Hamburg. Werner Pfeifer restaurierte den Rosthaufen mit viel Liebe, Arbeit und Geld – und genießt nun die Vorzüge des Lebens auf dem Schiff.

Wer eine zum Verschrotten verdammte Rostbeule in ein schmuckes Wohnschiff verwandelt, aus einer abrissreifen Lagerhalle ein Kulturzen­trum schafft und Harburgs Binnenhafen auf einem Tonträger als kleinen Ozean besingt, führt ein Leben auf der Überholspur. Abseits des Alltäglichen. Tatsächlich ist Werner Pfeifer einer der führenden Paradiesvögel unserer Stadt. Der kreative Tausendsassa gestaltet den Alltag nach seinem Gusto. Spannung ist garantiert.

Das beginnt mit der Anfahrt gen Harburger Hauptdeich. Das Navi kapituliert, glücklicherweise nicht das Mobilnetz. Aus der Ferne weist Pfeifer fernmündlich den Weg. Endstation an einer idyllisch gelegenen Pontonanlage im Herzen des Harburger Hafens. Auf den Hausbooten nebenan leben Künstler, Musiker, Segler, Bootsbauer und ein Lehrer. Vis-à-vis sind Tankschiffe und die Schlossinsel zu sehen. Mehr Hansestadt geht kaum.

Wohnen in Hamburg: Hafenfähre wirkt wie Villa Kunterbunt

„Moin“, ruft Werner Pfeifer vor der Landungsbrücke. Schon der erste Blick fasziniert: eine stilvoll restaurierte Hafenfähre, Pflanzenkübel an der Reling, weiß getünchte Aufbauten. Individueller Charme. Das 27 Meter lange und 7,82 Meter breite Wasserfahrzeug wirkt wie eine maritime Villa Kunterbunt. Mit einladender Geste bittet der Schiffseigner an Bord. Hinein ins Wohnzimmer, den ehemaligen Fahrgastraum. 1955 von den Ottenser Eisenwerken gebaut, fuhr die „Stadersand“ anschließend fast drei Jahrzehnte im Hamburger Fährverkehr.

Ansonsten blieb wenig wie es früher war. Als die „Stadersand“ 1983 außer Dienst gestellt wurde, rottete sie ungestört vor sich hin: Motor weg, Bullaugen raus, Steuerrad entfernt. Rost übernahm das Regiment. Als Werner Pfeifer 1990 im Abendblatt eine Anzeige entdeckte („Wohnschiff zu verkaufen“), traute er in „Schnalles Hafen“ in Wedel seinen Augen nicht: Es erschien ihm wie ein Wunder, dass der schwankende Schrotthaufen nicht versank.

Pfeifer kaufte Fähre für 15.000 Euro

Auch wenn Pfeifer es sich anfangs nicht eingestehen wollte: Die Leidenschaft war geweckt. Zu dieser Zeit lebte der examinierte Historiker im Stadtteil Uhlenhorst. Als freiberuflicher Zeitungsjournalist und plietscher Radioreporter verfügte der gebürtige Bielefelder über ein stabiles Einkommen. Sein Entschluss stand fest. Für umgerechnet 15.000 Euro gehörte ihm nun ein schwimmender Rosthaufen. „Stählerner Rumpf mit Aufbau“, stand im Kaufvertrag.

Dann legte Pfeifer Hand an. Eineinhalb Jahre lang, tatkräftig, mit einer Lebensgefährtin und Freunden. Und er belastete sein Bankkonto. Unter dem Strich kostete die Mission Hausfähre binnen 30 Jahren mehr als 100.000 Euro – mit sehenswertem Resultat. Wobei der Bootscharakter bewahrt blieb. Neu sind eine Ölzentralheizung mit Basis im ehemaligen Maschinenraum sowie ein Bollerofen mittschiffs. Als unbezahlbarer Pluspunkt erwies sich das Korsett der ausrangierten Fähre. „Unter dem Rost reeller Schiffbauerstahl“, sagt Werner Pfeifer. „Durch und durch deutsche Wertarbeit.“

Fähre liegt am Harburger Hauptdeich

Ähnlich turbulent wie die Restaurierung verliefen die Anlegemanöver. Die „Stadersand“ wurde von Wedel in den Kohlenschiffhafen auf Steinwerder geschleppt. Postadresse: Tollerortweg, Wassertreppe 8. Da die nunmehr umgebaute Fähre mit drei Decks 2,40 Meter Tiefgang misst, bot sich als neue Heimat ein Steg am Harburger Hauptdeich an. Wasserpacht fließt ans Bezirksamt.

Durch Schleusen gesichert, halten sich Ebbe und Flut in Grenzen. Dass die Natur dennoch unberechenbar sein kann, bewiesen die Orkanböen vor wenigen Wochen. Eine 30 Kilogramm schwere Eisenluke löste sich und verfehlte Pfeifer nur knapp.

Pfeifer gilt als Freigeist und Wirbelwind

„Glück gehabt“, meint er rückblickend. Wie so oft in seiner bewegten Vergangenheit. Zwei mittlerweile erwachsene Kinder aus erster Ehe können das bestätigen. Im Freundeskreis gilt Werner Pfeifer als gescheiter Individualist, Freigeist und anpackender Wirbelwind. Ein unstetes Naturell begleitet ihn. Stichworte seines Berufslebens sind Einsätze in Verlagen und bei Radiostationen. Von der Jahrtausendwende bis Dezember 2021 war der heute 61-Jährige eine markante Stimme als freiberuflicher Polizeireporter bei NDR 90.3.

Kreatives Leben auf ausrangierter Hadag-Fähre.
Kreatives Leben auf ausrangierter Hadag-Fähre. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Parallel ging’s rund. 17 Jahre lebte er mit Frau und Kindern in Rissen an Land. Derweil fungierte die „Stadersand“ als Wochenendunterkunft sowie als Veranstaltungsort für Feste und Kulturereignisse. 2016 wurde die Fähre wieder zum Wohnort und Refugium für neue Abenteuer. Letztere bereichern Werner Pfeifers Dasein von jeher. Mumm bewies er beim Erwerb einer dem Abriss geweihten Lagerhalle in der Nachbarschaft seines Hausboots. Wo von 1906 bis 1910 Fisch verhökert wurde und später Jobs für Hafenarbeiter vermittelt wurden, etablierte Paradiesvogel Pfeifer mit der „Fischhalle“ ein Kulturzentrum. In Privatinitiative investierte er Hunderttausende Euro.

Pfeifer produzierte nebenbei eine CD mit Liedern

In nächster Zeit stehen Blues, Rock ’n’ Roll, Hörspiele und Autorenlesungen auf dem Terminkalender. Parallel produzierte Werner Pfeifer eine CD mit Liedern und Balladen aus dem Harburger Binnenhafen. Der Titel ist Programm: „Kleiner Ozean“. Er passt ins Bild: Der Hafenbarde mit der Extraportion Fantasie gestaltet sich seine Welt. So wie sie ihm gefällt.

Womit wir wieder im Heute auf der maritimen Villa Kunterbunt am Hauptdeich sind. Bei einem Pott Kaffee am Kamin im Gastraum, eine sehenswerte Melange aus Wohnzimmer, Küche, Essraum und Ruhebereich, ausgestattet mit mehreren Sofas und viel Holz, zeigt Pfeifer Fotos. Dokumentiert ist die Entwicklung vom Schrottberg zum Eldorado für Lebenskünstler. Dass es im Winter eiskalt und zugig sein kann, verschweigt er nicht. Arbeit wartet an jeder Ecke.

Wohnen in Hamburg: Sommermonate sind ein Traum

Dafür sind auf 160 Quadratmetern Wohnfläche Überraschungen platziert. Wie die frühere Brücke auf dem Oberdeck, aktuell lichtdurchfluteter Yogaraum von Lebensgefährtin Cornelia. Die angrenzende Nock ist eine Aussichtsplattform erster Klasse. Das Paar genießt den Freiraum an Bord. Nicht nur für die Katzen Smilla und Fiete gibt es Tag für Tag Neuland zu entdecken. Vor allem die Sommermonate sind ein Traum. Wenn die Sonne über dem Binnenhafen versinkt, fühle er sich auf dem großen Außendeck „wie im Paradies“.

Mit einem Hauch Melancholie bereitet er einen weiteren Kaffee zu. Der Blick fällt auf Schiffsmodelle, Treibholz, geschnitzte Meerjungfrauen, Gitarren. Durch die Fensterfront betrachtet der Schiffseigner die Barkasse „Richard Kranz“ bei gemächlicher Passage vor der Schlossinsel. „Ich bin nicht kompatibel für ein normales Leben“, sinniert Werner Pfeifer. Widerspruch wäre in diesem Moment nicht angesagt.