lieblichen Balsamico-Essig. Der passt zu den italienischen Ölen. Sie schmecken nach Früchten und Blüten. Dazu ist der milde Mozzarella ideal, während Feta mit Grün und Zitrone harmoniert.“
Sonnenbrand? Olivenöl hilft
Die Olive gehöre zu den gesündesten Früchten, sagt Bölicke: „Sie ist ein Füllhorn von sekundären Pflanzenstoffen. Beispiel: Oleocanthal gehört zu den Antioxidantien und wirkt entzündungshemmend. Wenn Sie einen Sonnenbrand haben, schmieren Sie ein bisschen Olivenöl darüber. Nach einer halben Stunde brennt es nicht mehr. Gegen Gastritis hilft jeden Morgen ein guter Esslöffel Olivenöl. Aber das Öl muss herb sein, sonst ist kein Oleocanthal mehr drin, das hat sich dann schon verbraucht. Deshalb ist Olivenöl nicht per se gesund.“ Verluste können schon beim Pressen entstehen: „In den Mühlen werden die Oliven mit einem Hammer oder Messer zerschreddert. Wenn ich sie zu voll stopfe, werden die Früchte zerschmiert. Alles wird sofort heiß. Da verbrennen die wertvollen sekundären Pflanzenstoffe“, sagt der Ingenieur.
Olivenöl eigne sich dennoch zum Braten, denn es habe einen recht hohen Rauchpunkt von 230 Grad (Rapsöl 180, Sonnenblumenöl 160 Grad). „Man sollte damit aber kein Schnitzel zubereiten, weil man in der Pfanne die ganzen Aromen herausbrät“, rät Bölicke. Bei kurz gebratenen Steaks oder Ähnlichem sei das kein Problem. Das gelte aber nicht für ungefilterte Öle: „Sie enthalten Trübstoffe, die schon bei 110 Grad verbrennen. Dabei können Stoffe entstehen, die krebserzeugend sein können.“ Zum Schmoren seien die Öle besonders gut: „Das macht man ungefähr bei 130 Grad – da bleibt viel von dem Geschmack erhalten. Wenn ich Möhren schmore, würde ich immer ein kretisches Öl verwenden, denn es schmeckt nach frühreifer Banane und passt wunderbar zu dem süßlichen Gemüse.“
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Die Öle sind lichtempfindlich und deshalb in Weißblechdosen verpackt. Sie sollten nicht zu warm lagern, weil Aromen bei 27 Grad anfangen zu flüchten. Ideal seien Temperaturen um 20 Grad, so Bölicke. Ein geöffneter Halbliter-Kanister sollte in einem halben Jahr aufgebraucht sein. Denn die eingedrungene Luft beschleunige den Reifeprozess. Generell seien naturtrübe Öle weniger haltbar. „Sie enthalten noch Enzyme. Ungefiltertes Öl reift viel zu schnell. Innerhalb von drei Monaten hat es einen Reifezustand, für den gefiltertes Öl 18 Monate braucht.“ Überreifes Öl schmecke ranzig.
Neben den geschmacklichen Herausforderungen haben die Olivenanbauer mit dem Klimawandel zu kämpfen: Im März vergangenen Jahres sei es in Nordgriechenland, Kroatien und Norditalien zur Blütezeit der Olivenbäume minus sieben Grad kalt gewesen, sagt Bölicke. „80 Prozent der Blüten sind weggefroren – ein gigantischer Ernteausfall. Zur gleichen Zeit herrschten auf Kreta 40 Grad. Bei der Hitze sind viele Bäume vertrocknet. Solche atypischen Situationen häufen sich. Das merkt man im Mittelmeerraum deutlich. Wie bei uns auch.“
Olivenöl-Abholtage sind in diesem Jahr am Wochenende 7./8. Mai bei ArteFakt Olivenölkampagne, Am Bogen 5, in 27412 Wilstedt, geplant.