Hamburg. Die beiden wichtigsten Weinkritiker der Welt hatten trockene und süße Rieslinge aus 2019 probiert – und waren restlos begeistert.

Als im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie in Deutschland begann, dachte Eva Fricke, dass es das gewesen ist mit ihrem Weingut. Große Händler und Gastronomen stornierten in kürzester Zeit ihre Bestellungen, die Einnahmen brachen zusammen, die Kosten liefen weiter: „Ich stand mit dem Rücken zur Wand, in diesen Wochen ging es um meine Existenz“, sagt Fricke. Sie hielt durch, zum Glück: Denn wenige Monate später erlebte sie den Moment, von dem viele Winzerinnen und Winzer träumen.

In unserer Reihe „Vier Flaschen“, in der Weinkenner Michael Kutej, Riesling-Liebhaber Lars Haider und Apfelsaftschorlentrinker Axel Leonhard verschiedene Weine testen, ist heute eine deutsche Winzerin zu Gast, die eine unglaubliche Geschichte hinter sich hat. Eva Fricke wuchs in Bremen auf, das als Anbaugebiet ähnlich bekannt ist wie das benachbarte Hamburg, nämlich gar nicht. Sie mochte es schon als Jugendliche, „Dinge zusammen zu mischen, das hat mich irgendwie fasziniert, auch wenn da einiges explodiert ist“. Fricke mache ein Schulpraktikum bei einer Bremer Brauerei, weil sie Bier ganz gern trank, Wein schmeckte ihr damals noch nicht. Dass sie sich trotzdem entschloss, Önologie, also die Lehre vom Wein, zu studieren, hing mit ihrem Interesse „an allem, was mit Landwirtschaft zu tun hat“, zusammen, außerdem sei sie immer gern draußen gewesen.

Eva Fricke hat schwierige Zeiten durch Corona erfolgreich bewältigt

Den Geschmack des Weins habe sie erst während ihrer Zeit an der Hochschule Geisenheim lieben gelernt, in der Weinproben zum Alltag der Studierenden gehörten. Fricke bezog eine kleine Dachgeschosswohnung im Schloss Johannisberg, einem Weingut, das auf sehr gute Rieslinge spezialisiert ist, und hatte mit einer Rosalack Spätlese aus dem Jahr 1947 ihr „Erweckungserlebnis“. Spätestens von diesem Moment war klar: „So etwas willst du auch machen.“

Vor gut 16 Jahren pachtete Fricke ihre erste Anbaufläche, ein kleines Stück Land im Rheingau, mehr ein größerer Garten als ein Weinberg. „Ich wollte unbedingt hierhin, und ich werde nicht müde zu betonen, wie besonders diese Region ist.“ Nach und nach kamen weitere Flächen dazu, heute baut die Winzerin ihre Weine auf rund 17 Hektar an, hat 2020 das erste Darlehen, das sie zur Gründung ihres Unternehmens aufgenommen hatte, abbezahlt. Dann kam Corona und die Frage, wie man die rund 80.000 Flaschen, die Fricke pro Jahr produziert, verkaufen kann, und vor allem, an wen – ein Problem, das sich wenige Monate später in einer ganz anderen Richtung stellte …

Auf einmal war die zugereiste Winzerin aus Bremen ein Star

Denn kaum hatte Fricke ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Griff bekommen, gab es, wenn man so will, Post von Robert Parker und James Suckling. Die beiden wahrscheinlich wichtigsten Weinkritiker der Welt hatten Frickes Rieslinge aus dem Jahr 2019 probiert – und waren restlos begeistert. Die 2019er Lorcher Krone Riesling Trockenbeerenauslese erhielt sowohl von Parker als auch von Suckling die maximale Zahl von 100 Punkten, Suck­ling adelte sogar den Lorcher Krone Riesling trocken, ein großes Gewächs, mit diesem Höchstwert. Das hatte es im Rheingau noch nie gegeben, auf einmal war die zugereiste Winzerin aus Bremen ein Star – nicht nur in der Region, sondern weit darüber hinaus. Die Trockenbeerenauslese, die erste überhaupt von Eva Fricke, wurde nicht mehr auf normalem Weg, sondern über das Auktionshaus Sotheby’s versteigert – für umgerechnet 8800 Euro je Liter …

Vier Flaschen: Folge 64 mit Eva Fricke

Die Folge: „Heute ist es gar nicht mehr so leicht, Weine von Eva Fricke zu bekommen“, sagt Michael Kutej. Der hatte die Winzerin für sich bereits Anfang 2020 entdeckt, als er bei ihrem Besuch in Hamburg einige ihrer Weine verkostete. „Die 2019er-Ernte war sehr intensiv“, sagt Fricke. „Jede Traube hat uns ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, alles hatte eine wahnsinnige Eigendynamik.“ Sie habe schon damals gewusst, dass die Weine aus diesem Jahr etwas Besonderes seien …

Auch Frickes Rieslinge für Einsteiger gefallen

Das setzt sich fort, auch bei den Flaschen, die Kutej, Haider und Leonhard testen und die alle mindestens 90 Punktevon Robert Parker erhalten haben. Los geht es mit Frickes Einsteiger-Riesling Rheingau aus dem Jahr 2020, der „sehr nach Zitrone riecht und wahnsinnig nach Frucht schmeckt“, so Kutej.

Diese vier Weine wurden verkostet.
Diese vier Weine wurden verkostet. © Silkes Weinkeller | Silkes Weinkeller

Flasche Nummer zwei ist der Gutswein Kiedrich, also die Stufe über dem Einstiegsmodell, der Haider geschmacklich an Caipirinha erinnert, „an diese Salz-Zucker-Kruste am Glas“. Das klinge für einen Wein erst einmal nicht nach einem Kompliment, sagt Fricke, gibt aber zu, dass sie bei den ersten Verkostungen manchmal selbst „an Ahoi-Brause“ denken musste.

Mélange ist ein Wein mit viel Kraft

Der Wein mit dem höchsten Alkoholgehalt in diesem Test (13 Prozent) ist die sogenannte Mélange, ebenfalls aus dem Jahr 2020, die ursprünglich „Elements“ hieß. Doch dann habe es in den USA, wo Fricke zeitweise ein Drittel ihrer Produkte verkaufte, einen Wein mit demselben Namen und der entsprechenden Verwechslungsgefahr gegeben. „Außerdem habe ich festgestellt, dass in Deutschland auch ein Händler für Bäder so heißt – spätestens da war mir klar, dass wir der Bezeichnung etwas ändern müssen.“ Axel Leonhard schmeckt viel Frucht, vor allem Pfirsich und sagt: „Ich mag das Mundgefühl, die Salzigkeit kommt noch einmal deutlicher raus, der Wein hat mehr Kraft als die ersten beiden.“

Deutlich weniger Alkohol hat die Klosterberg Spätlese aus dem Jahr 2018 in Flasche vier, „die auch als Auslese durchgehen könnte“, so Kutej.

Die „Vier Flaschen“ können Sie sich unter www.abendblatt.de/podcast anhören oder auf dem YouTube-Kanal des Hamburger Abendblatts ansehen. Im Wechsel mit der bekannten, etwa 90 Minuten langen Folge gibt es alle zwei Wochen eine schnelle Variante: In maximal 9:59 Minuten testen Kutej, Haider und Leonhard eine Flasche Wein, die unter zehn Euro kosten muss, und die am Ende mit Punkten von eins bis zehn bewertet wird.