Hamburg. Faktorenanalyse zeigt: Bisherige Politik reicht für 1,5-Grad-Ziel nicht aus. Auch Förderung von Kernenergie sei ein falscher Schritt.
Bei der Klimakonferenz in Glasgow erklärten die Delegierten Kohle und andere fossile Energieträger zum Auslaufmodell. EU und USA wollen in den kommenden Jahren massiv Treibhausgase einsparen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet Deutschland zu mehr Klimaschutz, und in Berlin wurden Ministerien neu zugeschnitten, um den Wandel hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft zu unterstützen.
Diese Schritte sind wegweisend. Doch reichen sie aus, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie im Klimaabkommen von Paris formuliert? Dazu müsste ein „Netto-Null-Ziel“ im Jahr 2050 erreicht werden: keine weitere Erhöhung der Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre.
Klimapolitik: Globale Erwärmung liegt bei 1,2 Grad
Aktuell liegt die globale Erwärmung bereits bei 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Bis zur Obergrenze von 1,5-Grad fehlt nicht viel. Setzt sich der bisherige Trend fort, könnte dieser Wert bereits in gut zehn Jahren überschritten werden. Am Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS) der Universität Hamburg haben wir in einem interdisziplinären Team erstmals systematisch untersucht, inwieweit eine Klimazukunft mit Netto-Null-Emissionen bis 2050 nicht nur theoretisch möglich, sondern unter momentanen gesellschaftlichen Bedingungen tatsächlich plausibel ist.
Bisherige Veröffentlichungen zum Thema konzentrierten sich eher auf technische und praktische Notwendigkeiten und auf das, was machbar und wünschenswert wäre. In unserer Studie dagegen haben wir mit mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Prozesse analysiert, die einen Wandel hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft ermöglichen oder verhindern: Für zehn ausgewählte Schlüsselfaktoren, die einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen könnten – wir sprechen von Treibern – haben wir geprüft, ob sie sich verändern und in die Richtung einer Dekarbonisierung der Gesellschaft bewegen.
Netto-Null-Emissionen bis 2050 unrealistisch
So untersuchten wir etwa die Klimapolitik der Vereinten Nationen, Klimagesetze, Proteste und soziale Bewegungen, aber auch die Abkehr von Investitionen in eine fossile Wirtschaft oder die Berichterstattung in den Medien. Diese Ergebnisse haben wir mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft und so schrittweise eingegrenzt, welche Emissions- und Erwärmungsszenarien plausibel sind.
Fazit: Die meisten Faktoren unterstützen zwar das Netto-Null-Ziel. Aber kein Treiber verändert sich schnell genug und zeigt eine ausreichende Dynamik. Eine Klimazukunft mit Netto-Null-Emissionen bis 2050 ist deshalb nicht realistisch zu erwarten. Nach allem, was wir herausgefunden haben, erscheint es aktuell nicht plausibel, dass wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränken können. Dieses Ergebnis ist sehr ernüchternd; gleichzeitig ein Weckruf an Politik und Gesellschaft, jetzt rasch zu handeln.
Klimapolitik: Es braucht einen Wandel
Es braucht einen beispiellosen gesellschaftlichen und technologischen Wandel und darüber hinaus wirksame Wege, der Atmosphäre wieder Treibhausgase zu entziehen. Die Entscheidung der EU, Erdgas als klimaschonende Energiequelle einzustufen ist hierbei jedoch nicht förderlich und sachlich falsch, da das Verbrennen von Erdgas ebenfalls fossiles CO2 freisetzt.
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Auch die Förderung von Kernenergie als klimaneutral ist alles andere als nachhaltig und wird ebenso wie der menschgemachte Klimawandel viele zukünftige Generationen massiv belasten. Optimistisch stimmt mich allerdings, wie sich junge Menschen derzeit weltweit in Bewegungen wie Fridays for Future engagieren und den Druck auf Politik und Gesellschaft für einen Wandel erhöhen.
Detlef Stammer ist Professor für Ozeanografie an der Universität Hamburg. Er ist Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN), Sprecher des Exzellenzclusters Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), und leitet momentan das Weltklimaforschungsprogramm (WCRP).