Hamburg. Hilfsbereitschaft überwältigt: Hanseatic Help muss Freiwillige sogar nach Hause schicken. In Othmarschen startet nächster Konvoi.

Wann welcher Wochentag war, das hat Malte Wittmann vergessen. Er weiß noch, dass der „Wahnsinn“ am Dienstag begann und dass „dynamisch“ sein neues Lieblingswort ist. Nun ist es Freitagvormittag, 11 Uhr. Wittmann, Freiwilligenkoordinator von Hanseatic Help, steht im Neonlicht des 7500-Quadratmeter-Lagers der Hilfsorganisation. Im Hintergrund stapeln sich Klamotten und Windeln. Zwölf Ersthelfer umkreisen ihn. Ständig ziehen Menschen mit Wagenhebern voller Kartons an ihnen vorbei.

Seit der Wahnsinn, der große Hilfsansturm, begann, gibt es bei Hanseatic Help Termine zum Anlernen von Ersthelfern: Mittwoch, Freitag und Sonnabend, um 11 und um 14 Uhr. An diesem Tag sind rund 50 Personen gekommen, sie werden in Gruppen aufgeteilt. Hinter einem Karton ruft jemand: „Malte, vor der Tür stehen noch einmal 50 Leute!“ Sie müssen nach Hause geschickt werden. Wittmann lacht und richtet sich an die Helfer: „Wir legen hier keinen Sprint hin. Das wird ein Marathon.“

Hilfe für Geflüchtete: Hanseatic Help entstand 2015

Hanseatic Help entstand 2015 als Hilfsorganisation für Geflüchtete. In ihrem Lager unweit des Fischmarkts sammelt sie vor allem Kleidung und verteilt sie dann an diverse Einrichtungen. Seit Mitte vergangener Woche läuft der Alltagsbetrieb nebenher. Alles ist dringender, es gibt mehr Helfer und viel mehr Spenden. Gebraucht werden Baby- und Hygieneartikel sowie unverderbliche Lebensmittel. Zusätzlich steigt die Nachfrage am Verbandsmaterial. Über lokale Hilfsorganisationen und Zusammenschlüsse wie das Netzwerk Ziviler Krisenstab erfährt Hanseatic Help, was benötigt wird.

Die Organisation aktualisiert das laufend auf ihrer Homepage. Auch der Bedarf an Helfern wird dort mittels einer Ampel angezeigt. Wer bereits angelernt wurde, kann spontan zum Helfen vorbeikommen. Spenden werden am Eingang entgegengenommen. „Die Leute sollen sich wertgeschätzt fühlen“, erklärt Wittmann. Also: „Nichts, was dreckig, kaputt oder schon offen ist.“

Helfer sprechen sich nicht mit Nachnamen an

Diejenigen, die es an diesem Freitag reingeschafft haben, waren um 10.40 Uhr da. Sie lassen das Gefühl der Ohnmacht vor der Tür zurück – ebenso wie die Nachnamen. Hier gibt es nur noch Malte, Emily oder Maksym. Platz für Formalitäten bleibt zwischen Stapeln von Feuchttüchern und Fleecedecken nicht.

Das Rentnerehepaar Monika und Heiner Rudolph legt Kinderklamotten zusammen, angeleitet werden sie von Melisa Holz und Carmen Sousa. Zusammen sortieren sie die Kleidung nach Größe und packen sie in Kartons. Monika Rudolph ist aus demselben Grund da wie alle: „Man muss doch etwas tun.“ Im nächsten Schritt werden die gepackten Kartons registriert und mit einem QR-Code beklebt. Die Registrierung lernt heute die Studentin Miriam Wolf. „Es ist gerade mal mein erster Tag, und es fühlt sich schon richtig gut an“, sagt sie stolz.

Lager für Spendentransporte

Vor dem Transport werden – je nach Bedarf – die Spenden aus dem Lager geholt. Schon am Donnerstag fuhr ein 40-Tonner mit 20 Paletten voller Decken und Verbandszeug an die polnisch-ukrainische Grenze, weitere sind in Planung. Im Lager stehen Christoph Glup und Maksym Akimkin und stopfen Decken in Kartons. Vater und Sohn sind persönlich betroffen: „Meine Frau, also Maksyms Mutter, kommt aus der Ukraine“, berichtet Christoph Glup. Gerade bekommt er eine Nachricht von seiner Frau „In Cherson ist es ruhig.“ Glup sendet der Familie Bilder der deutschen Solidarität – wie von der Demonstration am Donnerstag. „Das gibt den Leuten vor Ort unvorstellbar viel Kraft“, sagt er, „wir müssen damit weitermachen.“

Bewegende Szenen am Freitag auch beim Grossflottbeker Tennis-, Hockey- und Golfclub (GTHGC) auf dem Gelände in Othmarschen. Das ganze Clubhaus ist vollgestellt mit fest verpackten Kisten und Kartons – Aufschriften wie „Warme Kinderkleidung“ und „Medikamente“ informieren über die Inhalte. Mindestens 15 Freiwillige, darunter Kinder und Teenager, verstauen alles in bereitstehenden Busse. Alle packen mit an, die Stimmung ist fröhlich und zuversichtlich. Ständig bimmeln Handys, immerzu müssen die vielen guten Ideen und Taten unbürokratisch koordiniert werden.

Hilfe über Nachbarschaftsportal gestartet

„Es ist unglaublich“, sagt Mit-Organisatorin Claudia Maurer, „die Menschen sind so großzügig. So viele spenden, so viele bieten Hilfe an.“ Wie berichtet, hatte Immobilienmakler Dirk Wullkopf, Mitglied im GTHGC, am vergangenen Sonntagabend einen Aufruf beim Nachbarschaftsportal nebenan.de gestartet, aus dem sich im Nu eine veritable Hilfsaktion entwickelte. Für den neuen Konvoi galt: Treffen an diesem Sonnabend um fünf Uhr an einem Sammelpunkt an der A 24 – und dann Start in Richtung Osten.

Kay Wortmann, Inhaber eines Unternehmens für Garten- und Pflanzenbedarf, fährt mit einem Kleintransporter beim Clubhaus vor. Auf der Ladefläche: hochwertige Sackkarren, die an den Verteilzentren in Polen gebraucht werden. Wortmann, seit 50 Jahren Mitglied beim GTHGC, will sich nicht lange erklären. „Ist doch klar, dass man helfen muss“, ist alles, was er sagt, und eher am Rande berichtet der Unternehmer, dass er in der kommenden Woche auch einen Transporter nach Polen steuern wird.

Diskret wird ein Umschlag weitergereicht. Viele Worte muss man darum nicht machen, und dass das Geld mit Sicherheit ankommt, ist Ehrensache. „Gerade hat eine Familie ihren Bus mit drei Kindersitzen für die kommenden zwei Wochen angeboten“, berichtet Stephanie Wegener. „Die haben gesagt: ,Wir sind im Urlaub, hier sind die Schüssel, versicherungstechnisch ist das geklärt‘.“