Hamburg. Sie vertritt rund 22.000 Ukrainer im Norden: Iryna Tybinka über die Lage in ihrem Land und wie sie Flüchtlingen in Hamburg hilft.
Schon die Kontaktaufnahme vermittelt einen Eindruck vom Ernst der Situation. „Die Website ist nicht erreichbar“, heißt es, wenn man derzeit versucht, die Homepage des Ukrainischen Generalkonsulats in Hamburg aufzurufen. Es sei Teil der hybdriden Kriegsführung Russlands, dass ständig Hackerangriffe auf ukrainische Einrichtungen verübt würden, sagt Iryna Tybinka, nachdem das Abendblatt sie am Telefon erreicht hat.
Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist seit 2020 Generalkonsulin des Landes und vertritt rund 22.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen sowie einige Tausend eingebürgerte Deutsche aus dem osteuropäischen Land.
Ukraine-Krieg: Wie Iryna Tybinka Geflüchteten in Hamburg hilft
Auch die 44-Jährige war geschockt, mit welcher Brutalität Russlands Präsident Wladimir Putin ihr Land vergangenen Woche attackiert hat. „Er hat das ja lange vorbereitet“, sagt Iryna Tybinka. „Aber niemand hat erwartet, dass dies auf solche Weise passiert, dass es wirklich ein Vernichtungskrieg sein wird.“ Auch derzeit sei die Lage sehr ernst und gefährlich, höre sie unter anderem von ihren Verwandten aus Lwiw in der West-Ukraine. „Meine Eltern und Cousinen sind dort, eine enge Freundin lebt in Kiew, ganz in der Nähe gibt es harte Kämpfe“, sagt Tybinka. „Ich freue mich immer, wenn wir telefonieren können – wenn ich ihre Stimmen höre, weiß ich, dass sie am Leben sind.“
Sie wünsche niemandem, so etwas erleben zu müssen, was die Ukrainer derzeit durchmachen: „Die Menschen sitzen ständig in Kellern, sind unter Beschuss, Kinder kommen unter der Erde auf die Welt, Kindergärten wurden zerstört – es ist einfach unvorstellbar. Man fühlt sich ständig wie in einem Albtraum, aber dieser Albtraum ist unsere heutige Realität.“
„Unsere Hauptaufgabe ist es, eine starke Stütze zu sein“
Darüber, wie viele Ukrainer bereits nach Hamburg oder Norddeutschland geflohen sind oder das möglicherweise noch tun werden, habe sie keine konkreten Zahlen, sagt die Diplomatin. „Von Kollegen aus Polen habe ich gehört, dass viele Frauen und Kinder dorthin geflüchtet sind. Aber die meisten von ihnen wollen überhaupt nicht weiter nach Europa fahren, sondern sie wollen zurück in ihre Heimat.“ Letztlich hänge alles davon ab, wie sich die Sicherheitssituation in der Ukraine entwickelt.
Ihre Aufgabe als Generalkonsulin sei es derzeit, Fragen bezüglich des vorübergehenden Aufenthalts von ukrainischen Familien in Norddeutschland zu regeln – finanzielle, medizinische und juristische, etwa die Beschaffung von Dokumenten. „Unsere Hauptaufgabe ist es, eine starke Stütze zu sein, damit die Soldaten dort, unsere Helden, sich auf das Kämpfen konzentrieren können.“
Tybinka: Ukraine begrüßt Anti-Putin-Koalition
Während Städte wie Charkiw und Tschernihiw nahezu permanent beschossen werden und die Hauptstadt Kiew von Putins Truppen fast umkreist ist, höre sie auch Berichte, dass viele russische Soldaten demotiviert seien und Angst hätten, so die Generalkonsulin. Zuletzt sei von 5400 gefallenen russischen Soldaten die Rede gewesen. „Die ukrainischen Soldaten kämpfen sehr hart“, sagt Tybinka: „Sie verteidigen nicht nur ihre Heimat, sondern auch die Freiheit ihres Volkes. Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein riesiges Vertrauen in ihre Armee.“
Dass allein Sanktionen Putin zum Einlenken bewegen, glaubt die Generalkonsulin zwar nicht. Aber die Ukraine begrüße sehr, dass es jetzt eine Anti-Putin-Koalition gibt: „Endlich ist der Westen erwacht und versteht, mit wem er es zu tun hat.“ Von großer Bedeutung seien persönliche Schutzausrüstung, Waffen und Munition: „Denn wir haben sehr viele Reservisten und Freiwillige, aber die haben nur ein Gewehr bekommen – sie benötigen auch Helme, Schutzwesten, Munition und warme Kleidung.“
„Wichtiger als Aktionen auf der Straße sind Hilfslieferungen und Sanktionen“
Dass Deutschland gezögert hat, bevor es zu Waffenlieferungen bereit war, sieht Tybinka kritisch: „Die Ukraine hat den Westen seit acht Jahren vor der Aggression Russlands gewarnt, aber niemand hat das ernst genommen. Auch in Deutschland hat wohl niemand erwartet, dass Putin diesen Angriff beginnen würde.“ Diese Verzögerung habe in der Ukraine für Zerstörungen gesorgt und Leben ihrer Bürger gekostet. Gleichzeitig begrüße sie aber den am Wochenende vorgenommenen Kurswechsel: „Wir hoffen, dass die Entschlossenheit, die wir jetzt vom Bundeskanzler gehört haben, helfen wird, Leben zu retten und Russland zu zwingen, seine Streitkräfte zurückzuziehen“, sagt Tybinka.
Zu einer möglichen großen Kundgebung am Wochenende in Hamburg sagt die Generalkonsulin: „Es gab ja schon größere Aktionen, etwa am Freitag mit 5000 Menschen. Natürlich würden wir uns über eine noch größere Unterstützung seitens der deutschen Gesellschaft freuen. Aber wichtiger als Aktionen auf der Straße sind jetzt Hilfslieferungen und Sanktionen.“