Hamburg. Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge gibt Ratschläge, wie Zwillinge am besten gefördert und zu eigenständigen Persönlichkeiten werden.

Ein Baby wirbelt das Leben von Eltern durcheinander. Wenn die Kinder aber im Doppelpack kommen, gilt dies umso mehr. Wie Zwillinge am besten gefördert werden – so, dass sie zu eigenständigen Persönlichkeiten werden –, das weiß Jan-Uwe Rogge, der bekannte Erziehungsberater und Autor aus Bargteheide. Er rät dazu, die Kinder in unterschiedlichen Kita-Gruppen und Schulklassen anzumelden.

„Dadurch haben die Zwillinge eine größere Chance, ihre Individualität, ihre ganz eigenen Interessen zu entwickeln und auch auszuleben“, sagt Rogge im Abendblatt-Podcast. Er hat gerade zusammen mit Alu Kitzerow und Konstantin Manthey bei Gräfe und Unzer ein Buch veröffentlicht über „Geschwister – eine ganz besondere Liebe“.

Erziehungstipps für Eltern mit Zwillingen

Schon die vorgeburtliche Erfahrung prägt die Zwillinge, so Rogge, sie seien schließlich zu zweit im Bauch der Mutter. „Das macht etwas mit den Kindern, sie kommunizieren im pränatalen Zustand auf ihre Art und Weise. Sie spüren einander.“ Und auch wenn zwischen der Geburt der Zwillinge manchmal nur ganz wenige Minuten liegen, gibt es auch bei ihnen – wie bei anderen Geschwistern auch – Erst- und Zweitgeborene. „Aus meiner Erfahrung spielt das sehr wohl eine Rolle bei der späteren Geschwisterkonstellation und der Beziehung der Kinder zueinander.“ Das, was man aus der Geschwisterforschung kennt, das gelte auch für Zwillinge.

Anders als bei anderen Geschwistern gebe es bei Zwillingen aber weniger Rivalität – zumindest am Anfang. „Gerade in den ersten Jahren ist wenig Wettbewerb zu beobachte, da halten sie oftmals zusammen wie Pech und Schwefel und sind sehr stark aufeinander bezogen“, sagt Rogge. Untersuchungen zeigten, dass das Wort „Ich“ bei Zwillingen später auftaucht als bei anderen Geschwisterkindern. Sie sind besonders in dieser Zeit sehr verbunden. Zwar gebe es Unterschiede und Abgrenzungen, aber die seien zunächst nur in Nuancen zu beobachten, sagt der Experte. „Im ersten und zweiten Lebensjahr ist die Verbundenheit noch sehr stark, sie vermittelt den Kindern ein Gefühl sicherer Bindung.“ Das wird noch verstärkt dadurch, dass sie besonders am Anfang von außen oftmals als Einheit betrachtet werden.

Zwillinge in unterschiedliche Klassen stecken

Sollte man die Zwerge also auch gleich anziehen, weil das so niedlich ist, und in Kita und Schule zusammenlassen? Dazu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen, schickt Rogge vorweg. „Die Mehrheitsmeinung ist: Man sollte Zwillinge so früh wie möglich trennen. Das bedeutet: Nicht im ersten oder zweiten Lebensjahr – aber in dem Augenblick, in dem sie bereit sind, sich zu separieren, sollte man dieses dann auch unterstützen.“ So rate er dazu, die Kinder – wenn sie in die Tagesstätte kommen – möglichst in zwei verschiedenen Gruppen anzumelden. Das gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Individualität zu entwickeln und auszuleben. Sie könnten ja außerhalb der Kita noch immer viel zusammensein und einander auch in der Tagesstätte besuchen, wenn sie Sehnsucht nach dem anderen haben.

„Auch in der Schule sollten sie möglichst unterschiedliche Klassen besuchen. Das gibt ihnen die Chance, ganz bei sich selbst zu sein.“ Und hilft Zwillingen, Kontakt nach außen zu anderen Kindern zu finden, was ihnen schwerer fällt, wenn sie stets zusammen und aufeinander bezogen sind.

Tipp: Oma und Opa mit nur einem Zwilling besuchen

Und die Kleidung? „Da kann man dem nachgeben, was die Kinder sich selbst wünschen. Unterschiede können schon bei den Strümpfen oder den Knöpfen anfangen, müssen dort aber nicht enden.“ Sie in der gesamten Kindheit immer identisch anzuziehen fördert jedenfalls nicht die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit. „Vielleicht kann man auch den Besuch bei Oma und Opa oder bei Freunden mal getrennt unternehmen. Wenn dieser Wunsch von den Kindern kommt, ist es wichtig, ihn auch zu unterstützen“, sagt Rogge.

Denn Zwillinge müssen nicht so sehr wie andere Kinder das Zusammenleben lernen, sondern das Abgrenzen. „Dieses Sich-Abgrenzen, sich zugleich weiterhin als Zwilling zu empfinden, aber die ganz eigenen Wege zu gehen, das ist ein zen­trales Moment“, sagt Rogge. Eltern sollten „so früh wie möglich die unterschiedlichen Eigenschaften und Begabungen, die ein Kind mit in die Welt bringt fördern“, so der Experte. Und zwar im positiven Sinne: „Es ist wichtig, dass Eltern die Zwillinge als einzelne Kinder, als einzelne Persönlichkeiten sehen und von Anfang an drauf achten, wo die positiven Eigenschaften, Fähigkeiten und die Besonderheit eines Kindes liegen, und diese fördern. Also nicht so sehr darauf fokussieren, wo ein Zwillingskind dem anderen in der Entwicklung etwas hinterherhinkt, und dann versuchen, diese vermeintlichen Schwächen zu kompensieren, sondern auf die Stärken achten und diese verstärken. Das hilft beiden Kindern, sich zu sich selbst zu bekennen und voneinander positiv abzugrenzen – nicht über ihre Schwächen, sondern über ihre Stärken.“

Eineiige Zwillinge besonders aufeinander fixiert

Denn es bedeutet ja auch ein großes Glück, jemanden an seiner Seite zu haben. Das ist eine Lebensbotschaft, die die Zwillinge in diese Welt mit hineinbringen, wobei es einen großen Unterschied zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen gibt. Während zweieiige Zwillinge genetisch miteinander verwandt sind wie andere Geschwisterkinder, sind eineiige Zwillinge besonders aufeinander fixiert.

Für sie bedeutet es eine größere Leistung, sich von dem anderen abzugrenzen, schon weil sie einander äußerlich so ähnlich sind, dass andere sie oft kaum auseinanderhalten können. „Aber auch eineiige Zwillinge müssen die Chance bekommen, sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu entwickeln und sich nicht immer über den anderen zu definieren“, sagt Rogge.

In der Pubertät gehen die Wege meist auseinander

In seinem Buch beleuchtet Jan-Uwe Rogge auch die Familienkonstellation für die Geschwisterkinder des Zwillingspaares – sei es, dass schon ein älteres Kind da ist, wenn die Zwillinge geboren werden, oder aber die älteren Zwillinge noch ein Geschwisterkind bekommen. „Das kann das Familiengefüge durch­einanderwirbeln“, sagt der Autor. „Da kommt eine ganz neue Dynamik in die Familie.“ Eltern müssten genau beobachten, wer eine intensivere Begleitung benötigt.

Und später? „Wenn die Zwillingskinder in die Schule kommen und besonders später in der Pubertät, dann trennen sich die Wege meist automatisch“, sagt der Buchautor. Auch viele andere Geschwisterbindungen gehen in der Pubertät und dann im jungen Erwachsenenalter eher auseinander. Die Dynamik ihrer Beziehung führt Geschwister mal nah aneinander, mal weiter entfernt – „das durchzieht das ganze Leben“, so Rogge. „Am Ende kommen viele Geschwister wieder enger zusammen, unterstützt vielleicht durch die gemeinsame Sorge für die Eltern – das gilt auch für Zwillinge.“