Hamburg. Die Friedensbewegung hat in Hamburg eine lange Geschichte. Obwohl ihr Einfluss sank, sind noch immer viele kleine Gruppen aktiv.

Wenn an diesem Sonnabend Zehntausende Menschen in Hamburg gegen den russischen Angriffskrieg und für Solidarität mit der Ukraine demonstrieren, werden Erinnerungen an 1983 wach. Damals rollte eine Protestwelle über ganz Westdeutschland, als Hunderttausende gegen den Nato-Doppelschluss und die Stationierung von Pershing-II-Raketen auf die Straße gingen. Ihren Höhepunkt erreichte die Friedensbewegung am 22. Oktober 1983. Bundesweit kamen rund 1,3 Millionen Menschen zusammen. An jenem Tag erlebte Hamburg die bis dahin größte Friedensdemonstration mit rund 400.000 Teilnehmern. Einige der Forderungen von damals könnten heute aktueller nicht sein: „Keine neuen Atomraketen“.

Zwar hat die Friedensbewegung der 1980er-Jahre ihr Hauptziel nicht erreicht, stimmte doch der Bundestag wenig später der Stationierung der US-Raketen zu. Schließlich fiel der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West, und der Kalte Krieg ging zu Ende. Die Friedensbewegung allerdings blieb. Sie ist weiterhin aktiv, zwar nicht mehr so stark wie einst, aber engagiert in vielen kleinen Gruppen. Mit den Demonstrationen gegen den Putins Krieg könnte sie in der Zivilgesellschaft nunmehr eine Renaissance erleben.

Friedensbewegung: Hoffnung in Fridays for future

„Eine Hoffnung ruht auf der Fridays for future-Bewegung“, sagt Anna Kreikemeyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. „Diese Bewegung kämpft gegen die Folgen des Klimawandels, und sie zeigt bereits, dass sie als Teil einer neuen Friedensbewegung auch an den Antikriegsdemonstrationen teilnehmen wird.“ Am Donnerstag waren nach Angaben von Fridays for future in Hamburg rund 120.000 Menschen auf die Straße gegangen.

Nach dem „Heißen Herbst“ 1983 hatte die Friedensbewegung auch in Hamburg zunächst an Einfluss und Mitgliederzahl verloren. „Die zunehmende Aufrüstung in Deutschland und den übrigen Nato-Staaten hat in den letzten Jahren jedoch zu einem leichten Aufschwung der Friedensbewegung geführt“, beobachtet Markus Gunkel, Vorsitzender des Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e. V. In der medialen Wahrnehmung würden die Aktionen der Friedensbewegung allerdings weitgehend ignoriert, fügt er hinzu. Dabei gebe es „Friedensstrukturen, die sich für Abrüstung und Entspannungspolitik eingesetzt und sich gegen die vor allem vom Westen betriebene Militarisierung der internationalen Beziehungen engagiert haben“.

Viele kleine Gruppen sind weiterhin aktiv

Nach wie vor sind zahlreiche kleine Gruppen aktiv, die Aktionen wie die jährlichen Ostermärsche und Friedensgebete organisieren. Dazu gehören unter anderem kirchliche Persönlichkeiten wie Antje Holst, die sich seit 1980 in der kirchlichen Friedensbewegung engagiert. Sie gründete die Friedensgruppe in St. Martinus, koordiniert und gestaltet die monatlichen Friedensgebete sowie das politische Nachtgebet. Dazu zählt auch der ehemalige Hamburger Hauptpastor Christoph Störmer, der gemeinsam mit dem verstorbenen Reeder Peter Krämer eine Initiative gegen Rüstungsexporte über den Hamburger Hafen ins Leben rief.

Hamburger Volksinitiative sammelt Unterschriften

Diese Hamburger Volksinitiative konnte bis zum Dezember 2021 mehr als 16.000 Unterschriften sammeln. Der pensionierte Pastor blickt inzwischen mit Kritik auf die Einseitigkeit mancher Positionen. „Die Volksentscheid-Initiative hat zu meinem Ärger nie auf die Verbrechen Putins in Assads Syrien noch auf die Unterdrückung jeglicher Opposition hingewiesen, weshalb ich da auf Distanz gegangen bin“, sagt er. Auch die Ostermärsche, die sich nach Ansicht Störmers „ziemlich totgelaufen“ hätten, seien „immer mehr auf einem Auge blind“ geworden. Die ständige und alleinige Schuldzuweisung an die Nato habe ihn „zunehmend genervt“.

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre ist heute nicht nur in einzelnen Hamburger Gruppen aktiv. „Sie hat sich weiterentwickelt und ist den Weg gesellschaftlicher Institutionalisierung gegangen“, betont Anna Kreikemeyer. Beispiele dafür sind das Netzwerk Friedenskooperative, die Plattform für Zivile Konfliktbearbeitung, Initiativen wie Lehrer*innen für den Frieden und Studiengänge an der Universität Hamburg über Friedens- und Sicherheitspolitik. „Auch SPD, Grüne und Linke haben Ziele der Friedensbewegung aufgenommen“, sagt die Wissenschaftlerin. Aus einer Anti-Kriegs- und Anti-Aufrüstungsbewegung habe sich in den vergangenen Jahren eine bunte Vielfalt lokaler und überregionaler NGOs, Vereine und kleiner Gruppen gebildet – mit friedensbezogenem Fokus und mit teils neuen Themen wie Flüchtlingshilfe und Klimaschutz.

Viele Christen sind für höhere Verteidigungsausgaben

Mit dem Krieg gegen die Ukraine wird die Friedensbewegung voraussichtlich viele neue Unterstützer aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft finden. Die Ziele werden in manchen Forderungen allerdings auseinander gehen. Zwar dürften sich alle darin einig sein, dass der Krieg sofort gestoppt werden muss. Aber an der geplanten Aufrüstung der Bundeswehr scheiden sich die friedensbewegten Geister. So lehnt Markus Gunkel vom Hamburger Forum die geplante Aufrüstung der Bundeswehr ab.

Christen wie Pastor Störmer dagegen sprechen sich angesichts der dramatischen Lage aus Gründen der Verantwortungsethik für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus, um „skrupellose, diktatorische Regime bei militärischen Übergriffen und Angriffskriegen zu stoppen“. Zugleich sollte aber auch „Weltinnenpolitik“ betrieben werden. Und die Wissenschaftlerin Kreikemeyer fordert ein Ende der Kontakte auf der Ebene der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg. „Diese müssen leider ausgesetzt werden, solange die russische Führung ihren Angriffskrieg nicht beendet.“ Statt dessen sei der direkte Austausch mit den Menschen wichtig, people to people.“