Hamburg. Wie Freiwillige in einem Callcenter in Hamburg versuchen, Kriegsflüchtlingen bei der Ankunft im fremden Land zu helfen. Ein Besuch.

In einem weiten Raum mit hohen Fenstern und unverputzten Wänden sitzen 15 Menschen mit Headsets konzentriert vor ihren Laptops und telefonieren. Weitere Laptops und Schreibmaterialien stapeln sich in einem hohen Regal, mehrere Internetrouter stehen auf der langen Fensterbank.

Was wie der Arbeitsraum eines jungen Start-up-Unternehmens wirkt, ist das Callcenter des „Norddeutsch ukrainischen Hilfsstabs“, der nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine mit dem Ziel gegründet wurde, sämtliche Hilfsangebote in Norddeutschland zu bündeln. Der Vergleich mit einem Start-up ist nicht abwegig: In kürzester Zeit haben die ukrainischen Freiwilligen ihre Zentrale in den leeren Büroräumen einer Industriehalle in St. Georg eingerichtet.

Krieg gegen die Ukraine: Shyshkina mobilisierte Bekannte

Ausgestattet mit technischem Gerät, das ihnen kostenlos von Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, unterstützen sie ihre Landsleute in der Ukraine und nach der Ankunft in Deutschland. An den Wänden hängen Zettel und Post-its, auf denen in kyrillischer Schrift aktuelle Informationen für Schutzsuchende notiert werden. Inmitten des Raumes, vor einem großen blau-gelben Banner, steht ein Tisch mit Tulpen in den Nationalfarben und Verpflegung für die Helfer.

Ilona Shyshkina koordiniert die Arbeit im Callcenter. Die 24 Jahre alte Studentin lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Als sie frühmorgens die Nachricht vom Kriegsausbruch erhielt, habe sie erst einmal unter Schock gestanden. „Ich konnte nichts machen außer Nachrichten zu lesen und an meine Familie zu denken. Du fühlst dich so machtlos, du bist nicht da und kannst nicht helfen.“ Am nächsten Tag nahm sie sich Urlaub von ihrem Werkstudentenjob und kontaktierte ukrainische Freunde und Bekannte in Hamburg. „Wir haben eine Demonstration veranstaltet und uns organisiert.“

25 Ehrenamtliche helfen bei Arbeit im Callcenter

Rund um die Uhr ist das Team der insgesamt 25 Ehrenamtlichen für schutzsuchende Menschen aus der Ukraine telefonisch und per Messengerdienst erreichbar. Die meisten Freiwilligen sind berufstätig und kommen für ein paar Stunden nachmittags oder an Wochenenden. Viele haben Kinder. Einige haben sich wie Ilona Syhshkina Urlaub genommen. Die Telefone klingeln ununterbrochen – etwa 500 Anrufe von Schutzsuchenden und Menschen, die helfen wollen, nehmen die Ehrenamtlichen täglich entgegen.

Für nächtliche Anrufer gibt es zwei Handys, die von den Ehrenamtlichen im Wechsel mit nach Hause genommen werden. „Ich möchte einfach helfen, auch wenn mich jemand um Mitternacht anruft“, sagt Shyshkina mit Nachdruck. Viele der Menschen kämen zum ersten Mal in ein fremdes Land. „Die Hauptidee war, dass wir zeigen: Wir sind hier, wir sind auch Ukrainer, wir sprechen eure Sprache. Ihr seid hier nicht alleine.“ Über die herausfordernde Arbeit der Ehrenamtlichen sagt sie: „Man ist nicht einfach nur eine Person, die im Callcenter arbeitet, man ist auch Psychologin und Familienmitglied. Man muss die Anrufer irgendwie beruhigen, sagen, dass alles in Ordnung kommen wird.“

Krieg gegen die Ukraine: Täglich neue Herausforderungen

Dabei werden die Helfer täglich vor neue Herausforderungen gestellt. Vor zwei Tagen meldete sich spätabends eine ukrainische Familie mit einer Textnachricht. „Sie waren mit ihren drei und fünf Jahre alten Kindern auf irgendeiner Straße in Magdeburg gelandet“, erzählt Shyshkina. „Die Eltern sind gehörlos, können auch nicht sprechen. Sie haben uns ihre Position aufs Handy geschickt.“ Sofort fuhr ein Helfer nach Magdeburg, kaufte dort über Ebay Kindersitze und sammelte die Familie ein. In Hamburg organisierte der Hilfsstab unterdessen eine gehörlosengerechte Unterkunft.

Ilona Shyshkinas eigene Familie lebt im Westen der Ukraine. Sie habe noch nicht vor, das Land zu verlassen. Viele Kollegen aber hätten Familie und Freunde in der Ostukraine. An den Gesichtern der Ehrenamtlichen lässt sich die enorme Belastung erahnen. Zu Beginn der Woche hatte eine Psychologin zwei Tage lang halbstündige Gespräche für alle Freiwilligen angeboten. „Sie ist auch Ukrainerin und wollte helfen. Jeder macht das, was er gut kann“, sagt Ilona Shysh­kina. Für die enorme Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland und die Unterstützung durch Unternehmen sei sie sehr dankbar. „Sie gibt uns unglaublich viel Hoffnung und Motivation.“