Hamburg. Juliane Isabel Axmann versorgt im To’n Peerstall am Jenischpark gelegentlich die Gäste mit Grünkohl und Co. – die Gründe.

Der feudalen Grünkohlplatte mit allen Schikanen wurde fachgerecht zu Leibe gerückt. Geschmeckt. Und komplett geschafft. Der finale Verteiler aus gebranntem Kümmel ist verlötet. Küchenschluss im To’n Peerstall, einer gutbürgerlichen Gastwirtschaft am Rande des Jenischparks.

Dort, wo einst die Straßenbahn von Hamburg nach Flottbek verkehrte, hat kultiviertes Speisen im reetgedeckten Fachwerkhaus Tradition. Gelegenheit für einen kurzen Klönschnack mit der Kellnerin. Die patente junge Frau hat sich als Isabel vorgestellt und ihren Job erstklassig im Griff: schnörkelloser Service, garniert mit einem Lächeln.

Gastronomie Hamburg: Im To'n Peerstall kellnert eine Zahnärztin

Dieses Stichwort passt perfekt. „Eigentlich bin ich Zahnärztin“, sagt Kellnerin Juliane Isabel Axmann auf Nachfrage. Die Gesellschaft am Stammtisch blickt verblüfft. Später mehr, verspricht sie, greift das Tablett, bearbeitet weitere Bestellungen an den Eichenholztischen nebenan. Für Gesprächsstoff ist gesorgt. Wie immer wissen die Jungs mehr: Wirtin Katharina Baumgartner sucht seit Jahr und Tag intensiv nach zuverlässigen Fachkräften für Küche und Service. Die Familie Baumgartner führt den Peerstall am Hochrad seit bald 40 Jahren. Seit 2011 managt die Hotelfachfrau den Betrieb in Eigenregie.

In der Küche sind vier Mitarbeiter beschäftigt, als Bedienung ein Festangestellter sowie zwei Aushilfen. „Qualifiziertes, verlässliches, einsatzfreudiges Personal ist ein Problem“, hat die 42 Jahre alte Restaurantbesitzerin zuvor gesagt. Trotz anständigen Gehalts und fairer Rahmenbedingungen sei es immer schwieriger, geeignete Mitstreiter zu finden. Praktisch jeder Gastronom leidet darunter. Die Schwierigkeiten sind stadtbekannt. Zumal Corona einen doppelten Strich durch die Rechnung machte. Von Umsatzeinbußen abgesehen: Der Fachkräftemarkt ist weiter ausgedünnt. Restaurantprofis wechselten in andere Jobs – oft frei von spätabendlichen Arbeits­zeiten, Wochenenddienst, Stress in Stoßzeiten. Neuerdings hat To’n Peerstall neben Mittwoch auch dienstags Ruhetag.

Das Motto von Juliane Isabel Axmann: „Eine Frau – ein Wort“

„Ein Segen, wenn man Freunde hat“, stellte Frau Baumgartner fest, bevor Benjamin Gorski in der Küche um Unterstützung bat. „Benny“ ist seit 16 Jahren als Koch im Team, Kollege Karl seit einem Jahrzehnt. Kellner Toni Liverio, seit 2013 an Bord, hat Aushilfen kommen und gehen sehen. Mancher schmiss bereits nach einer beinharten Schicht das Tuch in die Ecke.

Juliane Isabel Axmann ist von einem anderen Naturell beseelt. Die 27 Jahre alte Hanseatin mit Wurzeln in den Elbvororten setzt ihren Anspruch in die Tat um: „Eine Frau – ein Wort.“ Früher besuchte sie mit Bruder und Eltern, einem Zahnarztehepaar, regelmäßig den Peerstall. Meist freitags blieb daheim die Küche kalt. Die Familie speiste, spielte Skat, kam mit Evelyn und Hansi Baumgartner ins Gespräch. Daraus entwickelte sich mehr: Als Abiturientin sprang Isabel als Babysitter von Katharina Baumgartners Sohn ein.

To'n Peerstall: Das Eldorado für Genießer

Die eine wusste ihren Julius in guten Händen, die andere verdiente sich Geld für ihr Hobby, die Reiterei – auch während des Zahnmedizinstudiums. Schon als Schülerin wollte sie möglichst unabhängig sein. Sie erledigte Jobs in einem Zahntechniklabor, als Pferdepflegerin, als Eventhostess beim HSV. Seit 2016 half die angehende Ärztin als Kellnerin im To’n Peerstall aus. Dieses Geschäft, eine Melange aus Freundschaftsdienst und Nebenerwerb, brachte beiden Seiten Vorteile.

Kehren wir zurück in die Neuzeit – an diesem gemütlichen Februarabend im urigen Peerstall. Die ehemalige Scheune gilt als Eldorado für Genießer. Kutscherlampen spenden gedämpftes Licht. Alte Wagenräder und Holzpferde von einem französischen Kinderkarussell locken zum Hingucken. An den Fachwerkwänden hängen Heuraufen, Trensen, Zaumzeug, Zügel. Fast wie im Pferdestall.

Note 1,6 im Staatsexamen – jetzt will sie promovieren

Dass sich Hobbyreiterin Isabel Axmann auch nach ihrem Staatsexamen im Oktober 2021 in diesem Umfeld wohlfühlt, hat mehrere Gründe. „Es gibt ausschließlich Pluspunkte“, sagt sie. Im Schnitt ist sie zwei- bis dreimal in der Woche als Kellnerin im Einsatz. Damit unterstützt sie ihre Freundin. Wirtsfrau Katharina Baumgartner kann jede Hand gut gebrauchen. Nach fünf Jahren Zusammenarbeit läuft’s im 120 Quadratmeter umfassenden Gastraum ohne viele Worte.

Im Gegenzug verdient Juliane Isabel Axmann im Minijob hinzu: Stundenlohn plus Trinkgeld. Zudem versteht sie ihre Tätigkeit an vertrauter Stätte als Abwechslung zum Hauptberuf in der Praxis an der Mönckebergstraße. Dort wissen die wenigsten Patienten, dass die junge Medizinerin abends oder am Wochenende hin und wieder in Othmarschen kellnert – aus freien Stücken, mit Spaß und Würde. „Man wird ja nicht alle Tage von einer plietschen Zahnärztin im Restaurant bedient“, sagt ein Stammgast. Er kennt die nunmehr 27-Jährige mit Wohnung in Eimsbüttel seit über zwei Jahrzehnten.

Morgens Zahnärztin, abends Kellnerin

Zwar ist der Vater mittlerweile verstorben, doch wirkt ihre Mutter unverändert in Gemeinschaft mit zwei weiteren Zahnärzten in der Praxis im Hammoniahaus an der Mönckebergstraße 5. Dr. Eva-Maria Axmann freut sich, dass ihre Tochter Isabel seit drei Monaten das Team verstärkt. Von der Note 1,6 im Staatsexamen beflügelt, will die junge Hamburgerin in den kommenden Jahren promovieren. Den Nebenjob im Peerstall möchte sie fortsetzen.

Erstaunte Nachfragen und Blicke wissender Restaurantbesucher quittiert Isabel Axmann amüsiert – und selbstbewusst. „Mancher ist irritiert“, weiß sie. Die meisten reagierten erst ungläubig, dann erfreut. Mit ihrer fröhlichen, aufgeschlossenen Art kommt sie mit Gästen rasch ins Gespräch.

Bisweilen bittet Boss Katharina kurzfristig um Unterstützung. So wie vor ein paar Tagen, am 14. Februar. An diesem Montag lagen reichlich Reservierungen vor. Folge: Frau Axmann jr. war von 8 bis 14 Uhr als Zahnärztin aktiv. Von 17 bis 23 Uhr folgte eine Schicht als Kellnerin. „Ich denke nicht darüber nach, ob das anstrengend ist“, sagt sie zum Schluss. „Ich mache es einfach.“