Harburg. Als Ausgründung der Technischen Universität hilft Vilisto Kommunen und Unternehmen, viel Heizenergie zu sparen.
Im Umfeld der Technischen Universität Hamburg wurden bereits viele gute Ideen, Produkte und Patente geboren. Zu den Shootingstars gehört Vilisto. Das Jungunternehmen bietet digitale Heizkörperthermostate an, die über Sensoren feststellen können, wie Räume genutzt werden – und aus den gemachten „Erfahrungen“ lernen. Das knapp sechs Jahre alte, mehrfach ausgezeichnete Start-up hat seinen Sitz an der Harburger Schloßstraße und beschäftigt aktuell 36 Angestellte. Zum Jahresende sollen es 45 sein.
„Der Deutsche Innovationspreis 2020 hat uns sehr geholfen. Auf ihn werden wir heute noch angesprochen“, sagt Christoph Berger, Gründer und Geschäftsführer von Vilisto. Er hat Energietechnik an der TU in Harburg und in Berkeley (Kalifornien) studiert. Zusammen mit zwei Mitstreitern entstand im Juni 2014 die Idee der intelligenten Thermostate. Zwei Jahre später zog das Entwicklerteam in den Startup Dock im Harburger Binnenhafen und arbeitete nun nicht nur an seinem Produkt, sondern auch an der dazugehörigen Geschäftsidee. Gefördert mit einem Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums.
Mehr als 10.000 Thermostate in knapp 150 Gebäuden sind installiert
„Unser erster Kunde war der Eisenbahnbauverein Harburg“, sagt Berger. „Schon damals haben wir festgestellt, dass unsere Thermostate nicht so sehr für Wohnungen, sondern mehr für Büros und kommunale Gebäude wie Rathäuser, Schulen oder Kitas geeignet sind.“ Der Grund: Wohnungsbesitzer bedienen ihre Heizkörper selbst, drehen sie ab, wenn sie lüften oder das betreffende Zimmer viele Stunden nicht nutzen. Dagegen gibt es in Büros, Schulen und an vielen anderen Orten niemanden, der oder die sich verantwortlich fühlt, etwa zum Feierabend die Heizkörper herunterzuregeln.
Hier sieht Vilisto das Potenzial, viel Energie einzusparen und gleichzeitig CO2-Emissionen zu vermeiden. Mehr als 10.000 Thermostate in knapp 150 Gebäuden sind inzwischen installiert; dadurch seien mehr als 1300 Tonnen CO2 gespart worden, so Berger. Das entspreche dem Ausstoß eines durchschnittlichen Benziners bei mehr als 160 Erdumrundungen. Die smarten Thermostate können Bewegung, Schall und Licht im Raum erkennen. Einmal pro Minute sind die Sensoren kurz aktiv. „Die Präsenzerkennung muss nicht super exakt sein, denn die Heizkörper reagieren träge“, sagt der Vilisto-Chef. Wird mehrfach Leere im Raum festgestellt, so wird der Heizkörper herunter gedreht. Damit reagieren die Geräte weniger empfindlich als sensorgesteuerte Lampen, die einen Büroraum fälschlicherweise abdunkeln, wenn sich der anwesende Nutzer kaum bewegt.
Die schlauen Regler können sich die Nutzungszeiten merken
Die schlauen Regler können sich die Nutzungszeiten merken und die Räume vorausschauend morgens vorheizen oder die Wärmezufuhr abends rechtzeitig kappen. Dabei nutzen sie über eine gemeinsame Online-Plattform zusätzlich Wetterdaten. Die Thermostate müssen von den Anwendern nicht programmiert werden, sondern fangen an zu arbeiten, sobald sie an einem Heizkörper montiert sind. Je nach vorhandener Technik sparen sie um die 20, manchmal sogar 30 Prozent Heizenergie ein. „Sie sind ohne großen Aufwand an einem Arbeitstag installiert und im Vergleich zu anderen Energiesparmaßnahmen recht preiswert“, sagt der Jungunternehmer. Die Geräte seien wartungsfrei, brauchten nur alle zwei Jahre eine neue Batterie. „Und natürlich bleibt es möglich, den Thermostat individuell zu bedienen und es sich etwas wärmer oder kühler zu machen“, sagt Berger.
Als potenzielle Kundschaft hat er neben Firmen vor allem Kommunen im Visier, weil sie generell über sehr viele Gebäude verfügen: Von Rathaus und Fachämtern über Schulen und Kitas bis zu Museen, Bürger- und Krankenhäusern. Hamburg wäre ein besonders dicker Fisch: „Die Stadt hat um die 800 Gebäude, davon die meisten mit Heizkörpern und nicht mit Fußbodenheizungen“, sagt der findige Unternehmer – die Bodenheizungen lassen sich mit solchen Thermostaten nicht regeln, weil sie zu träge reagieren. Vor allem Gebäude, die vor 1990 errichtet worden sind, hält Berger für interessant. Ihr Energiestandard sei meist so niedrig, dass sich die Investition in die Thermostate schnell auszahle.
Steigende Energiepreise haben das Geschäft beflügelt
Kleinere Kommunen mit 20, 30 Gebäuden seien oft flexibler als große Städte, sagt der gebürtige Bremer, der zum Studium nach Harburg zog. Immerhin gibt es ein städtisches Gebäude im Bezirk, das bereits ausgerüstet ist: Das Archäologische Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg. Im Januar 2020 wurden die selbstlernenden Thermostate an 75 Heizkörpern im Verwaltungs- und Ausstellungsbereich sowie der Bühne des Theaters und den angeschlossenen Sozialräumen installiert – und senken nun den Heizenergieverbrauch um 29,5 Prozent.
Die Diskussion um den CO2-Preis sowie steigende Energiepreise haben das Geschäft beflügelt. Inzwischen müsse er kaum um Kunden werben, sagt Berger, sie kommen auf Vilisto zu. Auf der Firmen-Webseite sind weitere technische Ansätze wie vernetzte Wärmemengenzähler und digitale Hocheffizienzpumpen zu sehen. Doch das ist Zukunftsmusik: „Derzeit kümmern wir uns um das Kerngeschäft mit den Thermostaten. Wir haben nicht so viel Ressourcen, um alles gleichzeitig entwickeln zu können.“ Dabei erwies sich die Geldbeschaffung gerade einfacher als erwartet: Zur Finanzierung des weiteren Wachstums startete die GLS-Bank eine Crowdfunding-Aktion, bei der viele private Investoren Vilisto eher kleine Darlehen geben konnten. Innerhalb eines Tages waren die benötigten 1,5 Millionen Euro zusammengekommen.
Wo Vilisto in ein, zwei Jahren stehen wird, bleibt abzuwarten. Wo das Jungunternehmen sitzen wird, ist dagegen klar: „Wir werden auf jeden Fall hier bleiben“, kündigt der Geschäftsführer an. „Der Harburger Hafen ist ein superattraktiver Standort. Außerdem wohnen alle drei Gründer in Harburg, keiner weiter als 15 Minuten Fußweg vom Büro entfernt.“ Auch das spart CO2.