Lüneburg. In einem Online-Seminar lernen Eltern und Lehrer, wie man mit Kindern über schwierige Themen wie Krieg spricht.
Wie soll man als Elternteil reagieren, wenn die Tochter oder der Sohn unerwartet eine Frage stellt, deren Beantwortung auch für einen Erwachsenen schwierig ist? Zu Themen wie Krieg und Vertreibung, Flucht und Tod. Wie findet man spontan eine kindgerechte Antwort?
Dr. Kerstin Stellermann-Strehlow, Oberärztin an der Lüneburger Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, hatte während eines Online-Vortrags, der sich an Eltern, aber auch an Lehrerinnen und Lehrer richtete, viele Antworten parat. Mehr als 320 Teilnehmer verfolgten das Seminar. Aufgrund der großen Resonanz soll es eine weitere Veranstaltung am kommenden Mittwoch, 16. März, geben. Veranstalter sind das Kinderschutzzentrum Nord-Ost-Niedersachsen, die Psychiatrische Klinik, Polizeiinspektion Lüneburg und der Kinderschutzbund.
Stresstoleranz: Eltern können falsche Signale senden
Kriege an sich seien nichts Neues, stieg Stellermann-Strehlow ein. Der Ukraine-Krieg komme uns aber besonders nahe. Es gebe kaum eine Chance, sich den aktuellen Ereignissen zu entziehen, auch für Kinder nicht. Um auf eine Frage wie „Mama, warum macht Putin das?“ vorbereitet zu sein, sei es wichtig, das eigene Stresstoleranzfenster zu öffnen und sich selbst genügend Raum für die eigenen Gefühle zu geben.
Denn: Wer eine Situation als nicht zu bewältigen empfinde, gerate in Stress und sende die entsprechenden Signale aus. Stellermann-Strehlow empfiehlt, sich einen Moment zu nehmen, das zu tun, was einen selbst beruhigt, auch wenn es nur ein Schluck Kaffee ist. Die erste Frage laute also: Wie geht es mir selbst mit dem Thema? Bin ich bereit? Stellermann-Strehlow vergleicht die Situation mit einem Elchtest. Ins Schleudern zu kommen, wäre nicht gut.
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Wenn das Gespräch mit dem Kind dann beginne, seien Augenhöhe – in Bezug auf Sprache und Sitzposition – wichtig. Möglicherweise müsse man sich die Frage stellen: Wie alt ist das Kindergarten- oder Schulkind im gestressten Zustand? Wichtig sei es, ruhig, sachlich und kurz zu antworten, das Thema nicht wegzureden, aber auch keine Monologe zu halten. „Man sollte mutig sein, Gefühle anzusprechen“, rät die Psychiaterin. Auf einer Folie stellt sie die Frage: „Hast du Angst, wenn du das hörst?“
Falls sich eine Situation, die Auslöser war, nicht im Guten auflöst, sorge sie dafür, dass die Stresstoleranz überschritten wird. Hier nennt Stellermann-Strehlow vier Typen: Die Ersten fliehen, flüchten sich möglicherweise in Arbeit. Die Zweiten kämpfen. Die Dritten kommen zum Stillstand, begeben sich in Isolation und dann gibt es noch Menschen, die so tun, als wäre nichts, die „Einschmeichler“. Es sei sehr wichtig, die Symptome bei Kindern zu erkennen, sagt die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Sogar Säuglinge spüren Auswirkungen und kommunizieren
Sie rät allerdings davon ab, Kinder unter zehn Jahren, die das Thema Krieg nicht selbst ansprechen, damit zu konfrontieren. Es sei denn, einem falle ein neues Verhalten bei dem Kind auf. Dann sei es besonders wichtig, den Fokus auf die positiven Dinge zu lenken, auf die zahllosen Helfer beispielsweise. „Mit Kindern über Krieg zu reden, heißt: Wir sprechen über Frieden“, sagt Stellermann-Strehlow. Für Kinder, die große Angst haben, hat sie Übungen parat, die sensorisch beruhigen: Kopfrechnen etwa. „Erste Hilfe für die Seele – das sollte jeder können.“
Sogar Säuglinge kommen in ihrer Präsentation vor: Denn auch sie kommunizieren, sagt die Ärztin. Darüber, dass sie nicht mehr schlafen, nichts mehr essen wollen. Es sei falsch, ein Baby beim Verfolgen der Nachrichten auf dem Arm zu halten, sagt sie: „Es muss nicht meinen Stress aushalten oder regulieren.“ Wichtig seien Ruhe und Routine.
Psychologin appelliert die Lehrer in Bezug auf Flüchtlingskinder
Gegen Ende richtet Stellermann-Strehlow noch einen Appell an die Lehrer: „Flüchtlingskinder sind kleine Überlebenskünstler.“ Aber eben Kinder. Es sei wichtig, sie aufzunehmen und ihr Stresstoleranzfenster mithilfe von sozialer Interaktion zu vergrößern.
Ob es okay sei, Kinder mit auf Friedensdemonstrationen zu nehmen, wollte ein Teilnehmer wissen. Es komme auf die Veranstaltung an, ob sie friedlich sei, und auf einen zeitlich begrenzten Rahmen, so die Antwort der Ärztin. Und was, wenn man selbst mal die Kontrolle verliert? Man solle eine normale Situation aufbauen und sich erklären. Man brauche sich keineswegs schämen, sondern solle ehrlich gegenüber Kindern sein.
„Mit Kindern über Krieg sprechen“, 16. März, 20 bis 21.15 Uhr, kostenlose Anmeldung via E-Mail kathrin.richter@polizei.niedersachsen.de
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
- Falls ein Kind unter großer Angst leidet, empfiehlt Kerstin Stellermann-Strehlow, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der erste Tipp: Nummer gegen Kummer, Kinder- und Jugendtelefon unter Servicenummer 116111, sonnabends, 14 bis 20 Uhr, beraten hier Jugendliche. Elterntelefon unter 0800/111 05 50.
- Zweite Adresse: Kinderschutz-Zentrum Harburg, Eißendorfer Pferdeweg 40a, 21075 Hamburg, Telefon 040/790 10 40. Zum Vorlesen als Stressbewältigung im Kindergartenalter empfiehlt Stellermann-Strehlow „Die Reise des Schmetterlings“ von Kati Bohnet.